Alles, was Lawrence Stroll angreift, so heißt es aus seinem Umfeld, hat 5-Sterne-Standard. Darunter macht es der kanadische Milliardär nicht. Die Formel 1 bekommt seit einigen Jahren schon eine Kostprobe davon. 2019 übernahm Stroll gemeinsam mit einem Konsortium das Team Force India und benannte es in Racing Point um. Es war nur ein erster Schritt der Übernahme. 2021 wurde der Rennstall zu Aston Martin. Sebastian Vettel wurde angeheuert und als der keine Lust mehr auf Formel 1 hatte, angelte man sich binnen weniger Tage Fernando Alonso.

Alte Benetton-Fabrik wird ersetzt

Schon zuvor hatte das Team angefangen, aggressiv die besten Ingenieure der Szene abzuwerben. Stroll wilderte bei Red Bull und bekam seinen neuen Aerodynamik-Chef Dan Fallows. 2026 wird das Team, das einst chronisch pleite war, zum Honda-Werksteam. Das Tempo, das Stroll bei der Transformation vorlegt, ist gewaltig. Eine Sache hatte sich in Silverstone aber seit 1991 kaum verändert: Die Fabrik.

Der erste Spatenstich wurde 2021 gesetzt, Foto: Aston Martin Racing
Der erste Spatenstich wurde 2021 gesetzt, Foto: Aston Martin Racing

Sebastian Vettel betrat bei seinem Wechsel von Ferrari zu Aston Martin die gleichen Werkshallen, die Michael Schumacher 30 Jahre zuvor aufgesucht hatte, ehe er Jordan in Richtung Benetton verließ. Jordan, Midland, Spyker, Force India, Racing Point: Alle residierten sie in einer funktionalen, aber recht schmucklosen Fabrik, nur einen Steinwurf von der legendären Rennstrecke von Silverstone entfernt.

Als Eddie Jordan 1991 von der Formel 3000 in die Formel 1 aufstieg, funktionierte die Königsklasse noch etwas anders als heute. Mit weniger als 50 Mitarbeitern hatte Jordan seine Debütsaison gemeistert. Ende des Jahrzehnts, im Wettrüsten der Werke, stiegen die Mitarbeiterzahlen sprunghaft an. 1999 arbeiteten immerhin schon knapp 200 Mitarbeiter beim Team Silverstone. Die Fabrik wurde ständig angepasst und vergrößert - und 2023 abgerissen.

Als Stroll das Team gekauft hatte, erwarb er auch noch Felder rund um die bestehende Fabrik herum. Die Coronapandemie verzögerte das Vorhaben um fast zwei Jahre, aber im zweiten Halbjahr 2021 rollten die Bagger an. Eine komplett neue Fabrik für inzwischen über 700 Mitarbeiter sollte entstehen. "Die Vision ist es, den größten Formel-1-Campus zu bauen, der je existiert hat", sagte der Milliardär damals.

Keine Fabrik, ein Campus auf 37.000 Quadratmetern. Die Leute sollen dort nicht nur arbeiten, sondern sich auch wohl fühlen, leben. "Sie werden das beste, neueste und großartigste Arbeitsumfeld haben. Alles wird bedacht, auch wie wir heute leben. Wir bauen keine Formel-1-Fabrik wie vor 25 Jahren", so Stroll. 2004 eröffnete zuletzt eine komplett neue Formel-1-Fabrik.

McLarens Technology Center als Negativbeispiel

Wobei Fabrik auch damals schon die falsche Terminologie war: Das McLaren Technology Center wurde in einer Zeit gebaut, als das Geld in der Königsklasse auf Bäumen wuchs. Rund 350 Millionen Euro soll der Prunkbau von Star-Architekt Norman Foster damals gekostet haben. Fünf Jahre dauerte es, bis der Glas-Palast fertig war und von der Queen höchstpersönlich eröffnet wurde. Obwohl Stroll die großen Auftritte liebt, bei seiner Fabrik nahm er McLaren als Negativbeispiel.

Am McLaren Technology Center (MTC) will sich Lawrence Stroll nicht orientieren, Foto: McLaren
Am McLaren Technology Center (MTC) will sich Lawrence Stroll nicht orientieren, Foto: McLaren

Das McLaren Technology Center trieb den Rennstall an den Rande der Pleite. "Wir machen das Gegenteil", so Stroll. "Die neue Fabrik wird voll funktional." Für etwa 235 Millionen Euro kann man aber etwas mehr als 'nur' Funktionalität erwarten. Im Juli 2023, nur zwei Jahre nach Baubeginn, wurde bereits der erste von insgesamt drei Trakten fertiggestellt.

In den neuen heiligen Hallen von Aston Martin

Es ist das Herzstück des neuen Aston Martin Technology Campus: Im Erdgeschoss wird geschafft, im Obergeschoss gedacht. Hinter einer pompösen Empfangshalle mit Lounge, Formel-1-Bolide und einem Serien-PKW des britischen Traditionsherstellers kommt man in einen langen, lichtdurchfluteten Gang. Links und rechts des Ganges, hinter großen Glasfronten, befinden sich die unterschiedlichen Stationen der Produktion.

Hinter einer Glasfront verrichten riesige CNC-Fräsen ihren Dienst, hinter der nächsten stehen die großen Autoklaven, in denen die Karbonfasern gebacken werden. In Formel-1-Fabriken ist eine Abteilung mit Cleanroom üblich, dort werden unter Laborbedingungen die einzelnen Lagen Kohlefaser geschnitten, verlegt und vakuumiert.

Bei Aston Martin hat die gesamte Fabrik den Charakter eines Cleanrooms. Die wohnliche Wohlfühlatmosphäre kommt trotzdem nicht zu kurz: Über die gesamte Gebäudelänge liefert ein riesiges Fenster Tageslicht. Als Kontrast zum sterilen Epoxy-Boden, den weißen Wänden und den schwarzen Glasrahmen dienen unzählige Holzpaneele.

Aufgelockert wird die lange Glasfassade auf einer Seite durch die sogenannten Race Bays. Dort werden die Autos auseinander- und zusammengebaut, wenn sie in der Fabrik sind. Die Race Bays sind die permanenten Garagen der Teams.

Über mehrere Panoramatreppen gelangt man in den ersten Stock in einen ewig langen Gang, der gleichzeitig eine riesige Galerie mit gläsernem Geländer ist. Über kleine Brücken sind die zwei Seiten der Fabrik miteinander verbunden. Oben bei den Ingenieuren gibt es dunklen Teppich- statt hellem Epoxy-Boden. Zwischen den Großraumbüros mit CAD-Rechnern und Co. mischen sich Besprechungszimmer und sogenannte Breakout-Bereiche.

"Da kannst du dir etwas zu Essen oder einen Kaffee holen und triffst dabei Leute, die du zuvor noch nicht oft gesehen hast oder noch nicht einmal kennst. Jeden Tag siehst du neue Gesichter und hast neue Konversationen", erklärt Teamchef Mike Krack die Vorzüge der offenen Fabrik-Gestaltung. "Das ist wichtig für Aston Martin, um nach vorne zu kommen. Dort werden Ideen ausgetauscht, es wird gebrainstormt - das ist eine große Hilfe."

Aston-Martin-Campus wird weiter vergrößert

Das Herzstück ist dabei nur einer von drei Teilen des neuen Campus. Sobald das Team im Juli in das neue Gebäude umgezogen war, rollten die Abrissbirnen für die alte Jordan-Fabrik an. Dort entsteht der zweite Teil mit Fitnessstudio, großer Kantine und Event-Bereich. "Es wird ein großartiger Ort sein, um zu arbeiten", schwärmt Krack. "So sind wir attraktiv für die besten Leute aus dem ganzen Sport."

Denn die anderen Teams schlafen nicht. Zwar hat Aston Martin die modernste aller Fabriken - mit 5G soll sie auch zu einer Smart Factory werden -, die Konkurrenz rüstet aber auf. Mercedes investiert über 80 Millionen Euro in den Standort Brackley, um die Fabrik zu einem Silicon Valley inklusive Fußgängerzonen, Fitnessstudios und einer Prise Dorfleben zu machen. Aston Martin muss nicht nur auf der Strecke mit Mercedes und Co. konkurrieren.

Ein Konzept des fertigen Campus, Foto: Aston Martin Racing
Ein Konzept des fertigen Campus, Foto: Aston Martin Racing

"Das zeigt die ganze Entschlossenheit von Lawrence und wo er das Team in Zukunft hinbringen will", ist sich Teamchef Krack sicher. Stroll will Aston Martin aber nur aus einem bestimmen Grund zur Wohlfühloase machen: Um erfolgreich zu sein.

Parallel entsteht deshalb schon seit einiger Zeit Teil 3 am Campus: Ein eigener Windkanal. Derzeit entwickelt Aston Martin seine Formel-1-Boliden noch im Mercedes-Windkanal in Brackley, der rund 15 Autominuten entfernt ist. "Es ist unglaublich wichtig für uns, den Windkanal am Campus zu haben", meint Technik-Chef Dan Fallows, der das Setup aus Red-Bull-Zeiten bestens kennt.

Auch in Milton Keynes spricht man übrigens von einem Campus. "Das ist ein großes Statement von Aston Martin. Das zeigt, dass man mit dem Team in Zukunft rechnen muss", so Fallows. Zukunft, das heißt in diesem Fall 2025. Ende 2024 wird der Windkanal komplett fertig und am Netz sein.

Fabrik 2026 als Gamechanger

2026, im ersten Werks-Jahr der Teamgeschichte, will man die Früchte spätestens ernten, Fallows sogar schon früher: "Wir hoffen, dass er auf das 2025er Auto einen großen Einfluss haben wird." Mit dem eigenen Windkanal kann man die Zeiten selbst bestimmen, zu denen man entwickeln will, dazu entfällt die logistische Herausforderung, Teile hin- und herzufahren.

"Wir werden mit diesem neuen Campus die Performance des Autos verbessern", verspricht Krack. Fernando Alonso stimmt ihm zu: "Um in diesem Sport zu gewinnen, muss man in allem hervorragende Leistungen erbringen - und diese neue Anlage ist ein Gamechanger. Es zeigt klar die Absicht, uns in Stellung zu bringen, um die Weltmeisterschaf zu kämpfen."

Aber hat Aston Martin kurzfristig Performance eingebüßt? Schließlich musste das gesamte Team umziehen - just bevor die Form des Teams stark nach unten ging. "Nein, das ist keine Ausrede", beschwichtigt Krack. "Der Umzug ist nicht schuld daran." Ausreden gab es bei Lawrence Stroll nie - mit dem neuen Campus wird es noch eine weniger.

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