From Hero to Zero in wenigen Runden: George Russell machte den Singapur GP 2023 in den Schlussrunden im wahrsten Sinne des Wortes zu einem Kracher. Eine spektakuläre Aufholjagd endete für den Mercedes-Piloten im Kampf um den Sieg in der letzten Runde in der Streckenbegrenzung. Schrott statt Champagner für Russell.

Den gesamten GP über verzweifelte Russell an den Ferrari-Piloten. Am Start verlor er Platz zwei an Charles Leclerc, an dem er im ersten Stint keinen Weg vorbeifand, obwohl die Ferrari an der Spitze aus taktischen Gründen absichtlich langsam fuhren.

Als bei einer Safety-Car-Phase in Runde 21 fast das gesamte Feld zum Boxenstopp kam, gewann Russell die Position gegen Leclerc wieder zurück. Von nun an durfte er das Heck des Ferrari von Carlos Sainz studieren, der erneut absichtlich langsam machte. An ein Überholmanöver war aber nicht zu denken.

Polesetter Carlos Sainz Jr. führt nach dem Start vor Charles Leclerc und George Russell
Am Start verlor Russell eine Position an Leclerc, Foto: LAT Images

In einer späten VSC-Phase ging Mercedes All in und holte in Runde 45 von 62 als einziges Team in der Spitzengruppe seine Fahrer zu einem zweiten Reifenwechsel an die Box. Russell fiel verlor dabei zwei Positionen an Lando Norris und Charles Leclerc, konnte aber den Extra-Grip seiner frischen Medium-Pneus in freier Fahrt nutzen.

Zwei Sekunden war der Brite zeitweise schneller als die Führungsgruppe, der Leclerc inzwischen nicht mehr angehörte. Den Monegassen konnte Russell schnell überholen. In den Schlussrunden schloss Russell auch noch auf Sainz und Norris auf und kämpfte um den Sieg.

In einem Herzschlag-Finale beging Russell aber einen kostbaren Fehler. Norris direkt vor ihm berührte die Mauer am Eingang von Kurve sieben leicht, Russell holte weiter aus und touchierte die Streckenbegrenzung mit der rechten Vorder- und Hinterradaufhängung stärker. Zu stark: Die Aufhängungen brachen, Russell rutschte geradeaus in die Tecpro-Barriere.

Russell am Boden zerstört: Herzzerreißend

"Nein, nein", funkte er völlig aufgelöst aus dem Cockpit. Russell konnte aus eigener Kraft aussteigen, aber der Schock über das zumindest verlorene Podium sitzt tief. "Ich habe keine Worte", sagte Russell später im TV.

Schließlich fand er doch noch die richtigen Worte: "Es war so ein langes Rennen, so körperlich und es war schwierig, konzentriert zu bleiben. In der letzten Runde hatte ich dann einen Mini-Konzentrationsfehler und ich habe alles verloren. Das ist herzzerreißend nach so einem tollen Wochenende mit einer mutigen Strategie. Ich habe des Gefühl, dass ich das Team hängen gelassen habe. Aber wir werden zurückkommen."

Der 25-Jährige haderte aus mehreren Gründen mit seinem Schicksal. Einerseits machte ihm die Fahrweise von Sainz zu schaffen: "Es war so ein komisches Rennen, weil Carlos die Pace so gemanagt hat. Und es war sehr heiß, die ganze Zeit direkt hinter einem anderen Auto zu fahren. Anderthalb Sekunden langsamer zu fahren, das fühlt sich nicht an wie in einem Rennauto. Es ist schwierig, da konzentriert zu bleiben. Aber es war nur normal, dass er so gefahren ist, denn wenn er schneller gefahren wäre, hätte uns der Reifen-Vorteil etwas gebracht."

Halbe Fahrzeuglänge fehlt Russell zum Sieg

Auf der anderen Seite hatte er den Sieg schon vor Augen, als er eine Runde zuvor schon fast an Norris vorbeigegangen war. "Eine halbe Fahrzeuglänge hat gefehlt und ich hätte das Rennen gewonnen. Dann wäre ich vorbei gewesen und Carlos hätte kein DRS gehabt. Stattdessen beende ich mein Rennen in der Wand. Ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte. Vielleicht war es die Konzentration, vielleicht Frustration."

Die Art des Fehlers minderte seinen Schmerz zumindest etwas: "Wenn ich mich verbremst oder gedreht hätte, dann würde ich mich ganz anders fühlen. Dieser Fehler war nichts. In der letzten Runde die Mauer zu berühren ein jämmerlicher Fehler." Ein Fehler, bei dem vielleicht auch Norris etwas mitgeholfen hatte? "Es ist unglaublich, wie schnell der Kopf umschaltet. Ich sah Lando noch, wie er die Mauer berührte und ich dachte mir: Oh, er hat die Mauer berührt. Und zwei Zehntel später treffe ich die Mauer."

"Es war aber definitiv nicht wegen Landos Berührung", meint Russell. "Ich lasse mir nicht von einer Kurve ein ganzes, perfektes Wochenende kaputt machen", zeigte sich der Mercedes-Pilot kämpferisch. "Davon lasse ich mich nicht unterkriegen. Es wird ein harter Abend und vielleicht noch ein harter Morgen, aber dann lasse ich das hinter mir."

Wolff verteidigt Strategie: War das Risiko wert

Rückendeckung gab es von seinem Boss. "Es waren Sekundenbruchteile. Lando küsst die Wand, er berührt sie viel zu stark. Aber sie haben am Ende so gepusht, da kann das einfach passieren", sagte Mercedes Motorsportchef Toto Wolff bei Servus TV.

"Er ist ein junger Fahrer, es ist sein zweites Jahr in einem schnellen Auto. Mir ist es lieber, das passiert im Kampf um einen dritten Platz als im Kampf um den Sieg - wie es in Zukunft sein wird", kündigte Wolff an. Allerdings war der Sieg durchaus möglich. "Zwischenzeitlich hat unsere Prognose gesagt, dass wir auf eins und zwei landen würden. Dann ging aber nichts mehr und es waren die Plätze drei und vier. Es war das Zocken aber wert", so Wolff.