Max Verstappen ist Formel-1-Weltmeister 2022! Oder doch nicht? Diese Frage stellten sich nach dem Japan GP Millionen von Menschen, nachdem die Stewards eine 5-Sekunden-Strafe gegen Charles Leclerc ausgesprochen hatten. Leclerc verlor damit Platz zwei, Sergio Perez erbte den Silberpokal von ihm. Plötzlich war Verstappen Weltmeister, oder eben doch nicht?

Johnny Herbert erklärte Verstappen bei den Parc-ferme-Interviews zum Titelträger. Das Team selbst hatte aber errechnet, dass es noch nicht gereich hat, auch mit Leclerc-Strafe. Schließlich war Verstappen nicht mehr Weltmeister.

Auf dem Weg zur Siegerehrung erklärte Zeremonienmeister Alexandre Molina den Niederländer wieder zum Champion, auch Jenson Button, der die Podiumsinterviews durchführte, gratulierte. Verstappen musste sich vor dem Podium noch einen Highlight-Zusammenschnitt seiner zweiten WM-Saison ansehen.

Volle Punkte, volle Verwirrung

Irgendwann sickerte dann durch, weshalb Verstappen den Titel tatsächlich schon in Suzuka gewonnen hatte: Zwar wurden nur 28 der geplanten 53 Runden gefahren, trotzdem wurde die volle Punktzahl vergeben.

Fast alle gingen davon aus, dass der Rennsieger nur 19, der Zweitplatzierte 14 und der Drittplatzierte 12 Punkte erhalten würden, weil weniger als 75 Prozent der Renndistanz absolviert wurden. Seit dieser Formel-1-Saison gibt es vier verschiedene Punkteschlüssel, je nachdem welche Renndistanz absolviert wird.

PlatzSäule 1Säule 2Säule 3Volle Punkte
1 6 13 19 25
2 4 10 14 18
3 3 8 12 15
4 2 6 9 12
5 1 5 8 10
6 0 4 6 8
7 0 3 5 6
8 0 2 3 4
9 0 1 2 2
10 0 0 1 1

Säule 1: 2 Runden - weniger als 25%
Säule 2: 25% - weniger als 50%
Säule 3: 50% - weniger als 75%
Volle Punkte: 75% - 100%

Nach dem sogenannten Säule-3-Punkteschlüssel hätte es für Verstappen nicht zum vorzeitigen Titelgewinn gereicht. Er musste auf Leclerc acht, auf Perez sechs Punkte gutmachen. Weil er den Extra-Punkt für die schnellste Rennrunde nicht holte, hätte er nach dem 50-75-Prozent-Sytem nur sieben Punkte auf Leclerc und fünf Punkte auf Perez gutgemacht. Ein Punkte hätte zum Titelgewinn gefehlt.

Nach dem regulären Punkteschlüssel reichte es aber auch ohne schnellste Rennrunde, weil Leclerc Platz zwei verloren hatte. So baute er seinen Vorsprung auf den Monegassen um zehn Punkte aus, den auf Teamkollege Perez um sieben Punkte.

28 Runden entsprechen rund 53 Prozent der eigentlichen Renndistanz. Warum wurde trotzdem nicht der Punkteschlüssel von Säule drei angewandt? Das Problem liegt in der Formulierung des Reglements. In Artikel 6.5 heißt es, dass die entsprechenden Punkteschlüssel zur Anwendung kommen, wenn das Rennen unterbrochen und nicht mehr gestartet wird. Kurz gesagt: Das Rennen muss abgebrochen werden.

Der Japan GP 2022 wurde unterbrochen, konnte aber wiederaufgenommen werden. Am Ende konnte die volle Renndistanz nicht zurückgelegt werden, weil die Drei-Stunden-Marke das Rennen vorzeitig beendete. Damit wurde das Rennen aber nicht abgebrochen.

Red Bull und Ferrari auf dem falschen Dampfer

"Die Regeln müssen sicherlich nachgebessert werden", meint Red Bull Teamchef Christian Horner. "So war das nicht angedacht", gibt er zu. Nach dem Spa-Chaos im vergangenen Jahr hatte man die Regeln extra geändert, sodass die Punkte leistungsgerechter vergeben werden. Mindestens zwei Runden müssen zudem im Renntempo ohne Safety Car erfolgen.

Durch den Formulierungsfehler im Reglement hat man aber den in Japan eingetretenen Fall nicht berücksichtig. Theoretisch reichen in einem solchen Fall zwei Runden, um die vollen Punkte zu vergeben.

"Wir waren verwirrt, wir dachten, es würde weniger Punkte geben", sagte Ferrari Teamchef Mattia Binotto, der sich als fairer Verlierer gab: "Die FIA hat das klargestellt und wir akzeptieren es. Es ist ein Detail, das für die Zukunft klargestellt werden muss."

Red Bull: Extra-Boxenstopp für den WM-Titel?

Fast wäre es zu einer richtig kuriosen Situation gekommen: Weil Red Bull selbst auch mit einer reduzierten Punktevergabe rechnete, den Titel aber in Japan gewinnen wollte, gab es Überlegungen, Verstappen für einen Reifenwechsel an die Box zu holen, damit er sich den Punkt für die schnellste Rennrunde hätte können.

"Wir waren uns aber nicht sicher, ob sein Vorsprung gereicht hätte. Und es war auch nicht klar, ob Sergio an Charles vorbeigegangen wäre", erklärte Horner, warum man schließlich doch nicht stoppte. Im Nachhinein wäre es ein unnötiges Risiko gewesen.

Vom Chaos unbeeindruckt war der alte und neue Weltmeister: "Um ehrlich zu sein, es ist mir egal, dass es etwas verwirrend war. Ich fand es sogar ein bisschen lustig. Es ändert das Ergebnis ohnehin nicht. Als ich die Linie überfahren habe, war es ohnehin noch nicht genug, auch mit vollen Punkten. In diesem Szenario hätte es also nichts geändert."