Zu Saisonbeginn 2023 sah vieles danach aus, als würde MotoGP-Weltmeister Francesco Bagnaia in alte Muster verfallen. Der Ducati-Pilot war von Anfang an der schnellste Pilot des Jahres, doch warf er zahlreiche Punkte durch Stürze weg. In Argentinien war es Rang zwei, in Austin sogar der Sieg. Dazu kam auch noch eine Kollision mit Maverick Vinales in Le Mans. Wären nicht die Sprintrennen eingeführt worden, bei denen der Turiner klar der beste Pilot bisherigen Saison ist, dann wäre Bagnaias Vorherrschaft in der MotoGP ernsthaft ins Wanken geraten. Unser Kollege Markus Zörweg verfasste nach dem Austin-Sturz sogar einen Kommentar, in dem er Bagnaia zur Einsicht aufforderte.

Fünf Rennen nach dem Amerika GP ist klar: Der Weltmeister hat dazugelernt. Abgesehen von der Kollision mit Vinales in Le Mans ist seine Bilanz herausragend. Drei Siege und einen Zweiten Platz hat der Titelverteidiger herausgefahren. Dazu kommen Top 3 Platzierungen in jedem Sprint. Seine 194 Punkte bedeuten die klare WM-Führung. In Assen bestätigte der Weltmeister mit seinem Sieg erneut seinen Favoritenstatuts auf die Motorradkrone des Jahres 2023. Dabei fuhr er alle Stärken auf, die ihn auszeichnen.

Jubelszenen werden bei Francesco Bagnaia mittlerweile fast zur Gewohnheit, Foto: LAT Images
Jubelszenen werden bei Francesco Bagnaia mittlerweile fast zur Gewohnheit, Foto: LAT Images

Bagnaia kann MotoGP-Wochenende herumreißen

Es ist beileibe nicht so, als würde sich Bagnaia auf jeder Strecke auf seine GP23 setzen und sofort allen um die Ohren fahren. Der Italiener hat aber eine besondere Qualität: Er kann sich den Speed im Verlaufe eines Wochenendes erarbeiten. Das Rennen am Sonntag in Assen war dafür ein Paradebeispiel. Am Freitag war Bagnaias Bike noch unruhig, gegen den besser aussortierten Marco Bezzecchi hatte er keine Chance. Auch im Sprint musste er sich seinem Freund aus dem VR46-Team geschlagen geben. Im Rennen folgte dann aber seine große Stunde.

"Ich hatte keinen großen Vorteil. Gestern hat er [Bezzecchi, Anm. d. Red.] innerhalb von zwei Runden aufgeschlossen. Bei den Reifen war ich mir auch nicht sicher", gestand Bagnaia, dass er sich seines Sieges trotz früher Führung keineswegs sicher war. Doch seine Arbeit und die seines Teams hatte sich bezahlt gemacht: "Wir sind nicht gerade bestmöglich [in das Wochenende, Anm. d. Red.] gestartet, was das Gefühl [für das Bike, Anm. d. Red.] angeht. Gestern habe ich etwas erkannt, dass mein Bike nicht konnte. Ich habe dann im Warm Up etwas ausprobiert und das half mir."

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Diese Entwicklung war 2023 schon mehrmals zu sehen: "Es war wie am Sachsenring und in Jerez. Wenn man in der Lage ist, sich so zu verbessern, dann muss man damit glücklich sein." Beim Spanien GP hatte Bagnaia am Freitag sogar die Q2-Qualifikation verpasst und gewann am Sonntag dennoch. Am Sachsenring musste er sich Jorge Martin zwar hauchdünn geschlagen geben, doch im Sprint tags zuvor war er gegen den Pramac-Piloten noch komplett chancenlos gewesen. Es ist ein wiederkehrendes Muster: Ein schlechter Start ins Wochenende oder ein verwachstes Setup werfen den Weltmeister nicht aus der Bahn. Spätestens am Sonntag ist er da.

Bagnaia hat seinen größten Gegner im Griff

Doch nicht nur die Steigerung während eines Wochenendes beherrscht der Ducati-Pilot. Im Gegensatz zu Austin, wo er in Führung liegen stürzte, kann er ein Rennen mittlerweile kontrollieren. In der Motorrad-Kathedrale von Assen zeigte er dies erneut auf: "Zu Beginn war ich etwas verängstigt, weil sich die Pace so langsam anfühlte. Aber das war für alle gleich. Bei 51 Grad [Asphalttemperatur, Anm. d. Red.] ist es schwer, zu pushen. Du musst die Pace Runde für Runde managen. Die Kontrolle hatte ich, als ich neun Zehntel Vorsprung erreichte." Danach kam selbst Marco Bezzecchi nicht mehr an ihn heran, obwohl der VR46-Pilot der schnellste Fahrer des Wochenendes war.

Angesichts seiner Erfolgsserie scheint sich Bagnaias eigene Ansage zu bestätigen. Der 26-Jährige konstatierte nach seinen Stürzen zu Saisonbeginn, dass er selbst sein größter Gegner sei. Diesen hat der Italiener momentan bezwungen. Macht er nach der Sommerpause so weiter wie in den letzten Wochen, dann führt der Weltmeistertitel wohl nur über ihn. Dazu kommt auch noch, dass er die letzten drei Rennen mit einer Fraktur im Fuß bestritt. Körperlich kann und will er also noch zulegen: "Es wird wichtig sein, sich zu erholen aber auch weiterzuarbeiten. Die letzten zwei Rennen waren hart mit meiner Verletzung. Ich werde daran arbeiten, dass mein Körper wieder bei 100% ist und mich dann auf die zweite Saisonhälfte vorbereiten. Da kommen viele Rennen in Folge." Weiter geht es nach der Sommerpause in Silverstone (4. bis 6. August). Im Vorjahr gewann dort - sie ahnen es - Francesco Bagnaia.