Schon früh im Rennen bekam Lewis Hamilton beim Singapur GP die Anweisung, auf seine Bremsen zu achten. Auch Nico Rosberg musste die Temperaturen von Anfang an managen. Beide kamen am Ende über die komplette GP-Distanz, aber vor allem Lewis Hamilton war vom Bremsproblem gehandicapt und konnte nicht aggressiver angreifen.

Dass Hamilton größere Probleme hatte, ist wenig verwunderlich. Beide Mercedes-Piloten fuhren exakt die gleiche Spezifikation, aber Hamilton fuhr erst hinter Daniel Ricciardo, dann hinter Kimi Räikkönen her. Dirty Air ist nicht nur schlecht für die Aerodynamik, sondern auch für die Kühlung.

Der ein oder andere wunderte sich, dass es schon in der Anfangsphase Probleme gab. Allerdings sind die Autos da am schwersten. Je schwerer ein Fahrzeug, desto mehr werden die Bremsen gefordert. Fragen sie mal einen LKW-Fahrer nach längerer Fahrt bergab. Zudem sind die Kurvengeschwindigkeiten niedriger, also muss zusätzlich mehr verzögert werden.

Wolff: Ergebnisse rechtfertigen minimale Bremsbelüftungen

"Wir waren von Anfang an im Grenzbereich", gab Mercedes Motorsportchef Toto Wolff nach dem Rennen zu, fügte aber umgehend an: "Aber das ist das Spiel in Singapur: Man muss alles optimieren. Andere hatten auch Probleme mit überhitzenden Bremsen. Die Plätze eins und drei rechtfertigen aber die Strategie, wie wir unser Auto zusammenbauen."

Bei Mercedes war Singapur nicht das erste problematische Rennen in dieser Saison. "Es gab Warnmeldungen von den Bremsen", berichtete Nico Rosberg nach dem Kanada GP. Seine Aufholjagd wurde dadurch stark beeinträchtig. Und auch beim Österreich GP gab es Probleme: "Gegen Rennende steuerte Nico auf das Limit seines Bremsenverschleißes zu", erklärte Paddy Lowe. "Wir gaben unser Bestes, dies in den Griff zu bekommen. Aber auf der letzten Runde schaltete sein Bremssystem in einen 'passiven Modus' um." Rosberg verlor das Rennen deshalb in der letzten Runde.

Warum geht Mercedes trotz großen Vorsprungs in dieser Saison das Risiko immer wieder ein? Warum macht man auf kritischen Strecken die Bremsbelüftung nicht einfach weiter auf? Toto Wolffs Aussagen deuten schon an: Es geht um Performance. In Singapur konnte sich Mercedes ohnehin nicht viel erlauben.

Die Bremsbelüftung ist inzwischen extrem kompliziert. Jedes Team hat seine eigene Philosophie. Die Bremsbelüftungen werden vor allem auch als aerodynamisches Mittel genutzt. Einerseits, um die Luft elegant am Rad nach hinten zu leiten, andererseits, um Luft durch die Radnaben zu leiten.

Zwei Hauptkanäle: Innen und außen am Luftleitblech

Prinzipiell werden bei der Bremsbelüftung zwei Hauptkanäle genutzt. Einmal die Innenseite eines großen Luftleitbleches. Die Luft tritt zwischen Reifen und dem großen Leitblech ein. Darin befinden sich zahlreiche weitere kleinen Schächte, die die Kühlluft an die gewünschten Stellen leiten. Der zweite Hauptkanal sitzt auf dem Luftleitblech und steht wie ein kleiner Kamin empor.

Das Luftleitblech (blau) teilt Luftkanal (blau) und Kamin (rot), Foto: Sutton
Das Luftleitblech (blau) teilt Luftkanal (blau) und Kamin (rot), Foto: Sutton

Die Herangehensweisen der Teams sind stark unterschiedlich. Einige Teams vertrauen nur auf einen Hauptkanal. Dafür steht das Luftleitblech etwas weiter vom Reifen ab, um den Kanal größer zu machen. Force India, Toro Rosso und Williams haben beispielsweise gar keine Kamine, sondern nur den einen Hauptkanal.

Es ist ein Geben und Nehmen: Je größer der Kamin, desto kleiner kann in der Regel der andere Kanal ausfallen. Allerdings ist die Sache kompliziert: Bläst ein Team Luft durch die Radnabe, muss diese Luft auch irgendwo eingesammelt werden. Welcher Anteil der eingesammelten Luft für Bremskühlung und welcher Anteil für die Radnabe hergenommen wird, ist schwierig auszumachen.

Außerdem spielen auch die Felgen eine große Rolle bei der Wärmeableitung. Felgenhersteller fräsen inzwischen Kühlrippen zur besseren Wärmeabfuhr in die Felgen. Dazu kommt, dass die Teams auch gerne die Reifen von innen durch die Abwärme erhitzen.

Mercedes hält Rad-Innenseite clean

So einfach lässt sich von außen also nicht sagen, welches Team die Bremsen eher großzügig kühlt und welches nicht. Durch die extrem komplexen Leitwerke ist es allerdings nicht mehr so einfach möglich, großartige Änderungen vorzunehmen.

Früher gab es größere Einlässe, die bei Bedarf einfach abgeklebt wurden. Das passiert nur noch selten. Im Regen beispielsweise werden die Bremsen besser gekühlt und weniger beansprucht. Allerdings brauchen die Bremsen hohe Temperaturen, um überhaupt zu funktionieren. Den Kamin-Kanal kann man noch relativ einfach abkleben.

Die Mercedes-Bargeboard sind extrem zerklüftet, Foto: Sutton
Die Mercedes-Bargeboard sind extrem zerklüftet, Foto: Sutton

Der Karbon-Aufbau an der Innenseite des Mercedes-Radträgers ist äußerst schlank. Der Kanal zwischen Reifen und Luftleitblech ist extrem schmal. Trotzdem gibt es keinen besonders großen Kamin. Ferrari und Red Bull haben vergleichsweise riesige Kamine. Allerdings haben Ferrari und Red Bull auch durchblasene Radnaben - Mercedes nicht.

Fast alle Top-Teams setzen inzwischen auf die hohle Radnabe - nur Mercedes eben nicht. Mercedes scheint hohen Wert auf eine schlanke Radinnenseite zu legen, um die Luft schöner Richtung Bargeboard und Seitenkasten zu leiten. Ein Blick auf die Bargeboards stützt diese These: Kein anderes Team hat so zerklüftete und komplexe Abweiser wie Mercedes. Eine Änderung der Bremsbelüftung hat auch Auswirkungen auf das, was dahinter passiert. Der Luftwiderstand ist das eine, der aerodynamische Rattenschwanz das andere.

Außerdem ist der Mercedes noch immer mit Abstand das schnellste Auto - und ist deshalb normalerweise deutlich weniger in verwirbelter Luft als die anderen Boliden. In Österreich lieferten sich Rosberg und Hamilton das komplette Rennen über einen offenen Schlagabtausch. Auch in Kanada fuhr Rosberg die meiste Zeit des Rennens im Verkehr. Hamilton passierte das gleiche in Singapur.