Der Russland GP 2015 am kommenden Wochenende könnte für Mercedes mit demselben erfreulichen Ergebnis enden wie die Vorjahresausgabe. Damals sicherten sich die Silberpfeile dank eines Doppelsiegs den Konstrukteursweltmeistertitel. Holen Nico Rosberg und Lewis Hamilton ein Jahr später nur drei Punkte mehr als Ferrari, ist Mercedes dieser Titel erneut nicht mehr zu nehmen. Doch die Vorzeichen sprechen nicht so deutlich für Silber wie so oft in der aktuellen Formel-1-Saison.

Gleich mehrere Faktoren bergen zusammen genommen ein hohes Maß an Unsicherheit, wie das Kräfteverhältnis in Sochi aussehen wird. Zum einen standesgemäß das Wetter. Aktuell sieht es nach milden Temperaturen knapp unter 20 Grad Celsius und einem eher geringen Regenrisiko aus - bestes Mercedes-Wetter also. Demgegenüber steht die Reifenwahl. Pirelli bringt anders als in Japan wieder die weichsten Mischungen, um Marathon-Stints wie jenen Nico Rosbergs im Vorjahr zu verhindern. Superweich und weich also - und die hatten Ferrari über die gesamte Saison hinweg viel besser gelegen, zuletzt und besonders extrem in Singapur.

Mercedes und Ferrari mit leisen Tönen vor Sochi

Hinzu kommt das Streckenlayout. Trotz seiner langen Geraden erinnert das 5,8 Kilometer lange Sochi Autodrom dank unzähliger, langsamer 90-Grad-Kurven deutlich mehr an Singapur, als an die ultraschnellen Esses von Japan vor zwei Wochen. Schnelle Kurven sind in Russland Mangelware, einmal abgesehen von der enorm langgezogenen Rechtskurve nach Start-Ziel - Vorteil Ferrari, denen diese Art Kurve viel besser liegt als Mercedes.

Gleich in die Favoritenrolle drängen lässt sich die Scuderia deshalb allerdings längst nicht. Immerhin gibt es noch einen vierten Faktor: das Mysterium der Gripverhältnisse. "Wir müssen sehr vorsichtig an Sochi herangehen, weil uns dort ein sehr geringes Grip-Level erwartet. Das könnte auch die aerodynamische Performance berühren, sodass wir nicht voll davon ausgehen, dass uns diese Strecke unbedingt entgegen kommen muss", dämpft Ferrari-Sprecher Alberto Antonini die hohen Erwartungen. Auch Teamchef Maurizio Arrivabene habe betont, die Strecke müsse dem SF15-T nicht zwangsläufig gut liegen.

Doch auch bei Mercedes regiert die Vorsicht. Man wisse nur ansatzweise wie sich die Strecke gegenüber den überraschenden Bedingungen bei der Premiere im Vorjahr verändert habe. "Ein Jahr danach wird sich die Streckenoberfläche anders präsentieren und wir müssen sicherstellen, dass wir alle Eventualitäten abdecken", sagt Technikchef Paddy Lowe.

Bleibt das teaminterne Duell um den Titel. In Sochi könnte bereits eine Vorentscheidung fallen. Meint zumindest Bernie Ecclestone. "Die Fahrer-WM wird an diesem Wochenende entschieden, da bin ich mir recht sicher. Wenn Lewis das Rennen gewinnt, wird er auch Weltmeister. Es ist schade, dass es so ist, aber so ist es in diesem Jahr einfach", sagte der Zampano bei einer Konferenz des Camp Beckenbauers zugeschaltet.

Williams, Force India & Lotus - Jänger mit Mercedes-Power

Schließlich bleibt noch ein fünfter Faktor: Williams könnte in Russland groß auftrumpfen und als Störfeuer in den rot-silbernen Kampf um das Podium hineingfunken. Bereits im Vorjahr präsentierte sich das Team aus Grove in Sochi extrem stark. Valtteri Bottas verpasste nur wegen eines Fehlers im letzten Sektor die Pole Position, erzielte im Rennen allerdings ein Podium und hält den Rundenrekord im Sochi Autodrom. Der Kurs und sollte dem neuen FW37 mindestens genauso gut liegen wie seinem Vorgänger.

Bottas jedenfalls richtet bereits eine klare Kampfansage an die Konkurrenz: "Wir fuhren vergangenes Jahr in Russland ein gutes Resultat ein. Daher erwarten wir auch diesmal ein starkes Wochenende mit einer guten Punkteausbeute. Die langen Geraden sollten unserem Auto entgegenkommen. In Japan waren wir von der Pace her nahe dran an den Mercedes und ich denke, das werden wir auch in Sochi sein."

Etwas hinter dem Top-Trio dürften sich in Russland die übrigen Mercedes-befeuerten Teams einordnen. Force India überzeugte mit der B-Version des VJM08 bereits nachhaltig, sodass es keinen Grund gibt, warum der Bolide in Russland nicht genauso gut funktionieren sollte, wie bei seinen bisherigen Auftritten. Lotus derweil verbesserte sich in Japan zuletzt deutlich und fuhr mit beiden Auto gute Punkte ein - allerdings klar unterstützt von den mannigfaltigen Problemen bei Red Bull Racing.

Daniil Kvyat fährt zum zweiten Mal in der russischen Heimat, Foto: Sutton
Daniil Kvyat fährt zum zweiten Mal in der russischen Heimat, Foto: Sutton

Red Bull & Toro Rosso bangen wegen langer Geraden

Bleiben bei Red Bull diese in Russland aus, sollte das Team jedoch in der Lage sein, Lotus und Force India zumindest herauszufordern. Allerdings sollten die beiden langen Geraden das Team beim Heimrennen von Daniil Kvyat wegen des Renault-Aggregats im Heck zu viel kosten, als dass man es durch aerodynamische Vorteile in den Kurven wettmachen könnte. Dasselbe gilt für das Nachwuchsteam Toro Rosso.

Sauber wird es unterdessen noch schwerer haben, Punkte abzustauben. Das gelang zuletzt zwar häufig, allerdings meist nur im Singular, sodass ein plötzlicher Aufwärtstrend als Überraschung zu verbuchen wäre. Einen allzu großen Effekt sollten allerdings weder der Vorteil durch die Power Unit von Ferrari noch das - inzwischen auch schon wieder zwei Rennen alte - verbesserte Aero-Paket haben.

Den vierten Platz des Vorjahres wird Jenson Button 2015 kaum wiederholen, Foto: Sutton
Den vierten Platz des Vorjahres wird Jenson Button 2015 kaum wiederholen, Foto: Sutton

McLaren & Manor noch chancenloser als zuletzt

Am Ende des Feldes stehen derweil erneut zwei teaminterne Duelle im Fokus. McLaren und Manor werden aufgrund ihrer rückständigen Antriebe leichte Opfer auf den Geraden werden, sodass es hier wohl nur darum geht, anzukommen und den Teamkollegen zu besiegen. Bitter besonders beim 250. GP-Jubiläum von Fernando Alonso. Im Fall Manors heißt der für Will Stevens diesmal wieder Roberto Merhi, weil Alexander Rossi mit der GP2 ebenfalls in Sochi gastiert.