Das Gute an einem Sprint-Wochenende in der Formel 1 ist, dass es bereits am Freitag Action gibt und es die ersten Punkte - inklusive einem echten Rennstart - schon am Samstag gibt. Die Kehrseite der Medaille ist und war (in einem viel höheren Maße) in der Vergangenheit immer, dass der Sprint die Pace-Verhältnisse im Feld schon etwas vorwegnimmt.

Für die F1-Saison 2024 hat sich das allerdings etwas geändert. Denn durch die Öffnung von Parc ferme zwischen dem Sprint am Samstag-Vormittag und dem Qualifying etwa dreieinhalb Stunden später bot sich den Teams beim China-GP erstmals die Gelegenheit, ihr Setup noch einmal umzustellen. McLaren-Teamchef Andrea Stella spielte die Bedeutung dieser Öffnung etwas herunter: "Wenn wir einige Wunderwaffen in der Hinterhand hätten, hätten wir sie schon eingesetzt. Wir reden also über nichts mehr als über etwas Feinabstimmung."

Max Verstappen warnt Gegner: Wenn das Auto im Rennen nur halb so gut ist…

Falls sich dieses Muster auch auf alle Teams ummünzen lässt, dann führt bei der Favoritenfrage - mal wieder - kein Weg an Red Bull und Max Verstappen vorbei. Der Weltmeister benötigte aufgrund eines Problems mit seiner Batterie zu Rennbeginn im Sprint etwas länger, um sich durch den Verkehr zu arbeiten.

In Runde 9 übernahm er die Führung von Lewis Hamilton und legte in der Folge eine Pace von einem anderen Stern hin. Durchschnittlich war der Niederländer pro Runde 1,25 Sekunden schneller als sein erster Verfolger. Am Ende des Sprint-Rennens hatte er 13 Sekunden Vorsprung zu Buche stehen. "Ich denke, wenn das Auto nur halb so gut ist, wie es im Sprint war, dann ist alles in Ordnung", gab sich der Polesetter am Samstag überzeugt.

Sergio Perez: Nur ein Red Bull litt im Sprint an Reifenverschleiß

Der Reifenverschleiß, der im Sprint höher ausfiel als im Vorfeld erwartet, spielte bei ihm keine bedeutende Rolle. Bei Sergio Perez, der im Kampf um die Podiumsplätze über die gesamte Rennlänge mehr von seinen Reifen abverlangen musste, knickten die Pneus deutlich stärker ein. Red Bull besserte an seinem Setup nochmal radikal nach. "Wir haben viele Änderungen vorgenommen, um uns an die neuen Bedingungen anzupassen", so Perez.

Der mangelnde Grip auf dem mit einer Bitumen-Schicht überzogenen alten Untergrund auf dem Shanghai International Circuit, macht seiner Ansicht nach einen Balance-Faktor umso bedeutender: "Die Windbedingungen haben hier einen viel größeren Einfluss als wahrscheinlich auf anderen Strecken."

Ob dieser Faktor ausreicht, um die scheinbar unschlagbare Red-Bull-Pace zu gefährden? Red-Bull-Motorsportberater Dr. Helmut Marko zeigte sich unbehelligt. Ihm bereitet nur der Rennbeginn Sorgen. "Ich hoffe der Start geht gut. Die rechte Seite ist etwas schlechter", überlegte er. Auf der rechten Fahrbahn-Seite geht Sergio Perez ins Rennen.

Fernando Alonso: Wir sind langsamer als Ferrari, McLaren und Mercedes

In der Startaufstellung direkt hinter den Bullen sieht sich keiner so richtig in der Verfolgerrolle. Fernando Alonsos Ausblick auf den Grand Prix fällt trotz Platz 3 im Qualifying ziemlich pessimistisch aus: "Ich erwarte ein schwieriges Rennen. Ich denke wir sind langsamer als die Ferraris, langsamer als die McLarens und wahrscheinlich auch als die Mercedes".

"Wir müssen einfach warten und schauen, wann und wie schnell sie kommen und wie lange wir unsere Position verteidigen können", so Alonso. Eine Verteidigungsschlacht erscheint ausweglos. "Das ist bislang in den ersten vier Rennen passiert, also schätze ich, dass es im fünften Rennen nicht anders sein wird", analysierte der Asturier.

McLaren schiebt den schwarzen Peter ebenfalls an Ferrari weiter. Lando Norris sieht klare Parallelen zum letzten Formel-1-Rennen vor zwei Wochen in Japan. "Verglichen mit Ferrari sind wir auf einer Startposition, auf die wir nicht hingehören", erklärte er. "Die frischen Reifen im Qualifying überdecken viele unserer Probleme. Aber so ist wie heute am Morgen [im Sprint], dann zeigen sie sich wieder, sobald die Reifen älter sind und wir mehr Benzin im Tank haben", führte er aus.

Japan-GP 2.0: McLaren fürchtet sich vor dem Ferrari-Longrun

McLaren versuchte zwar den Verschleiß durch Setup-Änderungen nach dem Sprint nochmal einzudämmen. Aber wie schon eingangs erwähnt: Teamchef Andrea Stella erwartet sich keine Wunder und man kann davon ausgehen, dass die direkte Konkurrenz es ähnlich handhaben wird.

Der Japan-Vergleich von Norris kommt jedenfalls nicht von ungefähr. Denn strategisch erwartet uns in Shanghai wohl ein ähnliches Formel-1-Rennen wie der GP in Suzuka. Pirelli rechnet mit einer 2-Stopp-Strategie. Es liegen viele verschiedene Varianten auf dem Tisch, wie diese genau aussehen wird. Die Soft-Reifen zeigten im Sprint am Wagen von George Russell (er war der einzige, der mit diesen Reifen ins Rennen ging) eine gute Performance, die sich im Vergleich zu den Medium-Startern sehen lassen konnte.

Die weichste Mischung ist also eine veritable Option für das Rennen, genauso wie der Medium. Der Hard-Reifen ist sowieso für einen Stint eingeplant, ansonsten erfordert eine 2-Stopp-Strategie aller Voraussicht nach unverhältnismäßig viel Reifen-Management. Das eröffnet viele Möglichkeiten, um strategisch Positionen gutzumachen. Also so, wie es Ferrari in Suzuka tat. Dazu kommt noch der Umstand, dass China eine der einfacheren Strecken für Überholmanöver ist - im Gegensatz zu Japan.

Charles Leclerc: Im Renntrimm auf Verstappen-Niveau?

Ferrari nimmt die kleine Favoritenrolle für die Position als erster Verfolger der Bullen, die ihnen die Konkurrenz in Grün und Papaya zuspielt, gerne an. Und das, obwohl Charles Leclerc und Carlos Sainz nur von den Positionen 6 und 7 ins Rennen gehen. Leclerc betonte: "Speziell auf meiner Seite der Garage sollte das Auto besser für das Rennen morgen abgestimmt sein und ich wusste, dass ich etwas im Qualifying liegen lassen würde."

Er wähnt sich sogar auf Verstappen-Niveau: "Wir sind auf einem ähnlichen Planeten. Ich weiß nicht, wie sehr er heute Vormittag gepusht hat, aber immer, wenn sie ein bisschen mehr mit der Vorderachse kämpfen, sind wir nicht allzu weit weg." Das Problem lautet allerdings Track Position.

Die Qualifying-Pace für das Rennen zu opfern, war also der Plan von Ferrari. Nicht Teil dieses Plans war, dass sich auch Fernando Alonso und die beiden McLarens auf eine Runde vor die Scuderia schieben konnten. So muss sich Ferrari erst mühsam durch den Verkehr arbeiten, während die Red Bulls freie Fahrt haben und das obwohl sich ohnehin die Frage stellt, ob der SF-24 die Pace des RB20 in Shanghai mitgehen kann.

Leclerc, der in Japan von Startplatz 8 aus noch bis auf den vierten Rang nach vorne kam, rechnet sich gute Chancen auf ein Podium aus. Sainz ist angesichts der schlechten Startpositionen nicht so guter Dinge wie der Monegasse: "Wenn man sich Suzuka anschaut: Ich musste zwei Stints verlängern, um Lando zu überholen. Um morgen drei Autos zu überholen, müssen wir eine beachtliche Rennpace zeigen. Allein um ein Auto zu überholen, muss man den Reifen stark beanspruchen."

Fazit: An der Favoritenrolle von Max Verstappen und Red Bull gibt es nichts zu rütteln. Mal wieder könnte der China-GP zu einem Rennen um Platz 3 verkommen. Allerdings zu einem äußerst spannenden. Die Ausgangslage in diesem Kampf hört sich nach einem der klassischsten Duell der Formel 1 an: Ferrari gegen McLaren. Oder in anderen Worten: Rennpace gegen Track Position.

Ferrari Ärger: Leclerc sauer auf Sainz! Protest abgelehnt! (16:26 Min.)