Irgendwann hat jeder Rennfahrer angefangen, im Kreis herumzufahren. Manche drehen die ersten Runden auf dem Schrottplatz, andere fahren mit Klötzen an den Füßen auf der Kartbahn, manche fahren nur bei Regen, weil dann weniger los ist, und sind vielleicht deshalb heute besonders gute Regenfahrer. Ganz andere fahren vielleicht erstmal nur geradeaus und noch gar nicht im Kreis. "Ich habe direkt mit dem Kreis fahren angefangen", sagt Julia Kuhn.

Schon damals stellten sich der heute 22-Jährigen die ersten Hindernisse in den Weg. "Mein Bruder konnte im Urlaub immer Kart fahren, ich war aber zu klein dafür; ich bin nicht an die Pedale gekommen." War sie damals wegen des verpassten Urlaubsspaßes noch sauer, sollte auch sie bald ans Gaspedal dürfen - ganz ohne Holzklötze an den Schuhen und dank Mithilfe eines gewissen Michael Schumacher. Dieser siegte und siegte, in Deutschland sprossen die Indoor-Kartbahnen aus den Hallenböden wie Blasen aus abgefahrenen Bridgestone-Pneus. So auch in der Nähe von Julias Heimatort. "Es war Winter, wir hatten Langeweile, da hat mich meine Mutter mit meinem Vater dort hingeschickt."

Der Anfang war gemacht. "Das Spiel ging los", erinnert sie sich. "Aus einmal wurde zweimal, dann dreimal - wöchentlich, täglich." Bald nannte sie ihr erstes Kart ihr Eigen. Sogar prominente Zuschauer hatte sie schon. Ex-F1-Pilot Jos Verstappen stattete die Kartbahn mit Karts aus, sah Julia fahren und lud sie auf eine Outdoor-Kartbahn ein. "Er wollte wissen, ob ich draußen genauso gut fahren konnte wie drinnen." Mit elf Jahren hatte sie der vielzitierte Motorsportvirus endgültig erfasst. "Dann muss man einfach weiter machen."

Julia ist dem Motorsport verfallen., Foto: Julia Kuhn
Julia ist dem Motorsport verfallen., Foto: Julia Kuhn

Schritt für Schritt ging es durch alle Kartklassen bis zu internationalen Rennen. Bis dahin war es also der normale Weg aller viel versprechenden Nachwuchstalente. "Dann haben wir den Schritt zu Formelautos gewagt", erinnert sie sich. "Wir wollten aber nicht in die Formel BMW einsteigen, weil wir glaubten, dass es ein Fehler wäre, schon mit 14 oder 15 dort zu fahren." Sie ging ihren eigenen Weg. Statt Formel BMW zu fahren, bereitete sie sich ein ganzes Jahr lang auf die neue Formel Volkswagen vor. Mit 18 startete sie in ihre erste Formelsaison. "Eigentlich wollten wir länger in der Formel Volkswagen fahren, aber die Serie wurde eingestampft und wir standen mit Riesenproblemen da."

Schließlich hatte man sich dafür entschieden, mit einem eigenen Team anzutreten. "Wir hatten alles selbst gekauft. Auto, Ersatzteile, Werkzeug - alles war vorhanden, aber niemand hat etwas dafür bezahlt." Das hat ihre weiteren Bemühungen zurückgeworfen, in der Saison 2004 musste sie komplett passen - das Loch im Budget war zu groß. Dafür ging es schneller als geplant eine Klasse höher: in die Formel 3 Euroserie. Eigentlich wollte sie 2005 erneut nur testen, doch es sollte mal wieder alles anders kommen. "Wir haben das Auto von Dallara nicht bekommen, es wurde immer wieder nach hinten verschoben, weil die aktuellen Rennteams Vorrang hatten." Erst Ende Juni bekam man das Auto, zu spät für eine sinnvolle Vorbereitung. "Ich hatte keinen einzigen Testkilometer auf dem Buckel", erinnert sie sich. Also wollte man das beim offiziellen Test vor dem F3-Lauf auf dem Nürburgring nachholen. Doch das erlaubte das Reglement nicht - der Ausweg: ein Start am Nürburgring.

Das unverhoffte Debüt verlief gar nicht einmal so schlecht. "Mir fehlten nur drei, dreieinhalb Sekunden auf Lewis Hamilton", sagt Julia. Aber schon beim nächsten Rennen kehrte das Pech zurück. Nach einem Trainingsunfall konnte Julia nicht am Qualifying teilnehmen und war somit nicht für das Rennen startberechtigt. 2006 sollten es ein paar Rennen mehr werden, aber Hockenheim blieb ein verwunschenes Pflaster. Der Opel-Motor platzte; wieder keine gezeitete Runde im Qualifying, wieder kein Rennstart. "Dort scheint einfach der Wurm drin zu sein", lacht sie heute. Nach ein paar weiteren Rennen war die Saison erneut vorzeitig vorbei, mehr erlaubte das enge Budget nicht. Denn wie in der Formel Volkswagen ging Julia mit einem eigenen Team an den Start.

Julia sieht ihre Zukunft im Formelsport., Foto: Julia Kuhn
Julia sieht ihre Zukunft im Formelsport., Foto: Julia Kuhn

"Wir hatten uns gesagt: Wenn man in einer Rennserie für ein anderes Team fahren will, muss man eine Summe x hinblättern, die ist nach der Saison weg." Also wollte man es auf eigene Faust versuchen, den eigenen Weg weitergehen. "Wenn es dann nicht funktioniert, kann man das Material immer noch verkaufen und das Geld ist wieder da." Zumindest theoretisch, wie das unverschuldete Formel VW-Debakel zeigte. "Außerdem weiß man nie, was man woanders für Material bekommt - ist es gut, gleichwertig oder gebraucht und schlechter als das anderer Fahrer? Da steckt man nicht drin, wenn man es selbst macht, weiß man genau, was für ein Auto man fährt." Doch der Aufwand dafür war enorm. Und die Angst fuhr immer mit. "Ich hatte keinen freien Kopf", sagt Julia. Nicht weil sie Angst vor einem Unfall gehabt hätte, "ich dachte: wenn ich etwas kaputt mache, ist Feierabend. So funktioniert die F3 EuroSerie nicht, dafür ist die Luft viel zu dünn."

Deshab blieben die Autos 2007 in der Garage. "Das Budget hat nicht gereicht", gesteht sie. "So wie 2006 wollten wir nicht weitermachen, wenn wir nicht die ganze Saison fahren können, dann lieber gar nicht." Nur herumsitzen und auf den erlösenden Anruf warten, ist für die Hotelfachfrau aber keine Option. Julias Weg führte sie in die grüne Hölle - die Nordschleife des Nürburgring. Im Airnergy BMW M3 bekam sie erstmals ein Dach über den Kopf. Ihr VLN-Debüt verlief viel versprechend. Zusammen mit ihren Teamkollegen Sebastian Stahl und Mario Kossmehl gewann sie ihre Klasse. "Es war Wahnsinn, auf der Nordschleife zu fahren. Die Strecke hat von allem etwas: schnelle Kurven, langsamere Kurven, sie ist etwas ganz Besonderes." Also ein gutes Training für sie. "Es heißt: Wer hier fahren kann, kann überall fahren." Doch die VLN soll in diesem Jahr nur ein kleiner Abstecher in den Tourenwagensport sein. "Es ist eine schöne Abwechslung, aber mein Ziel für die Zukunft bleibt ein Formelcockpit." Julia ist noch nicht am Ende des Weges angelangt.