2010, in seiner ersten Saison, war Nico Hülkenberg einer von sieben. Einer von sieben deutschen Formel-1-Piloten. Hülkenberg galt als eines der größten Talente im Formel-Sport überhaupt. Gemanagt wurde er von keinem geringeren als Willi Weber, der Michael Schumacher zum bis dato erfolgreichsten Formel-1-Piloten der Geschichte gemacht hatte. In seiner Rookie-Saison gewann Hülkenberg 2009 die GP2.

Meistertitel in der Rookie-Saison: Es ist die höchste Auszeichnung für einen Nachwuchsrennfahrer. Im Jahr ihres Meistertitels unterscheiden sich gute Rennfahrer von Ausnahmetalenten. Nico Rosberg, Lewis Hamilton, Nico Hülkenberg, Charles Leclerc, George Russel und zuletzt Oscar Piastri - die Liste der Rookie-Champions in GP2, respektive Formel 2, ist kurz und illuster. Und doch wollte Hülkenberg der Durchbruch in der Formel 1 nicht gelingen.

Hülkenbergs Negativ-Rekord: 203 Rennen ohne Podium

Haas-Fahrer Nico Hülkenberg
Hülkenberg hält den Rekord für die meisten Formel-1-Starts ohne Podium, Foto: LAT Images

Schon nach einem Jahr Williams war vorerst wieder Schluss. Zwischen 2012 und 2016 pendelte der Emmericher dann zwischen Force India und Sauber bei Mittelfeldteams. Der große Sprung war der Werksvertrag mit Renault 2017 nur finanziell, der endgültige Durchbruch in der Formel 1 blieb aus, das so heiß ersehnte Podium ebenfalls. Ende 2019 war Schluss, Esteban Ocon schnappte Hülkenberg das Renault-Cockpit weg. Das einstige deutsche Supertalent wurde erneut in die Formel-1-Rente geschickt.

Corona kam ihm entgegen, Ersatzfahrer waren so gefragt wie nie. Immerhin fünf Rennen durfte Hülkenberg für Racing Point und Aston Martin in drei Jahren fahren. Als Experte für den österreichischen TV-Sender ServusTV blieb er stets nah an der Formel 1 dran. 2023 gelang ihm das zweite Comeback. Weil er das Haas-Cockpit von Mick Schumacher übernahm, ist er der letzte verbliebene deutsche Formel-1-Pilot.

Auch wenn es die Ergebnisse nur bedingt widerspiegeln, mit bald 36 Jahren erlebt Hülkenberg seinen zweiten Frühling in der Königsklasse. Die Wasserstoffperoxid-blondgefärbten Haare passen nur bedingt zu den ersten Stirnfalten, seine Mentalität dafür deutlich besser zu jener von Teamchef Günther Steiner. Während Schumacher mit den Ergebnissen und Steiner zunehmend verkrampfte, scheint Hülkenberg die Leichtigkeit des Fahrens erst jetzt so richtig gefunden zu haben.

Zweite Chance in der Formel 1: Hülkenberg im Interview

Christian Menath: Wärst du ohne den Boom der Formel 1 heute noch, respektive wieder in der Formel 1? 2019, in deiner letzten Renault-Saison, war die Formel 1 eine andere. Damals gab es statt Budgetobergrenze noch Paydriver. Hättest du dir da ein so kleines Team noch 'angetan'?
Nico Hülkenberg: Das ist mal eine Frage [lacht]. Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, aber ich würde glauben: Ja. Ich kann nur spekulieren, wie ich vor ein paar Jahren reagiert oder entschieden hätte. Die Dinge verändern sich, das Leben ist dynamisch. Nach ein paar Jahren hast du nicht den Luxus, wenn du nach drei Jahren Abstinenz zurückkommen willst, dass du dir einfach den Red Bull unter den Nagel reißen darfst. Selbst wenn ich sage: Ich fahre für lau oder ich zahle euch, hätten die das trotzdem nicht gemacht.

Wolltest du um jeden Preis wieder in die Formel 1?
Ich wollte sie auf jeden Fall wieder, ja.

Ab 2020 wurde Hülkenberg von Racing Pointals als Ersatzpilot verpflichtet, Foto: LAT Images
Ab 2020 wurde Hülkenberg von Racing Pointals als Ersatzpilot verpflichtet, Foto: LAT Images

Was genau hat dir gefehlt?
Der Kick, der Reiz, der Zweikampf, der Wettkampf. Vor allem der Wettkampf macht Spaß. Das lässt einen lebendig fühlen, dieser Kitzel auf dem Grid vor dem Start. Die Qualifyings sind auch sehr, sehr cool und intensiv. Und es ist auch einfach die Liebe zum Fahren.

Wolltest du dir selbst noch etwas beweisen?
Nein. Ich mache es für mich, aber nicht, weil ich mir etwas beweisen muss.

Das Jahr hat vielversprechend begonnen, wurde aber zunehmen schwieriger. Gab es schon einen Moment, in dem du dir dachtest: Hätte ich es doch lieber sein lassen, wäre ich doch lieber zu Hause bei der Familie?
Nein. Hand aufs Herz: Den gab es nicht. Aber gleich ist es so weit, wenn du noch weiter so fragst. [lacht]

Was war für dich die größte Herausforderung beim Comeback?
Ich sage mal so: Dadurch, dass ich mit so viel Erfahrung im Sack angetreten bin, wusste ich, was auf mich zukommt: Egal ob bei den Strecken, der Arbeit, egal was, da hilft einem die Erfahrung einfach sehr. Wahrscheinlich war es körperlich am schwersten. In den drei Jahren habe ich natürlich viel weniger gemacht und habe viel mehr gelebt. Ich musste ordentlich abnehmen und richtig schwitzen und leiden im Gym. Den ganzen Winter über gab es nicht einen Tag, an dem ich ohne Muskelkater aufgestanden bin. Das ist physisch hart am Anfang, sich da wieder hinzuarbeiten.

Stundenlage Einarbeitung in Technik-Details: Ist Hülkenberg Typ Vettel?

Ist es fair zu sagen, dass du deine ganze Karriere über schon der 'Typ Naturtalent' warst, du nicht so verkopfst?
Ja, so bin ich. So kann man mich beschreiben. Dieses Überdenken führt nur zu Komplikationen, da bist du nicht frei im Kopf. Als Rennfahrer musst du eine gewisse Freiheit im Kopf haben und es einfach fliegen lassen. Natürlich müssen wir beim Setup denken und Zusammenhänge verstehen und auch eine gewisse Intelligenz haben, aber irgendwann musst du einfach mal das Gaspedal durchdrücken und es fliegen lassen.

Der 'Typ Ingenieur' oder 'Typ Vettel', der sich stundenlang in technische Details einarbeitet, ist weniger das Deine?
Doch! Frag mal Günther [Steiner, Teamchef]. Ich habe jede Woche mehrere Meetings mit meinen Ingenieuren, mit ihm und auch mit den Designern. Das bekommt keiner mit, da rede ich auch nicht darüber. Neben der Strecke und zwischen den Rennen passiert auch viel.

Hülkenberg mit Haas-Teamchef Günther Steiner, Foto: LAT Images
Hülkenberg mit Haas-Teamchef Günther Steiner, Foto: LAT Images

Bist du mit der Leichtigkeit, gepaart mit der Erfahrung jetzt zum kompletten Rennfahrer geworden?
2019 war ich auch ein kompletter Rennfahrer, aber jetzt ist es ein anderes Gefühl. Es sind weitere vier Jahre und in diesen vier Jahren sind einige Dinge passiert, einige Sachen haben sich verändert. Jetzt stehe ich einfach sehr gut da. Ich bin sehr glücklich in meiner Haut, da wo ich bin. Auch bei einem kleinen Team, auch bei den Problemen, die wir haben, macht mir das trotzdem Spaß.

Ich sehe das als Herausforderung, dass wir das Ruder herumreißen. Das wird nicht in ein paar Wochen gehen, aber langfristig hoffe und glaube ich daran, dass wir uns verbessern können. Mir gefällt es, Teil dieses Prozesses zu sein. Mir gefällt es, zu den Rennen zu reisen und einfach rauszugehen und es fliegen zu lassen. Einfach alles, da hat man eine gute Balance.

Eine Pause macht etwas mit einem Menschen. Oftmals lernt man in den Pausen mehr als beim Machen selbst, man verarbeitet die Dinge und versteht sie erst. Gilt das auch für einen Formel-1-Fahrer?
Ich glaube, das ist in diesen drei Jahren ein Stück weit passiert. Nicht bei allem, aber trotzdem kannst du anders reflektieren, wenn du mal richtig weg bist. Du kannst das Ganze anders verarbeiten. Wenn du immer hier drin bist - wir haben auch viel Freizeit und Pausen dazwischen - aber trotzdem bist du nie ganz weg und befreit.

Haas-Fahrer Nico Hülkenberg
2023 beendete Hülkenberg auf dem 16. Gesamtrang, Foto: LAT Images

Ich glaube schon, dass mir die Pause da sehr gutgetan hat. Der Blickwinkel ist angepasst beziehungsweise verändert worden. Die Wertschätzung ist wieder mehr da. Als ich 2019 rausgegangen bin, da sieht jeder immer nur die Formel-1-Zeit. Aber in meinem Kopf denke ich ab der Kart-Zeit. Ab der Kart-Zeit war das Mindset immer dasselbe: Ich will Formel-1-Fahrer werden. Du nimmst das ultraernst, bist sehr professionell und immer am Ball.

2020 war das erste Mal, dass ich da Abstand genommen und relaxt habe. Dieser Abstand hat geholfen, im Kopf wieder alles ein bisschen zurechtzurücken. Das kann man nicht an einzelnen Sachen festmachen, das ist natürlich eine größere und komplexere Geschichte. Das ist ein Prozess, der passiert teilweise bewusst und teilweise auch einfach unterbewusst.

Reifenprobleme bei Haas: 95 Prozent das Auto, 5 Prozent der Fahrer

Liegen dir die Autos in der Ground-Effekt-Ära besser?
Im Vergleich zu 2019? Das würde ich so nicht unterschreiben. Das glaube ich nicht.

Haas-Fahrer Nico Hülkenberg
Haas' Achillesferse? Der hohe Reifenverschleiß, Foto: LAT Images

Der Reifenverschleiß ist seit Saisonbeginn für euch ein leidiges Thema. Wie groß ist der Einfluss des Fahrers, wie groß der Einfluss des Autos?
95 Prozent das Auto und 5 Prozent der Fahrer.

5 Prozent?
Ok, wir runden auf, auf 10 Prozent.

Die Ergebnisse vor der Sommerpause - den Österreich-Sprint einmal ausgenommen - waren nicht gut. Wird es trotzdem langsam besser mit dem Reifenverschleiß?
Das würde ich nicht so sagen. Anfang des Jahres hatten wir viele Einstopp-Rennen dabei. Das waren Rennen mit weniger Reifenverschleiß und die helfen uns natürlich. Bei allem, was High-Deg ist, kommt es bei uns noch ein bisschen deutlicher heraus. Man sieht es auch von außen mehr, dass wir da ein Defizit haben.

Dafür gibt es dort mehr Boxenstopps und die Stints werden kürzer...
Aber trotzdem geht es sich nicht aus. Die Einstopp-Rennen waren da hilfreicher.

Fühlt man sich da hilflos, wenn man ein super Qualifying fährt und dann 90 Prozent des Reifenverschleiß vom Auto kommen?
Hilflos nicht, aber in diesem Moment im Rennen weiß ich: Ich kann hier alles machen, kann jede Kurve, jede Runde, jeden Input perfekt machen, aber es wird trotzdem nicht reichen. Nur da bin ich nicht der einzige, das haben andere Fahrer auch. Nur der, der gewinnt, ist damit glücklich. Alle anderen sind auch nicht glücklich, aber das ist Teil des Weges, Teil des Prozesses. Deswegen bin ich auch froh, hier dabei zu sein. Ich hoffe und glaube, dass wir uns da verbessern können. Nicht in ein paar Wochen, aber langfristig ist es das Ziel und auch die Aufgabe, dass wir das Defizit beheben.

Hülkenberg über seine Zukunft: Kann mir vorstellen, noch einige Jahre zu fahren

Haas-Fahrer Nico Hülkenberg im Paddock
Für sein Karriereende hat Hülkenberg noch keine konkreten Pläne, Foto: LAT Images

Wird Haas deine letzte Station in der Formel 1 sein?
Das weiß ich nicht. Es kommt immer darauf an, wie ich mich fühle, wie ich meine Leistung sehe. Bin ich noch konkurrenzfähig hier zwischen den ganzen jungen Hühnern? Aber woher soll ich wissen, wie ich mich in einem Jahr fühle? Stand heute sieht es gut aus und ich kann mir vorstellen, noch einige Jahre zu fahren.

Du hast sogar schon während deiner Formel-1-Zeit andere Dinge ausprobiert, hast die 24 Stunden von Le Mans gewonnen. Kannst du dir danach auch noch vorstellen, etwas anderes zu fahren? 24 Stunden Nürburgring vielleicht?
Das hängt ein bisschen davon ab, wann wirklich ultimo ist, wann der Formel-1-Helm wirklich an den Nagel gehängt wird. Und dann hängt es natürlich auch davon ab, was in den anderen Alternativserien gerade los ist. Das kann ich ehrlich gesagt nicht konkret beantworten. VLN oder die Nürburgring-Nordschleife, das wäre natürlich mal eine andere Geschichte, das nochmal zu meistern und da etwas zu machen. Das ist die anspruchsvollste Strecke der Welt. Aber später, nach der Formel 1, will ich vielleicht auch ein bisschen etwas Entspannteres. Barbecues, acht Bier und dann am nächsten Tag Hauruck. Wir werden sehen.

Pierre Gasly gehört zu Top-3-Fahrern

Eine Frage, die uns alle seit Wochen beschäftigt: Wie viel hat dir Pierre Gasly dafür bezahlt, dass du ihn neben Max Verstappen und Fernando Alonso zu den Top-3-Fahrern in der Formel 1 gezählt hast?
Bei Pierre unterschätzt man, dass er einen Teamwechsel hinter sich hat und auf Anhieb auf einem sehr guten Niveau ist. Die meisten Fahrer, und ich spreche aus Erfahrung, brauchen Zeit, bis alles mit dem Auto und dem Team geschmiert läuft. Das dauert in der Regel und er ist auf Anhieb auf Estebans Niveau gefahren und im Quali sogar oft davor. Ich sehe das als starke Leistung an.

Werden solche Dinge von uns unterschätzt?
Man sieht alles von außen, aber man kann es von außen nicht so gut beurteilen, denn es ist ein Gefühl. Du als Journalist kannst nicht nachvollziehen, wie anders das ist und wie anders die Dynamiken sind, weil du nicht im Auto sitzt. Das sind alles Prozesse, die dauern, bis man sich wirklich komplett darauf eingestellt und seinen Fahrstil angepasst hat. Vor allem jetzt ohne Testen und mit den sehr begrenzten Fahrzeiten an einem Rennwochenende ist das in der Regel etwas, das lange dauert. Und ich finde, das hat er sehr, sehr schnell und sehr gut hinbekommen.

Dieses Interview erschien in Ausgabe 92 unseres Print-Magazins. Am Ende des Jahres veröffentlichen wir traditionell einen kleinen Teil unserer Print-Artikel kostenfrei auf der Website. Bestelle das Motorsport-Magazin direkt auf unserer Webseite.