Der Artikel wurde in der 81. Ausgabe des Printmagazins von Motorsport-Magazin.com am 28. Oktober 2021 veröffentlicht.

Die Idee von BMW Motorsport, das legendäre BMW Junior Team - einst als 'Wilde Reiter GmbH' bezeichnet - nach mehr als 40 Jahren wieder aufleben zu lassen, ist aus Sicht der Verantwortlichen etwas Besonderes. Im auf zwei Saisons angelegten Ausbildungsprogramm zur Förderung junger Talente wurden nämlich neue Maßstäbe gesetzt, die jetzt schon Früchte auf der Rennstrecke tragen.

Mit starken Leistungen sind Dan Harper, Max Hesse aus Wernau und der US-Amerikaner Neil Verhagen in die Fußstapfen der Rennlegenden Eddie Cheever, Marc Surer und Manfred Winkelhock getreten, die 1977 mit ihren Erfolgen weltweit für Furore gesorgt haben.

Dank BMW M Motorsport durften wir der neuen Generation des Junior-Teams bei ihrer schweißtreibenden Arbeit über die Schulter schauen und sie bei der umfangreichen und professionellen Vorbereitung abseits einer Rennstrecke begleiten. Mit von der Partie war auch Jochen Neerpasch, der damalige Ideengeber und einer der aktuellen Mentoren.

"Als ich 1977 das erste BMW Junior Team gegründet habe, waren wir bei BMW Motorsport Pioniere in der Nachwuchsförderung. Zum ersten Mal haben wir die Ausbildung junger Rennfahrer auf eine professionelle Basis gestellt. Nun erneut in die Förderung eines BMW Junior Teams involviert zu sein, freut mich sehr", sagte Neerpasch, der aus eigener Erfahrung weiß, "dass junge Fahrer sehr viel schneller lernen, wenn sie als Team agieren, anstatt nur für sich selbst zu kämpfen."

Fitness ist ein wichtiger Aspekt in der Rennfahrer-Ausbildung, Foto: BMW, Uwe Fischer
Fitness ist ein wichtiger Aspekt in der Rennfahrer-Ausbildung, Foto: BMW, Uwe Fischer

Auf dieser Grundlage sei gemeinsam mit den Verantwortlichen von BMW Motorsport die Idee entstanden, das Junior Team wieder ins Leben zu rufen. Neerpasch: "Mich fasziniert der Gedanke, dass die drei Junioren gemeinsam auf der Nürburgring-Nordschleife, der schwierigsten Rennstrecke der Welt, lernen und darüber hinaus in vielen weiteren Bereichen ausgebildet werden. Ich bin mir sicher, dass die drei ihren Weg im professionellen Rennsport gehen werden."

Ziel des völlig neuen Ausbildungskonzepts ist, die Junioren gemeinsam weiterzuentwickeln, sie individuell und ganzheitlich zu fördern und sie dadurch zu besseren und vor allem reiferen Rennfahrern zu machen.

Das Junioren-Trio hat seine Ausbildung im Januar 2020 mit dem Einzug in eine gemeinsame Wohnung in Viareggio bei Florenz begonnen. Bei dem Trainingscamp im Formula Medicine von Teamarzt Dr. Riccardo Ceccarelli standen sowohl Fitness- als auch Reaktions- und Mentaltraining als elementare Bestandteile der Vorbereitung auf die Rennsaison im Vordergrund.

Zudem wurden unter Anleitung der Spezialisten bei Formula Medicine zahlreiche medizinische und sportwissenschaftliche Tests unter Verwendung von modernsten Analyse- und Messsystemen durchgeführt, um das individuelle Fitness-Niveau der drei Fahrer präzise zu bestimmen. Auf Basis der Ergebnisse haben die Experten für jeden Piloten maßgeschneiderte Trainingspläne erstellt und ihnen konkrete Beispiele für die optimale Umsetzung des Trainingsprogramms mit auf den Weg gegeben.

Drei hoffnungsvolle BMW-Talente im Trainingslager, Foto: BMW, Uwe Fischer
Drei hoffnungsvolle BMW-Talente im Trainingslager, Foto: BMW, Uwe Fischer

Der Fokus lag gleichermaßen auf Fitness- und Mentaltraining. Unter anderem wurde mit neu entwickelten, computergestützten Übungen die Entwicklung der speziellen Anforderungen im Verlauf eines Rennwochenendes simuliert - vom ersten Training bis zum Ende des Rennens. Dabei ging es um mentale Stärke, Reaktionsschnelligkeit und Konzentrationsfähigkeit. Ein spezielles Zirkeltraining und Workouts auf verschiedenen Geräten halfen den Junioren, ihre körperliche Fitness weiter zu perfektionieren.

"Das Programm hier ist etwas Besonderes und ein wichtiger Bestandteil unserer Vorbereitung auf die Rennen am Nürburgring. Zu Beginn unserer Ausbildung waren wir fast sechs Wochen am Stück im Formula Medicine, im Laufe der Saison je nach Corona-Situation noch einmal vier bis fünf Wochen", sagte Nachwuchstalent Hesse. Der in Wernau am Neckar geborene Schwabe ist begeistert von den vielen Möglichkeiten, die das Team der Formula Medicine bietet. Dazu zählen auch Outdoor-Aktivitäten wie Crossfit, Laufen am Strand, Beach Soccer und Kampfsporttraining.

Hier würde es wirklich an nichts fehlen, meinte Hesse. Verschiedene Übungen bezüglich Ausdauer- und Krafttraining, Ernährungstipps, Lauftests mit steigender Geschwindigkeit, bei denen ständig die Pulswerte ermittelt werden, Fahrradfahren mit steigender Wattzahl bis hin zur Maximalbelastung, Stärkung der Rumpf- und Nackenmuskulatur, Gehirntraining, Reaktionsspiele und Rennsimulationen auf der Nordschleife, bei denen beispielsweise auch Strategien, Boxenstopps und der Reifenabbau eine Rolle spielen, würden zum Standartprogramm gehören, erklärte Hesse.

Bei der Nachwuchsförderung geht es nicht nur um körperliche Fitness, Foto: BMW, Uwe Fischer
Bei der Nachwuchsförderung geht es nicht nur um körperliche Fitness, Foto: BMW, Uwe Fischer

Für das Finden des Junior-Teams gab es kein spezielles Auswahlverfahren von BMW Motorsport. Hesse hat durch gute Leistungen, unter anderen mit dem Gewinn der TCR Germany 2019, auf sich aufmerksam gemacht hat. Der 20-Jährige wurde als einziger Deutscher in das neue Junioren-Programm aufgenommen.

Deshalb hat er auch seine Ausbildung zum kaufmännischen Logistiker abgebrochen und lernt stattdessen neben seinen Rennaktivitäten Tätigkeiten bei der BMW M GmbH und der BMW Group kennen und ist außerdem auch in die BMW Driving Experience eingebunden. "Für mich ist es eine große Ehre, in das Juniorprogramm von BMW Motorsport aufgenommen worden zu sein und ich hoffe, dass mir entgegengebrachte Vertrauen zurückzahlen zu können", betonte Hesse, für den diese Möglichkeit eine große Chance auf dem Weg zum Werksfahrer ist.

"Motorsport ist die Sportart, bei der das Herz über einen sehr langen Zeitraum maximale Leistung bringen muss", meinte der in der Motorsport-Szene seit Jahren anerkannte Dr. Riccado Ceccarelli. "Ein Rennfahrer muss beispielsweise schneller sein als ein Boxer, dazu benötigt er die Ausdauer eines Radprofis und muss gleichzeitig fähig sein, gut Schach zu spielen."

Um den Körper ideal auf die hohen Belastungen während der Rennen vorzubereiten, empfehlen die Experten bei Formula Medicine ein halbstündiges Zirkeltraining mit sechs Schwerpunkten, denn die Anforderungen betreffen den ganzen Körper. Das beginnt beim Nacken, der enormen Kräften beim Beschleunigen und Bremsen entgegenwirken muss, in ultraschnellen Kurven sogar bis zum Vierfachen des eigenen Gewichts. Obwohl der Oberkörper durch die Sicherheitsgurte fest im Schalensitz fixiert ist, bewegt er sich hin und her. Deshalb muss die Rumpfmuskulatur zur Stabilisation gestärkt werden, was auch für Arme und Finger gilt.

Die Talente trainieren natürlich auch im Simulator, Foto: BMW, Uwe Fischer
Die Talente trainieren natürlich auch im Simulator, Foto: BMW, Uwe Fischer

Nicht nur die kräftigen Muskeln wollen mit frischem Sauerstoff versorgt werden, sondern auch das Gehirn, dass laut Ceccarelli "während eines Rennens Schwerstarbeit leistet". Deshalb müsse man es durch mentales Training ständig fordern, "damit das Gehirn auf ein höheres Niveau gehoben wird, dabei aber weniger Energie verbraucht". Schließlich würde der Körper während eines Rennens jede Menge Adrenalin produzieren - und auch das benötigt Energie. Als Faustformel rät Ceccarelli seinen Kunden, das Ausdauertraining solle mindestens doppelt so lange dauern wie ein Stint in einem Langstreckenrennen.

Eine weitere Säule des vielseitigen Programms ist der Teamgedanke. Um den zu stärken, bewohnen die Junioren seit Mitte vergangenen Jahres eine gemeinsame Wohnung in Drees am Nürburgring, der zum Mittelpunkt ihrer Rennfahrerausbildung geworden ist. "Da wir zu dritt sind, können wir uns auch gegenseitig pushen und voneinander lernen. Das finde ich sehr gut", beteuerte Hesse, der wie seine Kumpels neben Neerpasch auch von BMW-Werksfahrer Philipp Eng sowie Dirk Adorf, der bereits seit 2011 als Mentor für die BMW-Junioren tätig ist, betreut wird.

Das zahlt sich aus, wie ein Eintrag in die Geschichtsbücher der Nürburgring-Langstreckenserie (NLS) beweist. Bei ihrem ersten Triumph mit dem BMW M6 GT3 auf der anspruchsvollen Nordschleife im Juni 2021 war das BMW-Junior-Team Harper, Hesse und Verhagen mit im Schnitt 19,9 Jahren das jüngste Siegerteam in der mehr als 40-jährigen Historie der VLN/NLS. Bis zum Ende der abgelaufenen Saison feierte das talentierte und aufstrebende Junioren-Trio noch einen weiteren Sieg und insgesamt vier Podiumsplatzierungen.

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