Es gibt Rennfahrer, die vor dem Start komplett ihre Ruhe brauchen, früh den Helm aufsetzen und mit niemandem mehr sprechen möchten. Ich bin eher der Typ, der auch vorher noch mit anderen spricht. Das sind eh meistens Leute aus unserem Team, Freunde oder Familie, mit denen man locker quatschen kann. Ich sitze immer noch früh genug im Auto, das reicht mir vollkommen aus, um mich auf den Start vorzubereiten. Da ist es gut, wenn ich vorher noch ein bisschen Ablenkung habe.

Sobald ich mich ins Auto setze, ist Konzentration angesagt. Dann trinke ich nur noch etwas; erst wenn der letzte Mechaniker die Startaufstellung verlassen muss, nimmt er meine Wasserflasche mit. Ansonsten will ich nicht mehr viel sprechen. Stattdessen gehe ich den Start im Kopf durch, konzentriere mich darauf, dass alles funktioniert. Der Start ist im Motorsport sehr, sehr wichtig, wenn man ihn verhaut, hätte man sich im Zeittraining nicht so anstrengen müssen. Er ist aber auch deswegen entscheidend, weil man dabei am einfachsten überholen, Positionen gutmachen kann - allerdings kann man auch viele Positionen verlieren. Der Start ist also ein äußerst wichtiger Teil des Rennens. Sollte er nicht gelingen, ist das sehr ärgerlich.

Entsprechend seriös muss man sich darauf vorbereiten. Ich schaue mir schon am Samstag und Sonntag die anderen Rennen an. Dabei erkenne ich zum Beispiel, wie lange die Rotphase der Ampel beim Start ist. Auf diese Weise kann ich ungefähr abschätzen, wie der Rennleiter das an dieser Strecke handhabt. Außerdem kann man bei den Starts der anderen Serien beobachten, welche Linien die Fahrer in der ersten Kurve wählen und wo man mit mehreren Autos durch die Kurve fahren kann.

Noch ein Schluck aus der Wasserfalsche und dann geht es los., Foto: Steffi Halm
Noch ein Schluck aus der Wasserfalsche und dann geht es los., Foto: Steffi Halm

Wenn ich vor dem Start im Auto sitze, gehe ich all diese Dinge noch einmal gedanklich durch. Welche Linie ist wohl die beste? Dabei überlege ich mir viele Dinge, die nachher gar nicht so eintreten, wie ich es geplant habe. Gerade wenn man im Mittelfeldgewühl steckt, gehen diese Pläne meistens nicht auf. Selbst wenn ich einen guten Start habe, ein anderer vor mir jedoch nicht, schmeißt das alle Gedankenspiele über den Haufen. Natürlich überlegt man sich trotzdem, ob es mehr Sinn macht, gleich am Start nach innen zu ziehen, weil man dann die erste Kurve besser anfahren kann, man überlegt sich vieles, aber meistens kommt es doch anders als man denkt. Ich bin eben keine Hellseherin und weiß nicht vorher, wie gut mein Start sein wird, ob der Vordermann besser oder schlechter wegkommt. Es gibt so viele Variablen, die es schwierig machen, vorab Linien oder Wege zu suchen. Ganz besonders, weil ich die meisten dieser Variablen, wie andere Fahrer, nicht beeinflussen kann.

Also muss ich mich auf meinen Start konzentrieren. Der Motor läuft, ich rolle langsam auf meine Startposition und gehe erstmal in "neutral", damit ich nicht so lange auf der Kupplung stehen muss. Meine Startpositionen sind leider noch nicht ganz vorne, so dass ich ewig lange warten müsste, aber es dauert trotzdem sehr lange, bis sich die letzten Autos hinten eingereiht haben. Die Kupplung hat es aber nicht so gerne, wenn sie so lange getreten wird. Wenn alle da sind, trete ich die Kupplung, lege den ersten Gang ein und gebe Gas, bis der Motor die Drehzahl erreicht hat, die ich für richtig erachte. Zum Glück können wir in der Formationsrunde schon einmal den Start üben, danach kann ich abschätzen, ob die Drehzahl passt oder ob ich ein bisschen mehr oder weniger Gas geben muss. Wenn ich glaube, dass ich zu viel Wheelspin hatte, zu schlecht weggekommen bin, kann ich das für den Start noch einmal variieren.

Wheelspin, also durchdrehende Räder, sind natürlich nicht optimal, andererseits muss ich ganz nah dran sein, dass die Räder durchdrehen. Denn mit zu wenig Gas komme ich auch nicht gut weg. Der ideale Moment für den Start ist, wenn die Räder kurz vorm Durchdrehen sind. Dann hat das Auto die optimale Traktion und ich komme am schnellsten vorwärts. Das ist immer ein Vabanquespiel. Ich muss die Kupplung schleifen lassen, darf aber nicht gleich voll aufs Gas gehen. Es ist eine Gefühlssache, die man mit der Zeit rausbekommen muss. Selbst erfahrene Piloten bekommen das nicht bei jedem Start gleich gut hin.

Startablauf, Konkurrenten, Linien - tausend Dinge schwirren durch Steffis Kopf., Foto: Steffi Halm
Startablauf, Konkurrenten, Linien - tausend Dinge schwirren durch Steffis Kopf., Foto: Steffi Halm

Außerdem hat jedes Auto seine Eigenarten. Mein Porsche hat 400 PS - da geht es ordentlich vorwärts. Beim Mini ist das anders. Mit dem Fronttriebler muss man mit viel Gefühl ans Gas gehen, weil die Räder sonst sehr schnell an der Vorderachse durchdrehen. Es ist etwas einfacher als mit dem Porsche, aber der Mini hat auch "nur" 210 PS im Vergleich zu den 400 beim Porsche. Noch gibt es bei meinen Starts etwas Luft nach oben, aber meistens klappt es schon ganz gut.

Der schlimmste Moment kommt aber erst noch. Sobald das Auto fährt, sind um mich herum überall andere Autos. Überraschenderweise nehme ich dabei relativ viel wahr, auch wenn ich mich beim Start nur nach vorne konzentriere. Erst in der Anbremsphase werfe ich einen Blick in den Spiegel, um zu schauen, wo sich die anderen eingereiht haben. Trotzdem gehen mir tausend Dinge durch den Kopf. Nach einem schlechten Start, schaue ich etwas öfter in den Rückspiegel, alles ist situationsabhängig. Der Start ist so eine turbulente Phase, es passieren so viele Dinge, die man gar nicht so schnell verarbeiten kann; zum Glück aber auch nicht immer verarbeiten muss, weil sie einen selbst gar nicht betreffen.

Wahnsinnig viele Einflüsse prallen aufeinander und ich muss darauf achten, dass ich mit meinem Auto die optimale Linie finde. Gleichzeitig muss ich hoffen, dass kein anderer Fahrer einen groben Fehler begeht. Das ist mein Horrorszenario: ich bremse beim Einbiegen in die erste Kurve ab und mir rauscht einer ins Auto, mich trifft keine Schuld, aber das Rennen ist für mich beendet. Davor habe ich jedes Mal Angst, deshalb atme ich immer auf, wenn ich heil durch die erste Kurve durchgekommen bin. Bis zu diesem Zeitpunkt bin ich sehr angespannt, in der Startphase kann so viel passieren, eben auch Dinge, auf die man selbst keinen Einfluss hat. Wenn man weiter vorne fährt, ist das normalerweise nicht ganz so extrem. Aber hinten staut sich das Feld vor der ersten Kurve weit zurück, weil der Bremspunkt wegen der vielen "gestauten" Autos viel weiter nach vorne verlegt ist. Wenn sich dann ein Fahrer überschätzt, schon in der ersten Kurve das Rennen gewinnen will und zu spät bremst, kann das schnell in die Hose gehen.

Der Start ist geglückt, der Aufwand hat sich gelohnt., Foto: Steffi Halm
Der Start ist geglückt, der Aufwand hat sich gelohnt., Foto: Steffi Halm

Andererseits ist es natürlich ein Traum, wenn man einen guten Start hinbekommt. Ich erinnere mich an gute Starts in der Formel VW und Formel König, bei denen ich gleich mehrere Positionen gutgemacht habe. Alle haben damals gedacht, dass ich einen Frühstart hingelegt haben muss, aber es wurde nachgeprüft und es war definitiv keiner. Bei diesen Starts hat alles zu 100% gepasst. Es ist das Beste, was einem Rennfahrer passieren kann, wenn er gleich am Start an zwei, drei Autos vorbeiziehen kann. Das macht richtig Spaß. Dann könnte die Gerade ewig weitergehen. Nach einem schlechten Start hofft man, dass man endlich abbremsen und abbiegen darf, so dass keiner mehr vorbeikommen kann. Bei einem guten Start ist es umgekehrt: dann wünsche ich mir, dass die Gerade noch 500 Meter länger wäre, damit ich an allen vorbeifahren kann. Das ist ein gigantisch gutes Gefühl.