Nach drei verletzungsgeprägten Jahren startete Marc Marquez 2023 erstmals wieder mit 100 Prozent körperlicher Fitness in eine MotoGP-Saison. Für das restliche Fahrerfeld Grund genug, den achtfachen Champion in diesem Jahr wieder zum Favoriten auf den Weltmeistertitel zu erklären. Zu beeindruckend waren seine Erfolge der vergangenen Jahre trotz Verletzungen und schwer zu fahrendem Motorrad. Und auch Marquez selbst setzte sich vor Saisonstart keine geringen Ziele: "Wir sind das Repsol Honda Team und ich bin Marc Marquez. Da kann man nur mit dem Ziel, um den Weltmeistertitel zu kämpfen, in die neue Saison gehen."

Knapp vier Monate später lässt sich festhalten: Von einem WM-Kampf könnte der Honda-Superstar zum Start in die sechswöchige MotoGP-Sommerpause nicht weiter entfernt sein. Gerade einmal 15 WM-Punkte hat Marquez nach den ersten acht Rennwochenenden zu Buche stehen - lediglich 5,1 Prozent von 296 möglichen Punkten. Weniger waren es nie zuvor, selbst in seinem Rookie-Jahr in der Motorrad-WM 2008 holte Marquez in der 125ccm-Klasse nach acht Rennen schon 26 Punkte. Das MotoGP-Jahr 2023 hat sich für den Honda-Piloten zum absoluten Horror entwickelt.

Honda-Boss Puig über Marquez-Abschied: Wenn er unglücklich ist… (05:51 Min.)

Dabei begann die Saison Ende März eigentlich bestens: Nach enttäuschenden Testfahrten stellte Marquez seine Honda RC213V im ersten Qualifying des Jahres in Portimao völlig überraschend auf die Pole Position. Kurzzeitig keimte Hoffnung auf, doch schon wenige Stunden später im ersten Sprint der MotoGP-Geschichte zeigte sich, dass die Pole Position eher dem Ausnahmetalent des Spaniers zuzuschreiben war als einem Fortschritt bei Honda. Über eine Runde kann Marquez die Schwächen seines Bikes mit hohem Risiko kaschieren, über eine gesamte Renndistanz lässt sich das jedoch nicht aufrechterhalten. Das zeigte sich schon im Sprint, in dem Marquez nicht mit Francesco Bagnaia und Jorge Martin mithalten konnte. Nur dank eines Fehlers von Miguel Oliveira in der letzten Runde reichte es zu Platz drei.

Marc Marquez: Seit Portimao-Crash in Abwärtsspirale

Es sollte das letzte Highlight der bisherigen MotoGP-Saison für Marquez bleiben. Beim Versuch, ein ähnliches Resultat im Hauptrennen zu wiederholen, war er über dem Limit unterwegs und blockierte in der dritten Runde in Turn 3 die Front. Der Spanier krachte zunächst in Martin, ehe er anschließend Oliveira aus dem Rennen torpedierte. Die Folge: Ein Bruch des ersten Mittelhandknochens am Daumen der rechten Hand und eine doppelte Longlap-Penalty, die er jedoch nie absitzen musste. Stattdessen verpasste Marquez die Rennwochenenden in Argentinien, Austin und Jerez verletzt, er kehrte erst in Frankreich wieder zurück.

Der Honda-Star warnte vor zu hohen Erwartungen, stürzte am Trainingsfreitag gleich zwei Mal und schaffte es doch, im Qualifying wieder auf Platz zwei zu fahren. Dort bewegte sich Marquez auch am Sonntag sensationell, nachdem er im Sprint als Fünfter ins Ziel gekommen war. Und doch wurde es nichts mit dem ersten Podestplatz des Jahres, weil er in der vorletzten Runde stürzte. "Wahrscheinlich war ich für das Podium heute noch nicht bereit, aber mir ist so ein Rennen lieber als eines, das ich auf dem zehnten Rang beende. Ihr kennt mich ja. Das ist eben mein Stil: Ich bin ein Kämpfer", sagte Marquez damals.

Platz 3 im Portimao-Sprint war eines von wenigen Highlights im Jahr 2023, Foto: Repsol Honda Media
Platz 3 im Portimao-Sprint war eines von wenigen Highlights im Jahr 2023, Foto: Repsol Honda Media

Das folgende Wochenende in Mugello sollte zum Spiegelbild von Le Mans werden: Platz zwei im Qualifying, Punkte im Sprint, Ausfall im Grand Prix - zum vierten Mal in Folge. Erstmals deuteten sich Risse in der einstigen Liebesbeziehung zwischen Marquez und Arbeitgeber Honda an, am Sonntag war es kurz vor Rennstart zur Krisensitzung mit den Bossen des japanischen Herstellers gekommen. Was da noch keiner ahnte war, dass am Sachsenring ein völliges Debakel folgen sollte. Auf seiner einstigen Paradestrecke - Marquez gewann seit 2013 alle MotoGP-Rennen in Deutschland, an denen er teilnahm - stürzte er gleich fünf Mal und verhinderte weitere Abflüge nur mit viel Glück und Talent.

Statt im Sprint zu attackieren, ging es nur nach hinten. Nach Zielankunft als Elfter offenbarte Marquez einen bezeichnenden Sinneswandel: "Zwischen Qualifying und Sprint saß ich dann in meinem Büro. Ich musste so viel Risiko eingehen - für einen siebten Platz. Auf der ersten Runde habe ich attackiert, in Turn 11 dann aber schon die erste Warnung vom Bike bekommen. In Turn 1 erneut. Da habe ich Tempo rausgenommen und bin das Rennen einfach nur zu Ende gefahren."

Marc Marquez landete 2023 zu oft im Kiesbett, Foto: LAT Images
Marc Marquez landete 2023 zu oft im Kiesbett, Foto: LAT Images

Marc Marquez: Deutschland-GP als endgültiger Bruch mit Honda?

Nach einem Highsider im Warm Up verzichtete Marquez gar freiwillig auf einen Start im Deutschland Grand Prix. Er hatte sich eine Fraktur am linken Daumen und, wie sich später herausstellte, auch eine gebrochene Rippe und Blessuren am linken Fußknöchel zugezogen. Erstmals kamen im MotoGP-Paddock Gerüchte auf, wonach der Superstar Honda trotz gültigen Vertrages bis Ende 2024 vorzeitig verlassen könnte. Auf ein eindeutiges Bekenntnis zu seinem Arbeitgeber verzichtete der Spanier bei seiner Rückkehr in Assen. Dort zeigte Marquez erneut ein untypisches Bild. "Ich will das Wochenende einfach nur beenden. In Q1 werde ich versuchen, etwas zu pushen, um zumindest nicht aus der letzten Reihe zu starten. Die vorletzte oder drittletzte Reihe wäre für mich in Ordnung", ließ er tief blicken. Es sollte Platz 17 werden, wo er auch im Sprint ins Ziel kam - ganze 20 Sekunden hinter Sieger Marco Bezzecchi und knapp zehn hinter Bruder Alex und dem letzten Punkteplatz.

Marc Marquez kann aktuell nicht mehr mit der Spitze mithalten, Foto: LAT Images
Marc Marquez kann aktuell nicht mehr mit der Spitze mithalten, Foto: LAT Images

Am Sonntag in Assen dann der nächste Rückschlag: Die Verletzungen vom Sachsenring schmerzten zu sehr, Marquez entschied sich gegen eine Teilnahme an der Dutch TT. Anstatt um seine neunte WM-Krone zu kämpfen, wartet der MotoGP-Superstar somit seit Sepang 2022 auf Punkte in einem Grand Prix. Marquez' letzter Sieg datiert vom 24. Oktober 2021 in Misano und liegt somit mehr als 600 Tage zurück - länger musste der Spanier nie auf einen Erfolg warten. Dass sich daran in naher Zukunft etwas ändert, wirkt ob der vergangenen Wochen unwahrscheinlich. Vielmehr wird es im zweiten Saisonabschnitt um Schadensbegrenzung (und möglicherweise eine anständige Verabschiedung von Honda) gehen. Die lange Sommerpause kommt Marquez daher gerade recht: "Ich habe jetzt eineinhalb Monate Zeit, um mich körperlich und mental wieder aufzubauen."