Wohl und Wehe hängt auch im Rallye-Sport nicht zuletzt von der optimalen Reifenwahl ab – und die ist zumeist ein Fall für Routiniers und Experten. Anders als in der Formel 1 müssen sich die Driftkünstler nicht vor dem eigentlichen Wettbewerb auf einen einzigen Typ Rennpneu festlegen, sondern können in jeder Service-Pause aus einem für Außenstehende fast unüberschaubar wirkenden Angebot auswählen. Und weil dies noch nicht reicht, lassen manche Rallye-Profis das Profil der Pneus unter bestimmten Umständen sogar nach individuellen Vorstellungen nachbearbeiten…

Das Reifen-Reglement in der Rallye-Weltmeisterschaft wirkt auf den ersten Blick sehr restriktiv: Bei zehn von 16 WM-Läufen darf Michelin seinen Partnerteams Citroën, Ford und Skoda jeweils zwei unterschiedliche Typen Pneus zur Verfügung stellen. Doch die Crux beginnt mit der Definition des Begriffs "Typ": Dieser bezeichnet lediglich das optische Erscheinungsbild des Reifens, also das Profildesign – unterschiedlich "weichen" oder "harten" Gummimischungen und sogar differierenden Karkass-Konstruktionen sind Tür und Tor geöffnet. Die genaue Gestaltung der Profile muss Michelin vier Wochen vor Beginn der Rallye bei der Motorsporthoheit FIA hinterlegen, bei Übersee-Rallyes sogar acht Wochen im Voraus. Zugleich sieht das Reglement Ausnahmen vor: Für den Saisonauftakt rund um Monaco gestattet die FIA angesichts der wechselhaften Witterungsbedingungen die Nominierung eines zusätzlichen Schnee- und Eispneus sowie eines so genannten "Intermediate" für gemischte Straßenverhältnisse. Und aus Gründen der Kostenminimierung einigten sich die in der Rallye-WM vertretenen Reifenhersteller darauf, für Schweden, Italien, Argentinien, Finnland und Japan ihren Werkspartnern jeweils nur ein einziges Profil zur Verfügung zu stellen. Dieses ist auch weiterhin in variierenden Gummimischungen erhältlich, um verschiedenen Asphalttemperaturen zu entsprechen. Und: Die Laufflächen dürfen per Hand und gemäß den individuellen Wünschen der Fahrer nachgeschnitten werden.

Für Asphalt-Rallyes wie auf Korsika und in Spanien bietet Michelin seinen Partnern zumeist einen "Slick" für trockene Verhältnisse sowie einen Regenreifen an – der mitnichten ein Trockenpneu mit nachträglich hinzugefügten Drainagerillen ist, sondern eine völlig eigenständige Konstruktion darstellt. Durften die Slicks früher auf jegliche Form der Profilierung verzichten, so müssen die heutigen "Michelin N" laut Reglement einen Negativ-Profilanteil von mindestens 17 Prozent aufweisen. Die Tiefe der einzelnen Profilrillen ist dabei im Neuzustand auf ein Minimum von 5,5 Millimeter festgelegt und darf zu keinem Zeitpunkt der Rallye 1,6 Millimeter unterschreiten. Dadurch fühlen sich diese 18 Zoll hohen und bis zu neun Zoll (228 Millimeter) breiten Trockenpneus selbst auf leicht feuchter Fahrbahn noch wohl, da sie geringfügige Mengen Wasser kanalisieren können.

Bei der Monte erhalten die Reifen auf Wunsch zusätzlich Nägel

Je nach Temperatur und Beschaffenheit des Asphalts müssen Rallye-Werksfahrer ihre Wahl aus bis zu zehn unterschiedlichen Laufflächenmischungen treffen – ein schwieriges Geschäft. Für die wechselhaften Bedingungen der Rallye Monte Carlo lassen sich diese Walzen zudem mit Spikes ausstatten. Die Platzierung der bis zu 15 Millimeter langen Nägel gilt als Wissenschaft für sich. Die Menge ist auf 250 Stück pro Reifen limitiert. In Schweden, dem einzig weiteren WM-Lauf mit Spike-Freigabe, dürfn bis zu 380 Nägel in jeden Reifen gesetzt werden.

Bei stärkeren Niederschlägen kommt der Regen-Spezialist Michelin TAO zum Einsatz, der mit seinen breiten Drainagerillen das auf der Straße stehende Wasser zuverlässig aus dem Weg schafft, andererseits mit seiner maximal neun Zoll breiten Reifenaufstandsfläche genügend Grip und Traktion bietet. Auch diese Pneu-Familie bietet Michelin mit unterschiedlichen Laufflächenmischungen an. Manche Rallye-Cracks lassen das Profil zudem nach eigenen Vorstellungen nachschneiden – "manchmal auch nur, um die anderen Fahrer mit einem neuen Design in Verwirrung zu stürzen", wie Doppelweltmeister Marcus Grönholm feixend kleine Psychotricks verrät.

Im Notfall hilft das "Mousse"

Das nachträgliche "Cutten" der Pneus ist auch für Schotterreifen ein Thema – zum Beispiel auf Zypern, wo eine feine Staubschicht den rauen Naturbelag überspannt und von dem Profil auf ähnliche Weise aus dem Weg geräumt werden muss wie ein Wasserfilm auf der Straße. Nur die World Rally Cars dürfen zudem auf das erfolgreiche ATS-System von Michelin zurückgreifen: Das "Appui Temporaire Souple", ein rund zwei Kilogramm schwerer Schaumstoffring innerhalb der Luftkammer des Reifens, übernimmt im Falle der Beschädigung des Pneus die Aufgabe der Gasfüllung. Dieser in Rallye-Kreisen auch "Mousse" genannte Rettungsring – der im ungenutzten Zustand vom Luftdruck innerhalb des Pneus auf dem Felgenbett komprimiert wird – funktioniert im Bedarfsfall so vorzüglich, dass mancher Pilot den Reifendefekt erst nach der Wertungsprüfung bemerkt. Das 1987 eingeführte ATS kommt mittlerweile bei allen Läufen zur Rallye-WM zum Einsatz.

Als limitierender Faktor für die Rallye-Pneus dienen zudem die zulässigen Räder: Nur die für Asphalt-Rallyes vorgeschriebenen 18-Zoll-Felgen können aus Magnesium gefertigt werden, dürfen aber eine Breite von neun Zoll sowie eine Höhe mitsamt Reifen von 650 Millimeter nicht überschreiten – Spikes werden nicht mitgemessen. Reine Schnee- und Eispneus der Dimension 10/65x16 müssen auf 16 Zoll hohen Rädern montiert werden, die eine Breite von sechs Zoll nicht übertreffen dürfen. Schotterräder sind auf 15-Zoll-Felgen beschränkt.