1. - S wie Startaufstellung

Nach dem 2. Training am Freitag spielte Mario Theissen zum ersten Mal mit dem Gedanken an die erste Startreihe. Nach dem 3. Training am Samstagvormittag legte er ihn wieder beiseite. Im Qualifying kam es dann zu einer Lotterie, die Lewis Hamilton und Robert Kubica als glückliche Gewinner beendeten. "Das war ein fantastischer Samstag für mich", freute sich Hamilton, der als einer der wenigen Fahrer keine Probleme mit der aufbrechenden Strecke hatte.

"Lewis' Runde war megamäßig", lobte Norbert Haug. "Wenn uns vorher jemand gesagt hätte, dass wir so weit vor Ferrari wären, hätte das kein Mensch geglaubt. Der letzte Sektor war der absolute Hammer. Er ist auf Power gefahren und war das ganze Wochenende eine Klasse für sich."

Ganz anders kommentierte man bei Ferrari das Qualifying-Ergebnis. "Wir können nicht sagen, dass wir mit dem Qualifyingergebnis zufrieden sind", gestand Stefano Domenicali. Kimi Räikkönen startet hinter Hamilton und Robert von Platz 3, Felipe Massa sogar nur von Platz 6. "Das spiegelt nicht unser wahres Potenzial wider." Das Auto sei schnell gewesen, so Massa, "die ersten beiden Sektoren waren sehr gut, aber ich verlor alles im letzten Sektor." Fernando Alonso störte das nicht. "Es war eine schöne Überraschung, in den ersten beiden Qualifyings so nah an Ferrari dran zu sein und im Q3 sogar einen hinter uns zu lassen." Der Spanier startet neben Räikkönen aus der zweiten Reihe.

2. - S wie Start

Die erste Kurve des Circuit Gilles Villeneuve ist für Kollisionen und Zwischenfälle berüchtigt. Deshalb ist Sebastian Vettel ganz froh, dass er nach seiner verpassten Qualifyingteilnahme nicht am Ende des Feldes starten muss. Stattdessen wird er aus der Box losbrausen, weshalb er einem möglichen Chaos in Kurve 1 entgehen sollte, zumindest theoretisch.

Selbst in der ersten Reihe spürt Rober Kubica den Druck. "Leider starte ich auf der schmutzigen Seite", klagt der Pole. "Die McLaren machen einen sehr starken Eindruck, und ich werde auch Druck von Ferrari bekommen, aber man muss abwarten, wer welche Strategie hat."

3. - S wie Steinchen

Es war viel Putzarbeit gefragt., Foto: Sutton
Es war viel Putzarbeit gefragt., Foto: Sutton

"Es war außergewöhnlich schwierig heute." Diese Aussage (in diesem Fall exemplarisch von Jarno Trulli entliehen) könnte jedem der 20 Piloten zugeordnet werden. In Kurve 10, der Haarnadel, brach der Asphalt auf, kleine Steinchen, sogenannte Marbles, verschmutzten die Fahrbahn neben der Ideallinie und machten die Strecke superrutschig. "Ich bin hinter einem anderen Auto hergefahren und als er aus der Haarnadel raus fuhr und Gas gab, flogen die Steine nur so herum", beschrieb Timo Glock das Problem. "Es war, als ob er mich sandgestrahlt hätte." Glocks Teamkollege fasste die Streckenbedingungen mit einem einzigen Wort zusammen: "Ein Desaster."

Die Strecke sei zwar zwischen den Sessions gekehrt worden, "aber sie brach so schnell auf, dass es wie auf Schienen war", sagte David Coulthard. Mit so viel PS im Heck zu rutschen, sei unglaublich schwierig. Sein Teamkollege Mark Webber sieht deshalb für das Rennen nur einen Ausweg: "Wir werden Motocross-Bikes brauchen, denn es ist unrealistisch, mit einem F1-Auto auf dem Gras zu fahren." Diesen Ausweg suchten etliche Fahrer: da die Linie wegen der kleinen Steinchen auf der Strecke nicht befahrbar war, wichen sie mit zwei Rädern auf den Grünstreifen aus.

"Es ist unglaublich, wie viel Zeit ich in Kurve 10 verloren habe - Runde für Runde", klagte Räikkönen. "Ich fuhr wie auf Eis und fand an dieser Stelle nie die richtige Linie." Sollte das auch am Sonntag so sein, erwartet der Finne einen Albtraum. "Dann wird es vielleicht nicht möglich sein, darauf zu fahren", malte Fernando Alonso ein Negativszenario auf den zerbröckelten Asphalt. "Schon heute waren einige Kurven am Limit, man musste mit zwei Rädern im Gras fahren, um den Steinchen auszuweichen. Morgen könnte es dann eine Safety Car-Phase geben."

Wenn man nur einen Zentimeter zu spät bremste und auf die Marbles kam, sei man unaufhaltsam gerutscht. Das verursachte Mark Webbers Dreher und Einschlag in der Mauer und viel Zeitverlust bei anderen Fahrern, deren Reifen danach noch für die nächsten Kurven schmutzig waren. "Wenn das morgen mit der Strecke so weitergeht, dann wird das ein absolut verrücktes Rennen", glaubt Massa. "Wenn das jetzt schon immer nach 15 Minuten passierte, dann werden wir ein sehr seltsames Rennen erleben." Mit vielen Fehlern, Abflügen und Ausritten.

Um dem vorzubeugen wird der Kurs an den aufgebrochenen Stellen übernacht "neu asphaltiert". Dabei kommt ein neuartiges Material zum Einsatz, das die Streckenbetreiber in der Nacht zum Samstag bereits in Kurve 14 ausprobierten. Dort scheint es zu funktionieren, jedenfalls so lange das harzartige Material nicht von einem Regenschauer weggewaschen wird.

4. - S wie Setup

Der Circuit Gilles Villeneuve, eine nicht-permanente Rennstrecke, vereint zwei gegensätzliche Charakteristika in sich. Auf der einen Seite verfügt der auf einer Insel im St. Lorenz-Strom gelegene Kurs über einige lange Geraden, an deren Ende harte Bremsmanöver anstehen. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche langsame Kurven, die nach viel Traktion und hohem Drehmoment der Motoren verlangen, um optimal aus ihnen herauszubeschleunigen. Die Strecke erfordert ein Auto, das dem Fahrer Vertrauen zum Spätbremsen vermittelt. Gleichzeitig gilt es die Hinterreifen im Auge zu behalten, denn die Teams fahren in Montreal mit den beiden weichsten Laufflächenmischungen von Bridgestone.

Die Haarnadel sorgt aktuell für Probleme., Foto: Sutton
Die Haarnadel sorgt aktuell für Probleme., Foto: Sutton

In Montreal fahren alle Teams "Medium- bis Low-Downforce"-Pakete. Das Hauptaugenmerk der Aerodynamik-Experten liegt darauf, den Luftwiderstand zu minimieren, um auf den langen Geraden hohe Geschwindigkeiten bis über 320 km/h zu ermöglichen. Gleichzeitig sollte ausreichend Abtrieb beim Bremsen und in den langsamen Schikanen für große Fahrzeugstabilität sorgen. Die niedrigen Abtriebsniveaus sorgen allerdings dafür, dass sich der Wagen leicht anfühlt und auf der Bremse nervöse Tendenzen an den Tag legt. Die Fahrer müssen beim Lenken, Bremsen und Gasgeben daher besonders gefühlvoll agieren.

Auch müssen die Autos schnell und direkt auf Richtungswechsel in den Schikanen reagieren, sich gleichzeitig auf der Bremse und beim Beschleunigen aus den langsamen Kurven stabil verhalten. Auch die Gefahr von blockierenden Reifen beim Bremsen muss berücksichtigt werden. Übermäßiges Stillstehen der Räder an der Vorder- und Hinterachse kostet wertvolle Zeit.

Neben Monza ist Montreal der für die Bremsen anstrengendste Kurs im Kalender. Dabei geht es nicht um die Gefahr des Überhitzens, denn die Bremskühlung stellt wegen der langen Geraden kein Problem dar. Großes Augenmerk gilt stattdessen dem Verschleiß der Bremsscheiben und -beläge, da sie erhebliche Energiemengen abbauen müssen. Vier Mal wird aus über 300 km/h abgebremst, zwei weitere Male aus über 250 km/h. Der Bremsverschleiß wird in Echtzeit gemessen und überwacht. Je nach Ergebnissen dieses Monitorings empfehlen die Ingenieure den Fahrern, die Bremsbalance im Rennen weiter nach vorn oder hinten zu verstellen. Während der Freien Trainings wird zudem der Bremsenverschleiß unter den im Rennen gefahrenen Treibstoffladungen ermittelt.

Das immer wiederkehrende Wechselspiel von hartem Bremsen und kräftigem Beschleunigen ist ein signifikantes Merkmal des "Circuit Gilles Villeneuve". Die Motoren müssen pro Runde sechs längere Volllast-Etappen - unterbrochen von den Schikanen - über sich ergehen lassen. Daraus ergibt sich ein Rundenanteil von fast 60 Prozent bei voll geöffneten Drosselklappen. Das ist insgesamt betrachtet nicht sonderlich viel, aber die längste Volllastdauer beträgt 14 Sekunden - ein überdurchschnittlich hoher Wert. Montreal zählt damit zu den anspruchvollsten Strecken für die Motoren. Die Kühlung stellt normalerweise kein Problem dar. Allerdings können auf die Strecke gewehtes Gras und Blätter die Kühlung ernsthaft beeinträchtigen.

5. - S wie Strategie

Der Grand Prix von Kanada in Montreal zählt zu den Rennen, in denen Strategien mit einem, zwei oder gar drei Boxenstopps möglich sind. Die wahrscheinlichste Variante ist eine Zwei-Stopp-Lösung. Das Fehlen von Hochgeschwindigkeitskurven bedeutet, dass der Zeitverlust pro Liter Kraftstoff an Bord recht gering ist. Auch liegt der Kraftstoffverbrauch auf einem recht niedrigen Niveau. Es bedeutet daher keinen großen Nachteil, mit viel Treibstoff an Bord ins Qualifying zu gehen.

Genau das scheinen sich einige der Protagonisten gedacht zu haben. So soll Flavio Briatore nach dem Qualifying gesagt haben, dass Fernando Alonso so viel Sprit im Tank habe, dass er noch welchen davon verkaufen könne. Die optimistischen Aussagen des Spaniers verliehen diesem Scherz Nachdruck. Alonso denkt nicht, dass er eine andere Strategie als die anderen um ihn herum habe. "Das kann schon sein", stimmt Nico Rosberg zu, der aber auch sich gut aufgestellt wähnt. "Ich habe viel Sprit an Bord", gesteht er. "Wir haben eine gute Chance, etwas zu erreichen." Alonso möchte er sicherheitshalber schon am Start überholen.

Die richtige Strategie kann entscheiden., Foto: Sutton
Die richtige Strategie kann entscheiden., Foto: Sutton

Ebenfalls viel Sprit im Tank hat Nick Heidfeld. "Was der achte Platz wirklich wert ist, werden wir morgen beim Tanken sehen", sagte uns Mario Theissen kurz nach dem Qualifying. Etwas später am Nachmittag gab er sich schon offener: "Er ist auf einer anderen Strategie. Warten wir ab, wo er nach dem ersten Stopp liegt." Der Grund für den Strategieunterschied zu seinem Teamkollegen Robert Kubica ist leicht erklärt: "In Montreal gibt es ein sehr hohes Safety Car-Risiko", erläutert Theissen, "da ist es nicht schlau, alle Eier in einen Korb zu legen."

Konkret könne man eine mögliche SC-Phase aber nicht in die Strategie aufnehmen, betont Timo Glock. "Man muss zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein." Dennoch gibt es einige Überlegungen, die vielleicht der eigenen Strategie in die Karten spielen könnten. "Wenn du einen kurzen ersten Stint fährst, damit du im Qualifying besser bist, würde dir eine Safety Car-Phase irrsinnig schaden", rechnet Alex Wurz vor. "Also ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Leute länger fahren. Es bleibt aber die Frage, wie weit man geht."

6. - S wie Sonntagswetter

Schon einige Tage vor dem Wochenende wurden die Wetterfrösche immer häufiger bemüht. Für alle drei Renntage wurde Regen vorhergesagt. Bislang nieselte es nur am Freitag während der ersten Session. Am Sonntag erwarten die Wetterexperten ab Mittag zu 70% Regen. "Das Wetter ist hier recht launisch, es kann sein, dass es morgen regnet", bestätigt Nick Heidfeld, der sich aber nicht ganz sicher ist. "Ganz schlecht wäre, wenn es während des Rennens anfinge zu regnen." Denn mit Regenreifen müsse man häufiger mal neben die Ideallinie fahren, wenn die nicht mehr nass genug ist und die Reifen drohen, zu überhitzen. "Aber dann auf die nassen Marbles zu müssen, wird extrem schwierig. Ich wünsche mir daher hier ausnahmsweise keinen Regen."

7. - S wie Spannung

Sollten die nächtlichen Reparaturarbeiten an der Strecke fehlschlagen, erwartet Nico Rosberg schon jetzt ein Rennen ohne Überholmanöver - denn dann wäre es selbstmörderisch, neben die Ideallinie zu fahren. Heikki Kovalainen sieht hingegen einige Überholstellen. "Man kann sich im Windschatten heransaugen und vorbeigehen oder sie beim Bremsen packen", sagt er über die lange Gerade vor Start und Ziel. An anderen Orten sei es schwerer, aber man könne noch immer überholen.

Dennoch: unter normalen Umständen würde sich Felipe Massa von Platz 6 keine großen Hoffnungen auf eine Topplatzierung machen. Aber bei diesen Bedingungen könne alles passieren, "besonders, weil wir das gesamte Wochenende über stark waren." Deshalb sieht auch Räikkönen die Situation nicht als allzu schlimm an. "Wir sind schnell und starten auf der sauberen Seite, das ist definitiv eine gute Sache." Auch Domenicali beruft sich darauf, dass die Punkte erst im Rennen vergeben werden. "Wir glauben, dass unser Auto auf dem Niveau unserer Konkurrenten ist und wenn wir alles perfekt hinbekommen, können wir das auch beweisen."

Selbst Kovalainen glaubt von Startplatz 7 noch an eine Chance. "Auf dieser Strecke hat es schon viele Überraschungen gegeben und die Rennen hier waren oft recht turbulent - das könnte mir helfen." Für Mario Theissen steht vor allem eines fest: "Es ist sehr eng. Aber unsere Performance vom Freitag stimmt mich zuversichtlich. Wenn die Strecke zusammenhält und die Bedingungen stabil bleiben, sollte Robert auf Podestkurs sein."