Der bunte Tross der FIA World Endurance Championship befindet sich auf dem Weg nach England. Dort, genauer auf dem Silverstone Circuit in der Grafschaft Northamptonshire, werden sich die Kontrahenten zu Runde Nummer vier im Kampf um die weltweite Sportwagen-Krone 2012 zusammenfinden. Auszufechten gilt es den Sieg bei den traditionsbehafteten sechs Stunden von Silverstone, die zum ersten Mal seit nunmehr 20 Jahren wieder unter dem Banner einer Sportwagen-Weltmeisterschaft stattfinden werden.

Zuletzt war dies 1992 der Fall. Lokalmatador Derek Warwick und dessen französischer Fahrerpartner Yannick Dalmas gewannen dazumal mit einem Peugeot 905 den Dauerlauf über 1.000 Kilometer. Heutzutage sind die Hauptdarsteller gänzlich andere: nämlich die Werksaufgebote von Audi und Toyota. Während letztgenannter Autobauer erst seit dem Beginn dieses Jahres wieder werksseitig in der Sportprototyp-Szene engagiert ist, verbuchte erstgenannter bereits drei Siege beim Dauerlauf im "Home of British Motor Racing".

Im Fokus: Audi gegen Toyota

Auch hinsichtlich der nächsten Ausgabe dieses Rennens gelten die Ingolstädter als Favoriten auf Platz eins. Mit dem sage und schreibe elften Gesamterfolg bei den 24 Stunden von Le Mans und drei weiteren Triumphen in der aktuellen Saison kann Audi bester Dinge sein, was das bevorstehende Duell mit Toyota anbetrifft. Die Japaner gaben sich bis dato lediglich beim Alle-Jahre-wieder-Klassiker an der Sarthe die Ehre; in Spa-Francorchamps verzichtete man ob eines Testunfalls mit dem TS030 von Nicolas Lapierre auf einen Start.

"Wir haben die Rundenzeiten in Le Mans analysiert", verriet Audi-Motorsportchef Dr. Wolfgang Ullrich erst kürzlich mit Fingerzeig auf das Potenzial der Boliden aus Köln-Marsdorf. "Überträgt man dieses Wissen auf die spezifischen Anforderungen in Silverstone, dann müssen wir davon ausgehen, dass Toyota auf hohem Niveau fahren wird." Zwar demonstrierten die blau-weißen Ottomotor-Hybriden in Le Mans ein überraschend gutes Tempo, doch fraglich war und ist, ob die R18 von Audi ihre wahre Schnelligkeit gar schon gezeigt haben.

Yoshiaki Kinoshita, Teamboss Toyotas, präsentierte sich derweil optimistisch: "Wir haben die lange Pause nach Le Mans genutzt, um unser Auto weiterzuentwickeln. In der vorigen Woche haben wir einige neue Teile zur Erhöhung des Abtriebs getestet; diese haben sehr zufriedenstellend funktioniert." Dass der Konstrukteur aus Fernost nun auf Augenhöhe mit Audi agiert, darf jedoch mitnichten erwartet werden. Man befinde sich schließlich immer noch in einer Phase des Lernens, so Einsatzfahrer und Ex-Formel-1-Mann Alexander Wurz.

Die wirklich wilden Gefechte um Positionen, Punkte und Pokale stehen allerdings nicht in der Kategorie LMP1 bevor; so ist primär in den weiteren Klassen mit Spitzen-PS-Unterhaltung zu rechnen. Besonders die versammelte Gran-Turismo-Feindschaft, bestehend aus Ferrari, Porsche und Co, ist ein Garant für Action.

Schnappt Ferrari sich den nächsten Sieg?, Foto: FIA WEC
Schnappt Ferrari sich den nächsten Sieg?, Foto: FIA WEC

Gleich mit drei Wagen attackieren wird Aston Martin. Die Briten stellen für ihr Heimspiel auf dem ehemaligen Flughafengelände der Royal Air Force eine ganze Flotte werksunterstützter Vantage-V8-Brummer parat. Die heißesten Anwärter auf den Klassensieg kommen allerdings aus dem Hause Ferrari: Das Team AF Corse wird auf der Insel von Rückenwind aus Le Mans zehren können. Bei den 24 Stunden gelang ihnen schließlich ein Sieg für die Geschichtsbücher. Nach der Qualifikation von ganz hinten gestartet, obsiegten Giancarlo Fisichella, Toni Vilander und Gianmaria Bruni letzten Endes deutlich über ihre Gegner.

Zu diesen zählen wie gewohnt auch die Mannen von Porsche: Wenngleich die Spitzenmannschaft der Stuttgarter, Felbermayr-Proton, in Frankreich alles andere als gut abschnitt, wird diese in Silverstone mutmaßlich wieder beider Musik sein. Immerhin gewannen Marc Lieb und Richard Lietz bereits Durchgang zwei dieser Saison, die sechs Stunden von Spa-Francorchamps. Die Pferdchen aus Stuttgart bekamen nach Le Mans zudem einige Modifikationen in puncto Aerodynamik verpasst. Im Sinne der Balance of Performance durften die Elfer-Techniker nochmals Hand an Heckflügel und Frontsplitter anlegen.

Bei den "kleinen" Prototypen haben sich unterdessen zahlreiche Gäste aus der Region angemeldet. An der Zahl sieben nicht-permanente LM2-Crews sind auf der Starterliste für den Silverstone-Lauf zu finden. Unter diesen taucht auch der Name Vitantonio Liuzzi auf; der vormalige Grand-Prix-Starter wird sich das Cockpit eines Lotus-Flitzers mit dem Amerikaner Kevin Weeda und dem Engländer James Rossiter teilen.

Regen könnte Geschehnisse beeinflussen

Anders als die LMP1-Boliden baten die LMP2-Vehikel in der Vergangenheit immer wieder enge Auseinandersetzungen bis zum Ablauf der Uhr. Selbiges wird auf der 5,901 Kilometer langen 18-Kurven-Piste von Silverstone wohl zum wiederholten Male der Fall sein. Besonderer Beobachtung werden die Fahrer und Fahrzeuge in der schnellen Kombination Maggotts-Backetts-Chapel unterliegen. In der berüchtigten Hochgeschwindigkeitspassage wird sich zeigen, wer um den Sieg respektive Klassensieg ein ernstes Wörtchen mitreden kann.

Für das Rennen jedoch nicht ausgeschlossen ist Regen. Sollte dieser tatsächlich eintreten, könnte das Kräfteverhältnis im Feld der 37 Autos gehörig durcheinandergeraten. Wer dann unter den Hybrid-Schützlingen die Nase vorne haben wird, ist nicht vorherzusagen. Bei Nassen Bedingungen begegneten sich die Konzepte von Audi und Toyota bisweilen nicht.

Ob bei Sonne oder Regen - nach dem einseitigen Ergebnis von Le Mans wünschen sich die Fans jedenfalls eines ganz besonders: und zwar ein Duell, das elektrisiert.