Beim achten Saisonlauf wurde dem Zuschauer mehr als nur packender Motorsport präsentiert: Auch Zankäpfel wurden beim Rennsonntag im niederländischen Zandvoort großzügig serviert...

Zandvoorter Zankäpfel, Teil 1: Die Durchfahrtsstrafen

Das leidige Thema "Drive-through-Strafe" - nicht nur in Folge des Rennens auf dem Nürburgring vor drei Wochen bot die Durchfahrtsstrafe bzw. ihre Verhängung durch die Rennleitung einigen Anlass zu Diskussionen. Immerhin: Wurden in der Eifel noch vier Drive-through-Penaltys ausgesprochen, so waren es in Zandvoort nur noch derer drei. Ausgerechnet Rennjubilar Manuel Reuter bekam das schwarz-rote, bedrohlich anmutende Drive-through-Schild als Erster zu Gesicht. Der 43-jährige Mainzer hatte Mika Häkkinen in Runde zehn während eines etwas übermotiviert wirkenden Überholversuches umgedreht.

Nur vier Runden später verkeilte sich Laurent Aiellos Vectra-Front im Heck von Frank Stipplers Audi-A4-Jahreswagen, der kurz zuvor einen Reifenschaden erlitten hatte und somit mit eher geringer Geschwindigkeit unterwegs war. "Ich hing hinter Manuel Reuter fest, fuhr mir einen Reifen kaputt und wurde dann von Laurent Aiello hart getroffen", berichtete Stippler. Inwieweit die Kollision mit Aiello überhaupt im Rahmen eines "echten" Überholvorgangs gesehen werden kann, ist somit eher fraglich. Zumindest die Strafe für Reuter erscheint im Kontext der Entscheidungen der letzten Rennen aber konsequent und bot keinen Anlass zu Diskussionen.

Erneut musste so mancher den Anblick dieses Schildes ertragen, Foto: adrivo Sportpresse
Erneut musste so mancher den Anblick dieses Schildes ertragen, Foto: adrivo Sportpresse

Mehr Diskussionsstoff bot da bereits die Durchfahrtsstrafe für Pole-Setter Bernd Schneider - sie wurde zu einem der Zankäpfel von Zandvoort: Der vierfache DTM-Meister war vor Titelanwärter Gary Paffett liegend dem vorausfahrenden Rinaldo Capello im Vorjahres-Audi beim Abbremsen vor der Tarzanboocht aufgefahren, woraufhin sich der Italiener im Kiesbett wiederfand. Den schlimmsten Spekulationen bereitete Capello selbst ein Ende: "Ich bin mir sicher, dass ein so routinierter Fahrer wie Bernd mich nicht absichtlich abgeschossen hat."

So befand allerdings so mancher Beobachter, man könne ein Missgeschick beim Anbremsen vor einer Kurve nicht bestrafen. Unbestritten konnte das Manöver nicht unbedingt als Überholversuch gesehen werden; auch die späteren Aussagen Schneiders in der ARD, Capello habe früher als gewohnt gebremst, gaben manchem Betrachter Anlass zum Zweifel an der Drive-through-Strafe. Gänzlich falsch erscheint der Beschluss der Rennleitung dennoch nicht, muss doch die Verhängung einer Durchfahrtsstrafe auch im Kontext ihres eigentlich Sinnes gesehen werden: Sie mahnt zum fairen und bedachten Fahren und dient so der Sicherheit - die der Fahrer und Zuschauer.

Zandvoorter Zankäpfel, Teil 2: Die Jahreswagen

Auch die Neuauflage eines altbekannten Zankapfels, der sein Haltbarkeitsdatum etwas überschritten zu haben schien, bot sich dem Betrachter beim gestrigen Rennen. So zeigten die Audi-Jahreswagen angesichts ihrer sehr guten Performance Zähne in Zandvoort - und so mancher Siegaspirant biss sich dieselben auch an ihnen aus. Zunächst traf es Bernd Schneider und Gary Paffett. Der Pole-Setter und der Titelanwärter waren nach ihrem ersten Boxenstopp auf Rinaldo Capello, seinerseits noch ohne Boxenbesuch, aufgelaufen. Der Italiener geriet für Paffett und Schneider zum rundenlangen Ärgernis, schafften sie es doch nicht, an dem schwarzen Joest-Audi vorbeizuziehen. Erst mit dem oben erwähnten Unfall fanden Capellos Versuche, seine Position zu verteidigen, ein Ende.

Wie gewohnt prallten bezüglich der Prozessionsfahrt hinter Capello die üblichen Grundsatzthesen aufeinander: Während man einerseits - nicht nur im Audi-Lager - befand, Capellos Verhalten sei angesichts der Tatsache, dass dieser um eine Rennposition kämpfte, vollkommen legitim und "moralisch" keinesfalls fragwürdig, hielt die Gegenseite Capellos Verweilen vor den beiden Mercedes für einen unfairen Eingriff ins Renngeschehen. Unbestritten ist lediglich, dass Capellos langes Warten bis zum ersten Boxenstopp taktisch die einzige Chance für den von Platz 16 gestarteten DTM-Neuling darstellte. Was wiederum nichts daran ändert, dass der capellosche Zankapfel weiterhin schmackhaft bleiben dürfte...

Capello überstand den Crash mit Schneider nicht unbeschadet, Foto: Sutton
Capello überstand den Crash mit Schneider nicht unbeschadet, Foto: Sutton

Weniger den Appetit auf streithaltiges Obst als vielmehr eine eher panische Reaktion rief der Anblick eines anthrazitfarbenen Vorjahres-A4 bei Mattias Ekström hervor: Nachdem Ekström im Fernduell gegen Schneider, Paffett und Frentzen um jede Zehntelsekunde gekämpft hatte, lief der Schwede auf den Joest-Pilot Christian Abt auf - der wie schon auf dem Norisring nicht gewillt schien, seinen Abt-Kollegen vorbeizuwinken. Ekström drängte sich unter Verwendung der Brechstange in der Schikane an Abt vorbei, wobei es zur Berührung der beiden Ingolstädter Rennlimousinen kam.

"Die Berührung mit Mattias tut mir leid - ich habe ihn nicht gesehen und wurde auch nicht über Funk gewarnt", versuchte Abt später die Wut des Schweden zu beschwichtigen und ging einem weiteren Zandvoorter Zank aus dem Weg. Bedenkt man, dass sich die Markenkollegen infolge ihrer unterschiedlichen Tankstrategien ohnehin nicht im direkten Kampf miteinander befanden, erschient jene Version durchaus glaubwürdig - und Forderungen nach einer Drive-through-Strafe für Mattias Ekström zumindest recht skurril. Die teaminterne Kommunikation bei Audi erscheint indes durchaus verbesserungswürdig.

Zähne zeigende Rüsselsheimer

Nach einer schwachen Vorstellung in der Eifel zeigte Opel in Zandvoort endlich wieder die Zähne des Vectra GTS V8. Erlebte man auf dem Nürburgring nach einem überzeugenden Freitags- und Samstagsauftakt im Rennen in Form von Kollisionen, missglückten Boxenstopps und einer eher enttäuschten Performance einen Dämpfer, so zeigte man sich in Zandvoort nicht mehr als zahnloser Tiger.

Auf die viel versprechenden Zandvoort-Vorstellungen während der Tests folgten mit den Super-Pole-Positionen zwei und drei für Marcel Fässler und Heinz-Harald Frentzen eine auch aus teamtaktischer Sicht hervorragende Ausgangsposition - die insbesondere Frentzen zu nutzen wusste. So bot sich in Zandvoort ein Bild, das - ausnahmsweise - keinen Zank, sondern vielmehr einvernehmliche Freude bei den DTM-Betrachtern auslöste: Mit Frentzen im rotern Stern-Vectra schienen die Wünsche des gemeinen DTM-Fans nicht mehr in der weiten Ferne des Sternenhimmels zu liegen, sondern wurden Realität: Neben Audi und Mercedes schaltete sich auch Opel ernsthaft in den Kampf um den Sieg ein.

Frentzen fuhr Ekström zunächst davon, Foto: Sutton
Frentzen fuhr Ekström zunächst davon, Foto: Sutton

Letztlich verhinderte lediglich eine etwas unglückliche Boxenstoppstrategie, dass Frentzen auch zu Rennende um den Sieg kämpfen konnte. Dass Marcel Fässler bereits zu Beginn des Rennens im vorderen Mittelfeld stecken blieb und Manuel Reuter sowie Laurent Aiello ihre ohnehin schon geringen Chancen mit Kollisionen verspielten, vermag den positiven Eindruck von den Rüsselsheimern nicht zu trüben. Nicht nur auf Grund des Gewichtsvorteils gelingt es Opel endlich, über die Statistenrolle hinauszuwachsen - das Ergebnis kontinuierlicher und effektiver Testarbeit am einstmals noch mit Handling-Problemen und Schwierigkeiten bei der Abstimmung nervenden Vectra GTS.

Auch Heinz-Harald Frentzen wuchs angesichts der Konkurrenzfähigkeit seines Fahrzeugs über sich hinaus: "Das war eines der härtesten Rennen meiner Karriere. So geschwitzt habe ich noch nie. Jede Runde war heute wie eine Qualifikationsrunde – immer am Limit." Opel-Sportchef Volker Strycek bekannte nach dem Rennen: "Ich bin richtig glücklich über das Ergebnis. Heinz-Harald Frentzen wurde Dritter, obwohl sein Auto beim Boxenstopp fast ausging." Ganz scheinen die Opel-Krankheiten also doch noch nicht auskuriert...

Performance-Zauber und Taktik-Zampanos

Während die Opel-Performance über das Rennwochenende hinweg stabil blieb, waren die Zandvoort-Leistungen der Konkurrenz eher zauberhaft anmutenden Schwankungen ausgesetzt: Wie schon auf dem Nürburgring folgte auf ernüchternde Mercedes-Platzierungen in den Tests die Pole Position im Qualifying, wohingegen bei Audi erneut das Eifel-Symptom auftrat: Dominanten Vorstellungen während der Freien Trainings schloss sich in der Super Pole die Pleite an.

Zwar fand sich Audi angesichts der konzeptionellen Eignung des A4 für den Dünenkurs in Zandvoort im Gegensatz zur Stuttgarter Konkurrenz von Beginn an gut zurecht - signifikant steigende Formkurven waren dagegen nur bei Mercedes zu beobachten. Nicht nur das Ergebnis Gary Paffetts belegt, dass es der Marke mit dem Stern letztlich hervorragend gelang, die eher topspeedbetonte C-Klasse auf den Abtrieb erfordernden niederländischen Kurs zu trimmen. Norbert Haug brachte es auf den Punkt: "Obwohl Zandvoort für uns eigentlich nie eine gute Strecke war, hat mich unsere Perfomance heute überzeugt."

Schneider war zunächst Profiteur der Mercedes-Steigerung., Foto: Sutton
Schneider war zunächst Profiteur der Mercedes-Steigerung., Foto: Sutton

So hatte man bei Audi nicht nur hinsichtlich der technischen Basis die Überlegenheit eingebüßt. Die - gar nicht erst nicht vorhandene - Überlegenheit der Ingolstädter bei der Erarbeitung der Rennstrategien machte sich umso deutlicher bemerkbar. So präsentierte sich die Mannschaft um Norbert Haug als Zandvoorter Taktik-Zampano. Mit einem frühestmöglichen ersten Stopp in der sechsten Runde hatte man für Gary Paffett, zunächst noch hinter Ekström liegend, eine Strategie erdacht, die wie für das niederländische Dünenlabyrinth geschaffen war.

Zwar versuchte Audi angesichts eines frühen Boxenstopps bei Ekström, jenen Taktik-Kniff nachzuahmen - angesichts des Vorsprungs, den sich Paffett im Fernduell zu diesem Zeitpunkt bereits erarbeitet hatte, blieb es allerdings beim Versuch. Anders als auf dem Nürburgring konnte Mercedes die gewohnte Vorherrschaft in Sachen Taktik wieder aufblitzen lassen. Mattias Ekström nahm die Pleite nach außen hin gelassen: "So ist das mit Strategien: manchmal gehen sie auf, manchmal nicht. Um zu gewinnen, muss man ein perfektes Rennen fahren - heute war es nicht perfekt."

Zank um die Meisterschaft

Der Zank um die Meisterschaft spitzte sich in Zandvoort weiter zu: War es zuvor noch Mattias Ekström, der mit einem Punkt Vorsprung die Meisterschaft vor Gary Paffett anführte, so drehte der Brite den Spieß nun um - ebenfalls mit nur einem Zähler Vorsprung. So sprach der Vizemeister des vergangenjahres wenig überraschend von "einem großartigen Wochende", "einem fantastischen Sieg", sowie einem "perfekten Auto" - im Wissen, dass sein Sieg trotz des geringen Vorsprungs möglicherweise die Vorentscheidung im Kampf um die Meisterschaft war. Zwar stellt Audi-Motorsportchef fest: "Der Titelkampf ist sehr eng. So soll Motorsport sein." Dennoch dürfte es Audi Unbehagen bereiten, die Führung in der Fahrerwertung ausgerechnet in Zandvoort nicht ausgebaut zu haben - auf der möglicherweise letzten "Audi-Strecke".

Kristensen blickt geschwundenen Titelchancen hinterher, Foto: Sutton
Kristensen blickt geschwundenen Titelchancen hinterher, Foto: Sutton

Während die Eignung von A4 und C-Klasse für den zehnten Saisonlauf im "Istanbul Speed Park" kaum prognostiziert werden kann, stehen Audi beim neunten Lauf auf dem Eurospeedway Lausitz sowie beim Finallauf in Hockenheim bereits zwei Kurse bevor, die gemeinhin eher als traditionelle "Mercedes-Strecken" gelten. Der Ausbau der Führung in der Markenwertung kann so für die Ingolstädter nur ein äußerst schwacher Trost sein.

Derweil darf Tom Kristensen, zwischenzeitlich im Zank mit einer allzu widerspenstigen und auch durch Klebeband nicht zu bändigenden Frontpartie, die verbliebenen Meisterschaftshoffnungen endgültig begraben: Nach einem vierten Rang in Zandvoort haben sich für den Dänen drei Rennen vor Saisonende 19 Punkte Rückstand auf den neuen Meisterschaftsführenden Gary Paffett aufgebaut. Mit Blick auf seinen sportlich hochklassigen Kampf gegen Marcel Fässler gibt sich Kristensen somit nun auch mit kleinen Erfolgen zufrieden: "Es ist ein besonders schönes Gefühl, so kurz vor der Ziellinie eine Position gut zu machen..."