Sébastien Ogier: Ich bin einfach überglücklich! Ich könnte die ganze Welt umarmen, das Gefühl ist einfach unbeschreiblich. Den Weltmeistertitel ausgerechnet in Frankreich gewonnen zu haben, ist ein Traum, der in Erfüllung geht. Als kleiner Junge habe ich mit meinem Vater in meiner Heimat Gap die Autos und Top-Fahrer bei der Rallye Monte Carlo bestaunt - und jetzt bin ich mit Julien selbst Rallye-Weltmeister, verrückt. Was wir erreicht haben, ist fantastisch. Wenn wir nun auch noch in der Herstellerwertung am Ende Erster sein sollten, wäre das sicher eine magische, perfekte Saison.
Julien Ingrassia: Vielleicht der schönste Tag in meinem Leben, in meiner Karriere bestimmt! Wenn mir am Anfang der Saison jemand gesagt hätte, dass Séb und ich zwei Rennen vor Schluss Weltmeister sind - den hätte ich sofort für verrückt erklärt. In Australien waren wir ja schon so dicht dran, aber nun ist der Titelgewinn Wirklichkeit geworden.

Apropos Australien: Bis wenige Meter vor dem Ziel saht ihr schon wie die sicheren Weltmeister aus. Wie hat sich das angefühlt, die Rallye und die Powerstage dominiert und den WM-Titel dann plötzlich doch noch nicht gewonnen zu haben?
Sebastien Ogier: Das hat sich schon etwas seltsam angefühlt. Wir hatten gewonnen, aber den frühzeitigen Gewinn der Weltmeisterschaft um einen Punkt verpasst. Trotzdem war es eine tolle Rallye, sowohl für Volkswagen als auch für Julien und mich. Deshalb war uns auch sehr schnell klar: Es fehlt nur noch der letzte Schritt, der Job ist zu 99 Prozent erledigt.
Julien Ingrassia: Der Funkspruch nach dem Ende der letzten Wertungsprüfung war schon kurios: ‚Glückwunsch Jungs, ihr habt die Rallye gewonnen. Aber auf die Meisterschaft müsst ihr noch warten.' Wir waren eigentlich das ganze Wochenende die ‚virtuellen' Champions - und dann das. Aber 19 von 22 Wertungsprüfungen zu gewinnen, das gelingt einem in der Rallye-Weltmeisterschaft auch nicht alle Tage. Insofern hat die Freude kurze Zeit später schon wieder deutlich überwogen.

Mit voller Geschwindigkeit rasten Sebastien Ogier und Julien Ingrassia in Mexiko auf ein geschlossenes Tor zu, Foto: Volkswagen Motorsport
Mit voller Geschwindigkeit rasten Sebastien Ogier und Julien Ingrassia in Mexiko auf ein geschlossenes Tor zu, Foto: Volkswagen Motorsport

Davon abgesehen: Was war der verrückteste Moment in dieser Saison?
Julien Ingrassia: In jedem Fall das Viehgatter in Mexiko. Das war wirklich ein surrealer Moment. Glücklicherweise haben wir die Rallye trotzdem gewonnen und konnten danach herzlich darüber lachen. Vor allem als wir nach der Zieldurchfahrt in den Servicepark zurückkehren wollten und das Team die Einfahrt zu unserem Platz zugesperrt hatte.
Sebastien Ogier: Oh ja! So etwas ist mir noch nie passiert, das war eine ganz schöne Überraschung, als wir plötzlich vor einem verschlossen Gatter standen. Ich habe versucht, es mit dem Auto aufzudrücken, aber man konnte es nur aufziehen. Also ist Julien aus dem Auto gesprungen, hat es aufgemacht und wir sind durch. Ich wusste, dass man uns die Zeit gutschreiben würde, weil es sich um ein Vorkommnis außerhalb unserer Kontrolle handelte. Letztendlich war es kein großes Problem.

Seit acht Jahren seid ihr nun ein Team. Was war der schönste Moment in eurer Karriere bisher, vom Titelgewinn einmal abgesehen?
Sebastien Ogier: Mein Sieg in Schweden in diesem Jahr. Das war einfach eine perfekte Rallye und der erste Sieg mit Volkswagen. Wir hatten ein großartiges Duell mit Sébastien Loeb, er hat viel Druck auf uns ausgeübt, so dass wir überall 'volle Pulle' fahren mussten. Außerdem wird mein erster Sieg in Portugal 2010 für immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben.
Julien Ingrassia: In diesem Jahr war es sicher der Sieg in Schweden. Es ist ohnehin schon nicht leicht, dort zu gewinnen, aber das war wirklich etwas ganz Besonderes. Und in Monte Carlo hatten wir wahrscheinlich den größten Druck unserer Karriere.

Und woran erinnert ihr euch nicht so gern?
Sebastien Ogier: Der schlimmste Moment war mein Crash bei der Rallye Monte Carlo 2012. Wenn das Auto bei 160 Stundenkilometern ausbricht und du auf die Bäume zuschießt - da kannst Du nur hoffen, dass nichts allzu Schlimmes passiert. Das brauche ich nie wieder.

Wann habt ihr euch eigentlich das erste Mal getroffen?
Sebastien Ogier: Das muss kurz nach der Rally Jeunes Ende 2005 gewesen sein, richtig? Julien hat damals zugeschaut und wohl geguckt, ob ein besonders schneller Fahrer dabei ist. Ich habe den Wettbewerb als Bester unter einigen tausend Mitbewerbern am Ende gewonnen. Das hat für ihn den Ausschlag gegeben.
Julien Ingrassia: Der Schnellste zu sein, war bestimmt kein Hinderungsgrund (lacht). Ich hatte damals schon ein paar Jahre Erfahrung als Beifahrer gesammelt. Séb hat nicht nur fahrerisch, sondern auch mit seiner Willensstärke aus der Menge herausgeragt. Der Sieger bekam einen Startplatz im Peugeot-206-Cup, also habe ich dort angefragt, ob ich Sébs Co-Pilot werden kann. Schon beim ersten Treffen haben wir uns gut verstanden und beschlossen, es miteinander zu versuchen.

Sebastien Ogier und Julien Ingrassia sind seit Jahren ein eingespieltes Team, Foto: Volkswagen Motorsport
Sebastien Ogier und Julien Ingrassia sind seit Jahren ein eingespieltes Team, Foto: Volkswagen Motorsport

Klingt ja fast wie Liebe auf den ersten Blick?
Sebastien Ogier: (lacht) Nein, so schlimm war es nun auch nicht. Aber im Ernst: Wir sind schon zwei unterschiedliche Charaktere. Ich bin vielleicht etwas emotionaler und temperamentvoller im Cockpit. Julien holt mich mit seiner beruhigenden Art dann ab und zu wieder auf den Boden zurück. Wir ergänzen uns perfekt, verstehen uns blind.
Julien Ingrassia: Beim Feiern ist Séb sicher temperamentvoller, aber im Auto bleibt er meist gelassen und cool. Er hat die Fähigkeit, seine Umgebung komplett auszublenden und sich nur auf das Fahren und die Ansagen zu konzentrieren. Das ist eine seiner Stärken, die ich bewundere und die sicher ein Schlüssel für unseren Erfolg sind.
Sebastien Ogier: Danke für die Blumen, aber ohne guten Co-Piloten ist der beste Rallyefahrer nichts. Julien und ich verstehen uns ohne Worte, wahrscheinlich könnten wir auch mit Zeichensprache fahren. Fast so wichtig wie ein guter Aufschrieb ist aber Juliens Organisationstalent. Er führt akribisch Zeitplan zu jedem Rallye-Wochenende. Er weiß, wann wir morgens los müssen, wann PR-Termine warten oder um welche Uhrzeit das Teambriefing ansteht. Ehrlich gesagt, bin ich in solchen Dingen manchmal etwas bequem.

Was ist deine Lieblingswertungsprüfung in der Rallye-WM und warum?
Sebastien Ogier: Schwierige Frage, es gibt so viele schöne Wertungsprüfungen. Auf Asphalt ‚Moulinet' bei der Rallye Monte Carlo und auf Schotter ohne Zweifel ‚Ouninpohja' in Finnland. Die ist extrem schnell mit so vielen Sprüngen, es macht einfach Spaß da zu fahren.

Was macht ihr in den letzten 30 Sekunden vor einer Prüfung?
Sebastien Ogier: Ich überprüfe meine Sicherheitsgurte und lasse die Tür so lange auf wie möglich auf, um frische Luft zu bekommen. Ansonsten reine Konzentration. Julien und ich sprechen normalerweise in den letzten Sekunden vor dem Start nie miteinander. Jeder weiß, was er zu tun hat.
Julien Ingrassia: Da passiert nicht mehr viel. Wir konzentrieren uns beide, schließen die Türen und dann mache ich ab 15 Sekunden vor dem Start den Countdown.

Mal abgesehen von deinem Co-Piloten, wer ist das wichtigste Mitglied im Team und warum?
Sebastien Ogier: Rallye ist ein Mannschaftssport, jeder ist wichtig für den Erfolg, ganz gleich ob Koch oder Mechaniker. Aber FX Demaison im Team zu haben ist besonders wichtig für mich. Er ist der Vater des Polo R WRC - und er ist Franzose. Manchmal ist es einfach schön, mit ihm ein bisschen auf Französisch zu parlieren.
Julien Ingrassia: Jeder ist wichtig. Wenn ein Mechaniker ein Ingenieur bei der Entwicklung des Autos etwas falsch macht, merken wir es im nächsten Jahr.

Seid ihr abergläubisch? Wenn ja, nehmt ihr einen Talisman mit ins Auto?
Julien Ingrassia: Nein, eigentlich gar nicht.
Sebastien Ogier: Überhaupt nicht. Ich habe nichts im Auto, was ich nicht brauche. Das ist nur überflüssiger Ballast.