Felipe Massa hat in Brasilien sehr viel Kritik einstecken müssen nach Hockenheim - wie siehst du die ganze Teamorder-Affäre?
Bruno Senna: Es ist immer sehr einfach, einen Sportler von außen zu beurteilen - ohne selbst in dessen Position zu sein. Solche Situationen sind sehr schwierig - und nur der, der selbst drinsteckt, weiß, was er tun oder nicht tun muss. Klar war relativ deutlich, dass er ihn vorbei gelassen hat. Ich war ja auch überrascht, als plötzlich bei der nächsten Überrundung Alonso zuerst hinter mir war. Ob es für Felipe gut oder schlecht ist, dass das alles so deutlich herausgekommen ist, muss man abwarten. Wir sind gerade mal in der Saisonmitte und es stehen noch viele Rennen aus. Da ist es eigentlich sehr kritisch, von einem Fahrer zu verlangen, ein Rennen herzuschenken. Aber manchmal gibt man vielleicht ein Rennen her, um in der Zukunft andere Dinge zu gewinnen. Massa ist intelligent, hat viel Erfahrung - ich hoffe, dass er für sich die bestmögliche Entscheidung getroffen hat.

Wie würdest du dich selbst in so einem Fall verhalten?
Bruno Senna: Ich war noch nie in so einer Situation, also kann ich nicht mit Sicherheit sagen, wie ich mich verhalten würde. Niemand gibt gerne einen Sieg her, ich würde mich schon mies dabei fühlen. Aber es ist schwierig zu beurteilen, man kennt den genauen Zusammenhang und die möglichen Folgen nicht genau. Natürlich hätte auch ich Felipe gern gewinnen sehen, er ist ein sehr gutes Rennen gefahren. Und auch unter Teamkollegen sollte die Entscheidung normalerweise auf der Strecke fallen.

Ist Teamorder überhaupt durch eine Regel zu verhindern?
Bruno Senna: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie man eine Teamorder durchführen kann, versteckt oder offen. Die Regeln verbieten es, es offen zu tun, aber es wird das immer geben. Wenn man diese Regel wirklich durchsetzen will, dann müsste man mit sehr harten Strafen durchgreifen, wenn etwas herauskommt - so, dass es sich die Teams zweimal überlegen, bevor sie so etwas machen. Aber normalerweise ist es fast immer so, dass es in einem Team eine gewisse Präferenz für einen Fahrer gibt. Als Fahrer muss man daher einfach in jedem Bereich sein Bestes geben, sportlich und politisch, um sich innerhalb eines Teams in die entsprechende Position zu bringen.

Brasilianische Fans verlangen viel von ihren Idolen, Foto: Sutton
Brasilianische Fans verlangen viel von ihren Idolen, Foto: Sutton

Verlangen die brasilianischen Fans eigentlich zu viel von ihren Stars?
Bruno Senna: Man darf nicht vergessen, was Sport eigentlich ist. Bei den brasilianischen Fans habe ich manchmal das Gefühl, dass sie meinen, jeder Sportler habe die Verpflichtung, zu gewinnen - wie auch bei der Fußball-WM. Dadurch entsteht ein unglaublicher Druck. Niemand, der Leistungssport auf höchstem Niveau betreibt, hat eine Verpflichtung zum Siegen. Die Leute müssen verstehen, dass Sport Wettkampf ist. Niemand ist unschlagbar. Die Fans sollten lernen, die Erfolge von Sportlern zu unterstützen und zu feiern, nicht nur Siege. Man kann doch auch sehr gut und sehr erfolgreich sein, ohne Weltmeister zu sein. Es ist ein Beruf, den man auch ausübt, weil er einem Spaß macht - nicht einzig und allein, um immer zu gewinnen.

Haben viele Fans ein falsches Bild von der Formel 1?
Bruno Senna: Die Formel 1 heute ist nun einmal mehr Geschäft als Sport. Der Sport ist das, was die Fahrer machen, alles das, was alle anderen machen, ist Geschäft. Für einen Fahrer ist es extrem frustrierend, auch schon vor der Formel 1, oft in Situationen zu sein, in denen das Geschäft wichtiger ist. Die Realität ist, dass die Politik heute einfach eine sehr große Rolle spielt - was die Leute draußen oft gar nicht so mitkriegen. Wir innen drin wissen, wie diese Maschinerie funktioniert. Es gibt Sport, normalerweise ist auch das Ergebnis Sport - aber manchmal dreht die Politik eben auch ein bisschen an den Ergebnissen.

Reden wir vom Rennen hier...
Bruno Senna: Es wird ein schwieriges Rennen für uns werden. Diese Strecke ist keine von denen, die uns besonders gut liegen. Hockenheim war da besser. Hier werden wir ein paar mehr Probleme bekommen, es gibt wellige, langgezogene Kurven, in denen man viel Downforce braucht, die uns ja immer noch fehlt, vor allem vorne. Der Motor spielt dagegen keine so besondere Rolle. Aber ich kann mich nicht beschweren, am letzten Wochenende hatte ich kaum Probleme, das, was wir haben, hat sehr gut funktioniert, die Boxenstopps waren sehr gut, das Team hat auch da sehr gut gearbeitet, ich hatte einen sehr guten Start...

Der würde hier auch helfen, nachdem Überholen fast unmöglich ist...
Bruno Senna (lacht): Ja, aber diesmal ohne dass in der ersten Kurve einer im Weg steht. Aber der Start in Hockenheim war schon wirklich gut, genau 2,50 Sekunden von 0 auf 100 km/h, das war Rekord. Unser Elektronikmann Juan muss sich jetzt eine Glatze schneiden lassen, weil ich das geschafft habe - er hat da eine Wette verloren...