Der tragische Unfall von Jules Bianchi beim Großen Preis von Japan 2014 in Suzuka zog eine ausführliche Untersuchung aller zur Verfügung stehenden Informationen nach sich. Zu diesem Zweck rief der Automobilweltverband FIA eigens eine Untersuchungskommission unter dem Vorsitz von Peter Wright, dem Präsidenten der Sicherheitskommission, ins Leben. Dieser gehörten unter anderem auch der frühere F1-Teamchef Ross Brawn und Ex-F1-Pilot Alexander Wurz an. Knapp zwei Monate nach Bianchis Unfall präsentierte die zehnköpfige Gruppe ihre Ergebnisse in einem 396-seitigen Bericht.

Die wichtigsten Befunde auf einen Blick

  • 1. Plötzlicher Wassereinfluss auf die Ideallinie in Kurve 7 überraschte Sutil und Bianchi
  • Durch Sutils Unfall und die Bergung seines Saubers 'doppel-gelb' in den Sektoren 7 und 8
  • Keine angemessene Geschwindigkeitsreduktion Bianchis trotz 'doppel-gelb'
  • Heftiges Gegenlenken Bianchis vor dem Abflug sorgte für ein verfrühtes Verlassen der Strecke und letztlich den Zusammenstoß mit dem Kran
  • FailSafe-Sytem am Marussia bei gleichzeitigem Betätigen von Bremse und Gas funktionierte nicht - wohl verminderte Geschwindigkeitsreduktion
  • Bianchi wahrscheinlich verwirrt durch blockierende Räder und Fehlverhalten des Autos - kein angemesserner Ausweichversuch
  • Kopf stieß bei Tempo 130 km/h mit dem Kran zusammen
  • Safety Car wurde korrekterweise nicht auf die Strecke geschickt: Keine Probleme bei vorangegangen 384 ähnlichen Fällen
  • Stewards und Rettungskräfte mit fehlerfreiem Einsatz

In Runde 43 des Rennens hatte Bianchi in Kurve sieben die Kontrolle über seinen Boliden verloren, war von der Strecke gerutscht und mit dem Heck eines Bergungskrans kollidiert. Dieser war gerade im Begriff, Adrian Sutils Sauber zu bergen, der exakt eine Runde zuvor an selber Stelle von der Strecke abgekommen und in die Schutzbegrenzung eingeschlagen war.

Zur Zeit des Unfalls hatte bereits zum wiederholten Male an diesem Tag stärkerer Regnen eingesetzt. Wie der Bericht herausstellt, hatte Bianchi trotz doppelt gelber Flaggen in den Sektoren sieben und acht seine Geschwindigkeit nicht - wie in diesem Fall bei Einhaltung des Reglements zwingend vorgeschrieben - drastisch reduziert. Obwohl Kurve sieben zwei Runden zuvor noch über eine zumindest halbtrockene Rennlinie verfügte, verkleinerte sich diese durch das Gefälle der Strecke an dieser Stelle zusehends, da Regenwasser aus der Umgebung in die Spur hineinfloss.

Einschlag mit 130 km/h

Eine immer nassere Ideallinie und zu hohe Geschwindigkeit wurden Jules Bianchi zum Verhängnis, Foto: Sutton
Eine immer nassere Ideallinie und zu hohe Geschwindigkeit wurden Jules Bianchi zum Verhängnis, Foto: Sutton

Während Sutil bereits in Runde 42 von den veränderten Bedingungen überrascht wurde, hielt Bianchi seinen Marussia-Boliden noch einen Umlauf länger auf der Strecke. Laut Unfallbericht unternahm der Deutsche jedoch keine großen 'Rettungsversuche' bei seinem Abflug, wohingegen Bianchi versuchte, durch massives Gegenlenken gegen den stark übersteuernden Boliden das Verlassen der Strecke zu verhindern. Dadurch rutschte Bianchi bereits weiter vorne ab als Sutil, hätte mit seinem Einschlag dessen Unfallstelle also definitiv verfehlt.

Jedoch befand sich zu diesem Zeitpunkt der Bergungskran just vor Bianchis 'Einschlagpunkt' in die Schutzbegrenzung, was den tragischen Unfall herbeiführte. Wie der Bericht weiter detailliert aufzeigt, hatte Bianchi zum Zeitpunkt des Kontakts seines Kopfes mit dem Heck des Krans noch immer eine Geschwindigkeit von rund 130 Kilometern. Eine Auswertung der Telemetriedaten beweist dabei, dass Bianchi vor dem Einschlag gleichzeitig Bremse und Gaspedal betätigte, und dabei beide Füße benutzte.

Versagen des Failsafe-Programms entscheidend?

Das sogenannte FailSafe-Programm, das im Falle einer gleichzeitigen Betätigung von Gas und Bremse immer den Vortrieb unterbindet, kam Aufgrund einer Eigenart des Marussia MR03 allerdings nicht wie gewünscht zum Einsatz. Da das Team über ein hinsichtlich seines Designs einzigartiges Break-by-Wire-System für die Hinterräder verfügt, wurde das FailSafe-System für Bianchi vom Drehmoment-Koordinator behindert. Dies führte möglicherweise zu einer höheren Einschlaggeschwindigkeit, was die Untersuchungen aber letztlich nicht mit absoluter Sicherheit bestätigen konnten.

Jedoch geht aus dem Bericht hervor, dass Bianchi aufgrund des unüblichen Verhaltens seines Autos sowie des Blockierens seiner Vorderräder möglicherweise durcheinandergebracht wurde, und somit nicht angemessen reagierte, um dem Kran mit einem Lenkmanöver auszuweichen.

Die Vorschläge des Panels auf einen Blick:

Selbst Cockpithauben helfen nicht in allen Situationen, Foto: youtube/FIA Institute
Selbst Cockpithauben helfen nicht in allen Situationen, Foto: youtube/FIA Institute

1. Eine neue Regelung für den Fall der doppelten gelben Flaggen:
Forderung nach einer festgeschrieben Höchstgeschwindigkeit in den betroffenen Sektoren. Dieser Punkt ist durch die fixe Einführung des virtuellen Safety Cars ab der Saison 2015 jedoch praktisch bereits abgedeckt.

2. Überarbeitung der sicherheitsbezogenen Software der Rennboliden:
Wie die Untersuchung ergab, ereilte Bianchis Marussia MR03 eine Fehlfunktion des FailSafe-Systems. Dieses stoppt automatisch den Vortrieb, sollten Gaspedal und Bremse gleichzeitig betätigt werden. Durch eine vom Break-by-Wire-System des Marussias vorgerufene Fehlfunktion, setzt dieser Effekt jedoch aus, was möglicherweise die Einschlaggeschwindigkeit Bianchis erhöhte.

3. Abflusssysteme der Rennstrecken:
Sowohl rund um die Strecken als auch auf den Versorgungswegen soll durch bessere Abflussmöglichkeiten eine Überschwemmung der Fahrbahn so weit wie möglich eingedämmt werden. Die gilt vor allem in abschüssigem Gelände, wo aus höhergelegenen Teilen des Areals Wasser in andere Bereiche abfließen kann. Dies wurde Adrian Sutil und Bianchi in Suzuka zum Verhängnis.

4. Die 4-Stunden-Regel:
Rennen sollen zukünftig ausschließlich zu einer Tageszeit gestartet werden, bei der garantiert ist, dass auch im schlimmsten Fall eines Ausreizens der maximalen Renndauer von vier Stunden noch die gleichen Lichtverhältnisse herrschen wie zu Beginn. Ausnahmen bilden hierbei offiziell deklarierte Nachtrennen. Vor allem wird jedoch empfohlen, keine Rennen in Gebieten anzusetzen, in denen zu diesem Zeitpunkt ausgewiesen eine 'Regenzeit' herrscht. Hier gelte es, den Kalender zu überarbeiten und jedwede Grands Prix an einen anderen Zeitpunkt des Jahres zu verlegen.

Das virtuelle Safety Car ist eine direkte Folge des Bianchi-Unfalls, Foto: Red Bull
Das virtuelle Safety Car ist eine direkte Folge des Bianchi-Unfalls, Foto: Red Bull

5. Die Superlizenz:
Fahrer, die erstmalig die Superlizenz erwerben, sollten gezwungen sein, ebenfalls einen theoretischen Test über sämtliche Sicherheitsprozeduren innerhalb der Formel 1 abzulegen. Jeder Pilot sollte zwingend darüber Bescheid wissen, welche Maßnahmen während eines offiziellen Events zu welchem Zeitpunkt greifen, und welche Optionen zu jedem Zeitpunkt generell zur Verfügung stehen.

6. Genaue Prüfung der Risikoherde innerhalb der Formel 1:
Die 'Liste' an möglichen Risiken und Risikofaktoren in der Formel 1 sollte möglicherweise noch einmal grundüberholt werden. Das Panel empfiehlt ein genaues Studium sämtlicher relevanter Bereiche und darüber hinaus eine intensive Recherche bezüglich möglicherweise noch unbeachteter Sicherheitslücken.

7. Die Reifen:
Obwohl die Pirelli-Reifen nachweislich keine Mitschuld am Unfall Bianchis tragen, soll der jeweils zuständige Hersteller nach jeder Saison gezwungen sein, vor allem die Regenreifen umfassenden Tests unter verschiedenen Bedingungen zu unterziehen - und diese gegebenenfalls entsprechend weiterzuentwickeln. Bereits beim Saisonauftakt des jeweiligen Jahres müssen die vollständig entwickelten Reifen dann zur Verfügung gestellt werden.