Es ist ein Kampf im Verborgenen - ein Kampf am Schreibtisch, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Viele Monate bevor ihn die Fans zu Gesicht bekommen, flimmern Entwürfe und Skizzen eines neuen DTM-Boliden bereits über die Bildschirme der Entwicklungsabteilung - und lassen aufwändige Simulationsberechnungen über sich ergehen. Die virtuelle Wirklichkeit geht der Wahrheit auf dem Asphalt in der DTM stets voraus - und soll möglichst wenig von ihr abweichen. Die so genannten Delta-Werte, die Abweichung von Simulation und Realität, gilt es von Beginn an klein zu halten. Es ist ein Kampf gegen Delta, in den Sie Dr. Lucia Conconi, Simulationstechnikerin bei Audi, und die adrivo Sportpresse einführen.

Laptop statt Reißbrett

Die Zeiten von Reißbrett und Bleistift sind längst passé. "Lange bevor das Auto auf dem Papier existiert, definieren wir die Performance-Ziele", verdeutlicht Dr. Lucia Conconi die erste Phase der Entwicklungsarbeit vor dem Bildschirm. Mithilfe verschiedener Simulationsprogramme, aber auch auf Basis von Erfahrungswerten der Vorgängermodelle, legen Conconi und ihre Kollegen rasch die grundlegende Richtung der Entwicklungsarbeit fest: "Anschließend wird auf diesen Berechnungen das Lastenheft für das neue Fahrzeug definiert. So können alle Abteilungen auf unsere Ziele hinarbeiten."

Nullsummenspiele der verschiedenen Entwicklungsabteilungen sollen dabei verhindert werden: Um auszuschließen, dass sich die Vorteile verschiedener neuer Komponenten einander stören oder gar aufheben, ist die Zusammenarbeit der Ingenieure oberstes Gebot: "Während des Entwicklungsverlaufs analysieren wir immer wieder gemeinsam mit unseren Kollegen aus den Fachabteilungen, zum Beispiel aus den Bereichen Motor und Fahrwerk, den Einfluss der verschiedenen Lösungen auf das Gesamtkonzept." Auch für hochspezialisierte Techniker gilt es, das große Ganze im Auge zu behalten - bevor sie für erste Prüfstandtests den Schreibtisch verlassen.

Zum Beginn der Winterpause stehen erste Exemplare der neu entwickelten Komponenten zur Verfügung, mit Windkanalmodellen soll eine erste aerodynamische Standortbestimmung vorgenommen werden. "Wir untersuchen dabei zunächst, ob unsere vorherigen Zielwerte erreicht worden sind. Dabei benutzen wir den Windkanal in Ingolstadt, Motorprüfstände und verschiedene Chassis-Prüfstände, darunter beispielsweise auch spezielle Prüfstände für die Radaufhängungen", erläutert Dr. Lucia Conconi, deren Schwerpunkt in der Simulation der Fahrdynamik liegt. Doch so sorgsam und präzise sie ihre Simulationsarbeit auch vornimmt - die Stunde der Wahrheit schlägt auch für Conconi erst beim Roll-out eines neuen Boliden...

Die Stunde der Wahrheit

Bei ersten Tests zeigt sich, wie groß die Delta-Werte sind, Foto: Sutton
Bei ersten Tests zeigt sich, wie groß die Delta-Werte sind, Foto: Sutton

"Die Testfahrten sind ein wichtiger Prozess für den Validierungsprozess zwischen unseren Berechnungen und den tatsächlichen Ergebnissen des Autos auf der Strecke", bestätigt die Italienerin. Sie hat während der Testarbeit jedoch nicht nur die Optimierung des neuen Fahrzeugs im Blick: "Wichtig ist für uns dabei die Beobachtung, inwieweit sich unsere Simulationsbeobachtungen bestätigen, so dass wir die Qualität der Simulation künftig weiter optimieren können." Nachdem insbesondere die vermeintlich objektiven Windkanaldaten im Motorsport wiederholt zu bösen Überraschungen geführt haben, bleibt auch das subjektive Empfinden des Fahrers entscheidend: "Die Tests auf der Strecke bleiben der letzte Prüfstand für die Performance des Autos - gerade weil das Feedback der einzelnen Fahrer sehr wichtig ist."

Nicht zuletzt die in der DTM stark beschränkte Zahl der Testtage trägt dazu bei, dass die Simulationstechniker bei Audi auch während der Saison eine wichtige Funktion bei der Weiterentwicklung einnehmen: Die reglementarisch diktierte Testbeschränkung sorgt bei Audi nicht nur für die Schonung des Etats. Sie hat auch die Simulationsarbeit weiter professionalisiert - und den Charakter der eigentlichen Tests beeinflusst. "Mit der Zeit hat die Simulation die Testfahrten in gewissem Maße ersetzen können und die Vorgehensweise bei den Testfahrten verändert", erläutert Dr. Lucia Conconi. Der Zwang, durch Tests auf möglichst vielen Kursen unterschiedlichste Streckencharakteristika in die Entwicklung einfließen zu lassen, hat sich durch die Simulationsarbeit zumindest teilweise reduziert: "Man kann mit der Simulation und den Prüfständen verschiedene Varianten testen und so grundlegende Abstimmungen für die verschiedenen Strecken finden."

Delta-Kampf vor Ort

Zwar verirren sich die Piloten an den Testfreitagen der Rennwochenenden von Zeit zu Zeit im Setup-Labyrinth. Dennoch versuchen die Simulationstechniker den Fahrern und ihren Renningenieuren bereits im Voraus einen Wegweiser bereitzustellen. "Wir optimieren streckenspezifisch und verschaffen uns einen Überblick über die Parameter, die in Frage kommen, um die Performance des Autos auf der speziellen Strecke zu verbessern", berichtet Conconi. Je höher ihr Maß an Freizeit am Rennwochenende, desto bessere Simulationsarbeit haben sie und ihre Kollegen im Voraus geleistet. Und doch kann das Arbeitspensum unvorhergesehen steigen: Unerwartete Streckenbedingungen und Wetterkapriolen würfeln das Testprogramm während der knapp bemessenen Trainingssessions mitunter durcheinander.

"Ein Vorteil der Simulation ist es, dass man sie überall hin mitnehmen kann." Ausgestattet mit Laptop und verschiedensten Simulationsprogrammen - von Programmen zur Gesamtperformance und Fahrverhalten bis hin zur numerischen Strömungssimulation (CFD) - macht sich Dr. Lucia Conconi im Krisenfall an die Arbeit: "Am Rennwochenende können wir, wenn besondere Hindernisse auftauchen, schnell reagieren und simulieren, was die veränderten Bedingungen bedeuten. Die Simulation hilft auch an Wochenenden mit wechselnden Wetterbedingungen, denn sie gibt nicht nur ein Ergebnis vor, sondern viele verschiedene Richtungen."

Es sind die "vielen verschiedenen Richtungen" der Simulationsergebnisse, die die Fahrzeugentwicklung in der DTM auch in digitalisierten Zeiten nicht zum bloßen Computerspiel machen. "Man muss immer wieder die Balance zwischen Motor, Fahrwerk und allen anderen Komponenten in der Simulation vordefinieren und dann an der Strecke die beste Kombination zusammenbringen", bilanziert die Audi-Technikerin. Der Mensch bleibt im Kampf gegen Delta-Werte auch weiterhin gefordert...