Mercedes F1W08 EQPower+: Technik-Check im Schnelldurchlauf: (03:54 Min.)

Mercedes präsentierte am Donnerstag in Silverstone den neuen Boliden für die Formel-1-Saison 2017. Die erste kleine Überraschung gab es schon beim Namen: F1 W08 EQ Power+ heißt der neue Dienstwagen von Lewis Hamilton und Valtteri Bottas. Auch die Power Unit wurde neu getauft: Sie hört nun auf den Namen M08 EQ Power+. Doch abseits des Marketings ist der neue Mercedes noch deutlich interessanter: Der Technik-Check.

Der erste Blick: atemberaubend. Mercedes hat es auch mit dem neuen Reglement geschafft, ein extrem ästhetisches Auto auf die Räder zu stellen. Dank der neuen Dimensionen von Reifen, Wagenbreite und Flügeln sieht der F1 W08 so spektakulär und aggressiv aus, wie lange kein Formel-1-Auto mehr.

Doch was für den Force India VJM10 in positiver Hinsicht gilt, gilt für den Mercedes in negativer: Schnell muss das Auto sein, nicht schön. Aber die Ingenieure in Brixworth und Brackley haben ihre Hausaufgaben definitiv gemacht.

Elegante Nase, verstecke Öffnung

Die Nase des Mercedes F1 W08 ist wieder schmal und elegant, Foto: Sutton
Die Nase des Mercedes F1 W08 ist wieder schmal und elegant, Foto: Sutton

Bei der Nase setzt Mercedes wie in den vergangenen zwei Jahren auf eine sehr schmale und elegante Lösung. Während die Konkurrenz die Pylonen möglichst weit in die Breite stellt und die Nase mit größeren und kleineren Zapfen nach vorne stehen lässt, hat Mercedes ein komplett anderes Konzept. Die Nase sieht jener des Vorgängers zum Verwechseln ähnlich.

Öffnung für den S-Schacht, Foto: Sutton
Öffnung für den S-Schacht, Foto: Sutton

Unter der Nase hat der Mercedes erneut eine raffinierte Öffnung, die Luft für den S-Schacht einsaugt. Beim Auslass gibt es eine größere Änderung: Die Luft wird direkt am Übergang zwischen Nase und Chassis ausgeblasen. So wie es die meisten Teams schon im vergangenen Jahr hatten. Beim Vorgänger führte ein Kanal die Luft im Chassis noch weiter nach hinten und blies sie erst hinter dem Knick im Chassis aus.

Die Änderung könnte mit der Aufhängung zu tun haben. Denn die zwei kleinen Kanäle in der Chassis-Abdeckung kosteten Platz an einem kostbaren Raum: bei der Vorderradaufhängung. Die Hydraulik-Einheit, die noch immer unter Beschuss von Ferrari steht und deren Legalität 2017 noch nicht zu einhundert Prozent geklärt ist, braucht Platz. Deshalb hat auch Force India die Anlenkpunkte für die Druckstreben nach oben verlegt, so dass zwar eine Beule im Chassis ist, aber auch Platz für ein solches System.

Vorderachse mit Querlenker-Trick?

Die Vorderachse des F1 W08 bietet aus der Frontalansicht ein interessantes Detail. Am radseitigen Ende des oberen Querlenkers ist ein Winkel zu sehen. Viel vermuteten hier sofort einen speziellen Trick von Mercedes, doch Fahrwerks-Experten kennen solche Konstruktionen. Bei dem sichtbaren Winkel handelt es sich um eine Verlängerung des Radträgers.

Der Winkel am Querlenker sorgte für Aufsehen, Foto: Sutton
Der Winkel am Querlenker sorgte für Aufsehen, Foto: Sutton

Führt man die Linie des Querlenkers weiter, würden sich Radträger und Querlenker im Reifen treffen. Um keine Kompromisse bei der Kinematik eingehen zu müssen, wird der Radträger angestückelt. Die Spreizung, der Winkel zwischen Lenkachse und einer zur Fahrbahn senkrechten Ebene, wird so beeinflusst. Der eigenartig anmutende Winkel ist also eine Folge von kinematischen und bauräumlichen Voraussetzungen.

Riesige Luftleitbleche hinter der Vorderachse

Interessantes Detail: Mercedes wechselte über den Winter den Felgenhersteller. Bislang vertraute das Weltmeisterteam auf Advanti-Felgen, in dieser Saison auf OZ. Die Felgen werden wie die Reifen breiter und somit auch schwerer. Die Felge ist auch wichtig, um die Reifentemperaturen zu kontrollieren. Teams haben inzwischen Kühlrippen in den Felgen, um Wärme abzuleiten.

Mehr und spektakulärer geht wohl nicht, Foto: Sutton
Mehr und spektakulärer geht wohl nicht, Foto: Sutton

Hinter der Vorderachse kommt der neue Spielplatz der Aerodynamiker - und hier haben sich die Mercedes-Ingenieure besonders ausgetobt. Nicht nur ein riesiges, mehrstufiges Bargeboard, das an der Unterseite mehrfach geschlitzt ist, hängt an der Chassis-Seite, sondern auch ein zusätzliches Luftleitelement. Über dem Bargeboard, auf Höhe des oberen Querlenkers, ragt ein halber Bumerang aus dem Chassis heraus. Auch am Kufen-Flügel unter dem Chassis ist noch ein vertikales Luftleitblech angebracht.

Hinter den Luftleitblechen folgen die nächsten mehrteiligen, zerklüfteten Leitbleche. Der Seitenkastenflügel besteht aus drei größeren Elementen, das erste davon beginnt schon vor dem Rückspiegel. Die vorderen beiden Elemente ragen bis zum Seitenkasten in die Höhe, das dritte Element macht schließlich den Bügel über den Seitenkasten. Das kleine Aero-Element, das 2016 noch hinter den Spiegeln saß, ist nun direkt davor und etwas komplexer geworden.

Seitenkästen stark unterschnitten

Auch die Seitenkästen selbst sind komplett neu. Während die Einlässe noch relativ groß sind - der Kühlbedarf steigt wegen des höheren Vollgasanteils leicht -, ziehen sich die Seitenkästen sehr schnell sehr extrem ein. Das wird besonders deutlich sichtbar, weil die Oberseite des nun 20 Zentimeter breiteren Unterbodens fast komplett unbebaut ist. Das Heck, inklusive des kritischen Spalts zwischen Reifen und Diffusor, kann somit recht ungestört angeströmt werden.

Auf dem Unterboden haben zwei Bierkisten Platz, Foto: Sutton
Auf dem Unterboden haben zwei Bierkisten Platz, Foto: Sutton

Am Heck hingegen hat sich am Mercedes optisch nicht so viel getan. Der Heckflügel sieht seinem Vorgänger recht ähnlich, nur eben den neuen Dimensionen angepasst. Wie bei den bisher vorgestellten Autos fehlt der Monkey-Seat um den Auspuff herum.

Die Auspuffrohre hat Mercedes neu angeordnet, die zwei Wastegate-Röhrchen befinden sich nicht mehr direkt unter dem Hauptrohr, sondern etwas weiter rechts und links davon. Das hat Packaging-Gründe. Die Motorabdeckung umschließt die Rohre fast komplett.

Was soll der Zusatz-Flügel?

Mercedes verzichtet bislang auf eine richtige Finne, lässt die Motorabdeckung lediglich wie im vergangenen Jahr gerade auslaufen. Am Nachmittag sorgte Mercedes dann aber für Aufsehen: Als Valtteri Bottas den Silberpfeil von Lewis Hamilton übernahm, war bereits das erste Update sichtbar. Direkt vor dem Heckflügel wuchs ein eigenartiges Konstrukt aus der Motorabdeckung. Aus einem senkrechten Steg wachsen zwei waagrechte Leitbleche.

Bleibt der unschöne Zusatz-Flügel?, Foto: Sutton
Bleibt der unschöne Zusatz-Flügel?, Foto: Sutton

Aufgrund der filigranen Bauweise, kann man davon ausgehen, dass dieses Element keinen Abtrieb generiert, sondern eher dafür da ist, die Luft besser zum Heckflügel zu leiten. Noch ist unklar, ob der T-Flügel bleibt. Design-Chef Aldo Costa: "Wir probieren auch noch eine Hai-Flosse aus. Das hängt auch vom jeweiligen Heckflügel ab."

Ebenfalls interessant: Während die meisten Teams von nahezu null Übernahmeteilen aus der Vorsaison sprechen, will Mercedes 17 Prozent der Komponenten des F1 W07 übernommen haben. Klingt nicht besonders viel, ist aber für eine solch große Regeländerung durchaus beachtlich. Die Entwicklung des F1 W08 EQ Power+ begann schon vor dem finalisieren des Reglements. In Brackley existierten sogar schon erste physische Komponenten, bevor die Regeln verabschiedet waren.

Beim aerodynamischen Konzept ist Mercedes einen Kompromiss eingegangen: Weil das Reglement noch neu ist und deutlich mehr Freiheiten als in den letzten Jahren lässt, wird es während der Saison viel mehr Updates geben. Die meisten rechnen mit größeren Paketen bei jedem zweiten Rennen. Die gezeigte Aerodynamik soll eine gute Basis für die Entwicklungsstufen bieten.