Der Sieger war nicht infrage zu stellen. Max Verstappen gewann in Bahrain den Start und fuhr im Rennen kontinuierlich Zeit auf seine 19 Verfolger heraus, bis in Runde 57 die Uhr bei 22,457 Sekunden stehenblieb. Sieg mit einem Boxenstopp Vorsprung - die Formel 1 stöhnt. Ist die Saison 2024 bereits abzuschreiben? Die erste Renn-Analyse von Motorsport-Magazin.com prüft nach, inwiefern Red Bulls Verfolger in Bahrain unter Wert geschlagen wurden.

Denn auf den zweiten Blick scheint das tatsächlich der Fall. Sowohl Ferrari als auch Mercedes hatten im Rennen mit Problemen zu kämpfen. Charles Leclerc hätte eigentlich auf Pole stehen sollen. Viele Faktoren verhalfen Verstappen am Ende zur 22-Sekunden-Lücke, nicht nur seine eigene Pace.

Hat die Verstappen-Konkurrenz den Rückstand verkürzt?

Zuerst einmal gilt es die eigentliche Lücke einzuordnen. Der erste Nicht-Red-Bull im Ergebnis ist Carlos Sainz auf dem dritten Platz mit 25,110 Sekunden Rückstand. Das ist genug für einen Zusatz-Stopp. Aber verglichen mit dem Ergebnis vor zwölf Monaten ein deutlicher Rückschritt für Red Bull. 2023 war der erste Nicht-Red-Bull Fernando Alonso gewesen, mit einem Rückstand von satten 38,637 Sekunden.

Errechnet man aus allen fliegenden Runden einen Durchschnittswert, so verlor Alonso im Vorjahr 0,680 Sekunden pro Runde auf Verstappen. 2024 führt Sainz die Tabelle mit 0,449 Sekunden an. Das ganze Feld ist außerdem enger zusammengerückt. Im Vorjahr schaffte es nur Ferrari bis auf unter eine halbe Sekunde an Verstappen heran. 2024 schafften es Fahrer von Ferrari, Mercedes, McLaren und Aston Martin.

Über zwölf Monate hinweg gibt es also klare Fortschritte. Wenn man die Daten jedoch weiterdreht und nur auf die Winterpause ausrichtet - sprich Bahrain mit Abu Dhabi vergleicht - relativiert sich das Bild etwas. Wegen unterschiedlicher Strecken ist der Rückstand des besten Fahrers der vier Verfolgerteams auf Verstappen hierfür in Prozent umgerechnet.

Hier ist der Unterschied an der Spitze deutlich geringer. Ferrari und Mercedes kamen etwas näher, McLaren ist etwas weiter weg. Fernando Alonsos starkes Qualifying relativiert sich bei einem Blick auf den Rennvergleich sofort. In diesem ist seit Abu Dhabi tatsächlich gar kein Fortschritt zu erkennen. Ferrari bleibt erster Verfolger. In Abu Dhabi war Leclerc näher dran als Sainz.

Jetzt beginnen aber die Probleme. Denn die Teams sind alle mit brandneuen Autos mit teils großen Änderungen nach Bahrain gereist. Und an der Spitze hatten alle Teams Defizite auf allen möglichen Ebenen zu beklagen. Es lohnt also ein Blick in die Details.

Ferraris Probleme: Pole-Patzer & Bremsen verheizt

Ferrari war auf eine Runde in Bahrain sogar das schnellste Auto. Charles Leclerc fuhr "Bestzeit" im Qualifying. Pech für ihn: Er tat das in Q2. Als in Q3 abgerechnet wurde, hatte er nur einen neuen Soft-Reifen übrig. Denn in Q1 hatte er zwei verheizt, weil Ferrari ihn aus Angst, dass die erste Runde nicht reichen könnte, noch einmal rausgeschickt hatte. So musste Leclerc Q3 erst auf gebrauchten Soft eröffnen und fand dann den Rhythmus im entscheidenden zweiten Run mit neuen Soft nicht.

Ist der Ferrari aber wirklich eine Verbesserung? Immerhin kämpfte Leclerc auch am Ende des Vorjahres um Poles. Ein Unterschied ist in den Daten aber sehr wohl sichtbar. In den schnellen Kurven im Mittelsektor macht der neue SF-24 sichtlich Boden auf seinen Vorgänger gut. Der war dafür bekannt, zum einen windanfällig, um anderen in schnellen Kurven schlecht ausbalanciert zu sein.

Das machte sich für Ferrari vor allem im Renntrimm bezahlt. Leclerc und Sainz waren in der Endabrechnung klar die zweite Kraft. Im Vorjahr startete man in Bahrain mit einem Renn-Defizit von grob acht Zehnteln in die Saison. Dieses Jahr verkürzte Carlos Sainz dieses auf unter fünf. Und das, obwohl beide Autos unter signifikanten Problemen mit den Bremsen litten.

Ferrari-Pilot Charles Leclerc vor Sergio Perez im Red Bull
Charles Leclerc hatte massive Bremsprobleme, Foto: LAT Images

Das ist der letzte Faktor in der Ferrari-Gleichung. Asymmetrisch überhitzten die Vorderbremsen, bei Leclerc mit über 100 Grad Unterschied. Beide Fahrer mussten im Rennen die Temperatur managen. Die Ursache ist noch offen. Am Optimum operierte Ferrari so nicht. Und Sainz hebt hervor: "Auf Strecken, wo die Front der limitierende Faktor ist, erwacht unser Auto hoffentlich mehr zum Leben." Bahrain, wo die Hinterachse gefordert ist, passt nicht zum SF-24.

Mercedes' Probleme: Rennpace-Mangel oder Kühlfehler?

Für Mercedes war Bahrain ein stetes Ab. Den ersten Tag beendete Lewis Hamilton mit klarer Bestzeit. Den zweiten Tag beendete George Russell mit einem respektablen dritten Rang im Qualifying. Am dritten Tag hatte man Schwierigkeiten, McLaren im Rennen niederzuringen.

Das Qualifying war relativ zum Vorjahr ein klarer positiver Schritt. Russells dritter Platz mit nur drei Zehnteln Rückstand ist ein großer Sprung, verglichen mit dem Vorjahr wurde der Rückstand halbiert. Der W15 ist in den langsamen Ecken ein Schritt nach vorne, ohne Abstriche machen zu müssen.

Zumindest ohne Abstriche im Qualifying. Wer auf die Longruns achtete, der sah schon am ersten Tag Probleme. Das Team bemühte sie mit Setup-Änderungen abzufedern, der Erfolg war mäßig. Im Rennen begannen sich weitere Probleme schnell zu sammeln. Eine überhitzende Power Unit machte besonders George Russell zu schaffen.

Chancenlos! Warum waren Mercedes, Ferrari & Co so schlecht? (26:14 Min.)

Sein durchschnittlicher Verlust auf Verstappen betrug pro fliegender Runde acht Zehntel, gerade einmal ein Zehntel besser als im Vorjahr. Später bezifferten er und das Team die durch die Probleme verlorene Zeit grob mit vier bis fünf Zehnteln. Zieht man die ab, wäre Russell auf Sainz-Niveau. Problem nur: Auch die Ferrari hatten ihre Hitzesorgen, wie bereits angesprochen. Das hinterlässt ein doch signifikantes Fragezeichen um die Mercedes-Rennpace.

McLarens Probleme: Das Anti-Bahrain-Auto

Bei McLaren sind Vergleiche mit Bahrain 2023 kaum relevant. Zu groß waren die Probleme des letztjährigen Autos gewesen. McLaren hat aus der Spitzengruppe aber wohl auch das am wenigsten revolutionäre Auto 2024 am Start. Das bedeutet die gleichen Stärken wie am Ende des Vorjahres. Und die gleichen Schwächen.

Lando Norris holte im Qualifying Bestzeit im Mittelsektor. In Highspeed-Kurven ist auch der neue McLaren eine Macht, oft schneller als der Red Bull. "Mal schauen, wo wir in Jeddah sind, dieses Layout sollte unserem Auto besser passen", kündigt Teamchef Andrea Stella an. Die langsamen Kurven und Traktionszonen von Bahrain waren für McLaren nicht gut. "Auf unserer Seite brauchen wir mehr Abtrieb und mehr mechanischen Grip." Infolgedessen baute man auch mehr Flügel auf das Auto, um die Defizite zu kompensieren.

Ein konservatives Herangehen, dass sich im Rennen sogar bezahlt machte, als es ans Reifenschonen ging. Den strauchelnden Mercedes rückte man auf den Pelz. Ärgerlich für Lando Norris: Er verpatzte im Qualifying den letzten Q3-Schuss. Wäre er vor Russell gestartet, waren die Top-5 wohl drin.

Red Bulls Probleme? Bahrain über oder unter dem Potenzial?

Keiner der Red-Bull-Jäger kann also ein besonders beeindruckendes erstes Wochenende mit Maximierung seines Potenzials vorweisen. Bleibt nur noch die Frage: Wie lief es für Red Bull? Besser oder schlechter als gedacht? Schließlich klagte man zu Beginn des Wochenendes über relativ zum Test verlorengegangene Pace.

Dafür verantwortlich gemacht wurden kühlere Temperaturen und andere Windrichtungen. Besonders im Qualifying machte das dem RB20 zu schaffen. Im Rennen weniger. Aber zumindest Verstappen schien nah dem Maximum: "Ich glaube, heute lief es sogar besser als erwartet. Das Auto war auf allen Reifenmischungen wirklich gut zu fahren."

Die Konkurrenz zweifelt ebenso, dass das Bahrain-Ergebnis indikativ für die durchschnittliche Red-Bull-Performance ist. "Bahrain war schon 2023 stark für sie, das scheint ihren Auto-Eigenschaften entgegenzukommen", meint Andrea Stella. Der Red Bull ist gut darin, die Hinterreifen zu schonen, und keine Strecke fordert die so wie in Bahrain. Damit gilt es auch die gigantische Vorjahres-Lücke von 38 Sekunden einzuordnen. Bei fast allen anderen Rennen war sie kleiner.

Fazit: Ist die Formel 1 2024 enger? Ja, drei der Verfolger sind dieses Jahr besser aufgestellt in die Saison gestartet. Ist Max Verstappen in ernster Gefahr? Nein, aktuell nicht. Aber wenn die Konkurrenz ihre Probleme aussortiert und auf vorteilhaftere Strecken kommt, ist zumindest nichts garantiert. Zumindest zum kompletten Abschreiben der restlichen 23 Rennen ist es zu früh. Selbst wenn es unwahrscheinlich scheint, dass Verstappen über den Jahresverlauf geschlagen werden kann.