Zwischen dem Formel-1-Traum von Lawrence Stroll und dem Formel-1-Traum von Eddie Jordan liegen Welten. Sie eint nur eines: Das "Silverstone-Team". Jenes Team, welches einst von Jordan unter seinem eigenen Namen als kleines Privatteam gegründet wurde und zum Rock 'n' Roll-Team der 90er wurde. Jenes Team, welches sich gegen die mächtigen Hersteller nach über einem Jahrzehnt von Achtungserfolgen nicht mehr behaupten konnte, verkauft wurde, durch die Hände von Russo-Kanadiern, Niederländern und Indern ging, nur um in jenen des kanadischen Milliardärs Lawrence Stroll zu landen.

Der hat dem Silverstone-Team heute als Aston Martin F1 einen echten Corporate-Anstrich verpasst, doch ist der Charme des Originals verschwunden. Kein Rock 'n' Roll mehr, weder auf der Strecke noch abseits davon. Keine Siege, nur kopierte Autos der Konkurrenz. Wer auf die heute verfügbaren Mittel und zurück in die Geschichte schaut, der wird sich aber kaum vorstellen können, dass die Vorgängerteams Jordan und Force India mehr Erfolge feierten. Diese Geschichte ist es wert nachzuerzählen.

Das 1991 in Silverstone neu gegründete Formel-1-Team hatte als Wunschtraum des Iren Eddie Jordan begonnen. Der hatte früh die eigene Fahrerkarriere aufgegeben und in den 1980ern den Sprung ins Teammanagement gewagt. Als Teamchef baute Jordan höchst erfolgreiche Programme in Nachwuchsformeln auf. Formel 3, Formel 3000, vorne dabei war er immer. Das ließ den Schritt in die Königsklasse verlockend erscheinen. Damals war das für ein so kleines Unternehmen gerade noch machbar - nicht billig, aber machbar.

1991 stellte Jordan seinen ersten Formel-1-Boliden, auch Michael Schumacher hatte seinen ersten Auftritt in der Königsklasse in diesem Boliden, Foto: Sutton
1991 stellte Jordan seinen ersten Formel-1-Boliden, auch Michael Schumacher hatte seinen ersten Auftritt in der Königsklasse in diesem Boliden, Foto: Sutton

Und Jordan ist an dieser Stelle zugute zu halten: Er ging nie halbherzig an so ein Projekt heran. Die 90er sahen einige, die trotz größerer Namen und Ressourcen scheiterten. Jordan kratzte alles zusammen, was er finden konnte, und baute eine respektierliche Operation auf. Sponsoren, Motor-Deal mit Ford, und das kleine Team schaffte es tatsächlich ein Auto zu bauen, welches es nicht nur beim ersten Rennen schon durch die Qualifikation und in die Top-10 schaffte, sondern beim fünften Rennen in den Händen des F1-Veteranen Andrea de Cesaris und seines Teamkollegen Bertrand Gachot sogar schon die Plätze vier und fünf einfuhr.

Eddie Jordans wilder Ritt hatte begonnen, und manchmal schien es in seinen 14 Jahren als Teamchef, dass die ganze Formel 1 Passagier war. In den 1990ern waren er und sein Team bald das größte Spektakel im Paddock. Wer kein Werksteam ist, der mag vielleicht keine Unmengen an Geld haben, aber der kann sich auch etwas erlauben. Wenn er sich traut. Damit hatte Jordan nie ein Problem. Beginnend bei herausstechenden Autos - schon das erste, der Jordan 191, wurde mit seiner grün-blauen Lackierung legendär und wird von vielen als eines der schönsten Autos überhaupt gefeiert. Durch die Partnerschaft mit der Zigarettenmarke Benson & Hedges wurde ein paar Jahre später die Farbe Gelb zum Markenzeichen.

Leuchtendes Gelb war nicht genug, 1997 zierte die Nase des Jordan 197 erstmals eine Schlange, im darauffolgenden Jahr wurde der Jordan 198 zu einer Hornisse. Clever wurden die Designs mit dem Sponsor gepaart, und dessen Name für Rennen, bei denen Zigarettenwerbung verboten war, umgedichtet: "Buzzin' Hornets" oder "Bitten & Hisses". Neben den Autos fand Jordan bald eine weitere Methode des optischen Aufputzes, die Einführung der von der Presse treffend als "Boxenluder" terminisierten leicht bekleideten Frauen wird gerne ihm zugeschrieben.

Nicht zuletzt, weil er das britische Model Katie Price in den Paddock brachte, welches abseits der Formel 1 auch schon einmal ganz auf Kleidung verzichtet hatte. Außerdem beglückte Jordan die Formel 1 mit seinen Musikprojekten, spielte Schlagzeug und verpflichtete andere aus dem Fahrerlager für die Band, selbst solche wie den Weltmeister von 1996, Damon Hill.

Das soll nicht heißen, dass Jordan auf der Strecke lediglich ein Kuriosum am Ende des Feldes gewesen wäre. 1991 war das Auto vom Start weg schnell, und Jordan war jenes Team, welches Michael Schumacher den ersten offiziellen F1-Auftritt ermöglichte. Schumacher qualifizierte sich sensationell auf dem siebten Platz. Zwar konnte sich Jordan die Dienste des zukünftigen Rekordweltmeisters nicht sichern, doch die Erfolge ließen trotz beschränkter Ressourcen und fehlender Werksmotoren nicht lange auf sich warten. 1994 glänzte das Team schon mit einer Pole, einem Podium und einem fünften WM-Platz. 1998 staubte Damon Hill in einem verregneten Chaos-GP in Spa den ersten Sieg ab, Ralf Schumacher machte den zu einem Doppelsieg. Die Offiziellen hatten nicht einmal die irische Hymne parat. 1999 spielte Jordan sogar ganz vorne mit.

Der vom Top-Team Williams zu Jordan gewechselte und ohne den Druck völlig befreit fahrende Heinz-Harald Frentzen, der davor in fünf Jahren nur einen Sieg gefeiert hatte, fuhr die Saison seines Lebens, und Jordan stellte ihm mit dem 199 das beste Auto der Teamgeschichte hin. Nach zwei Siegen fand sich Frentzen in einem turbulenten WM-Kampf wieder. Ein bitterer Ausfall vor seinem Heimpublikum am Nürburgring, wo er nach einer Pole erneut um den Sieg gekämpft hatte, beendete die größte Außenseiterstory der modernen Formel 1 leider frühzeitig. Am Schluss holten Frentzen in der Fahrer-WM und Jordan in der Team-WM jeweils den dritten Platz.

1999 war Jordans Höhepunkt, und bis heute ist es der Höhepunkt von "Team Silverstone". Realistisch gesehen konnte es nur abwärts gehen, denn die Formel 1 erlebte gerade einen Hersteller-Boom. Jordan blieb übrig. Honda, seit 1998 Motorenpartner, wählte schließlich das Konkurrenzteam BAR als Werkspartner. Weiter gegen Ferrari, McLaren-Mercedes, BMW-Williams, Renault und BAR-Honda anzutreten wurde bei immer weiter steigenden Budgets aussichtslos. 2001 und 2002 gab es keine Podien und nur die WM-Ränge fünf und sechs. 2002 endete die Honda-Beziehung ganz, Jordan musste auf Ford umsatteln.

Giancarlo Fisichella bescherte den vierten Sieg in einem Chaos-GP mit einem Auto, das eigentlich unterlegen war und nur zwei weitere Punkteergebnisse einfahren konnte. Der Abschwung ging 2004 weiter, das Geld wurde knapp. 2005 war zu Jahresbeginn Schluss, Eddie Jordan zog den Stecker. Der russisch-kanadische Geschäftsmann Alexander Shnaider kaufte das Team mit seiner Midland-Gruppe, was keiner Rettung, sondern eher einem Totengesang glich. 2005 und 2006 verblasste Jordan, im zweiten Jahr nun schon in Midland umbenannt, am Ende des Feldes, wurde dann an die niederländische Automarke Spyker verkauft, was 2007 als Highlight eine Handvoll Führungsrunden durch den Deutschen Markus Winkelhock in einem Regenchaos auf dem Nürburgring einbrachte. In diesen drei Jahren holte das Team einen Punkt.

Perez und Force India, das war eine Traumpaarung, erst mit dem eintreffen von Lawrence Stroll sollte diese Ära beendet werden, Foto: Sutton
Perez und Force India, das war eine Traumpaarung, erst mit dem eintreffen von Lawrence Stroll sollte diese Ära beendet werden, Foto: Sutton

Dann kam die Erlösung: Ein dritter Eigentumswechsel. Der indische Geschäftsmann Vijay Mallya kaufte sich ein, als "Force India" ging es wieder aufwärts. Man war zwar nicht reich, aber immerhin nicht mehr bettelarm. Durch den Reglementwechsel von 2009 und durch Partnerschaften mit Mercedes und McLaren kam das Jahr einem Neustart gleich. Die wilden Jordan-Jahre waren vorbei, nun gab es Force India, die Effizienz-Weltmeister. Kein Team verstand es so gut, aus so wenig Ressourcen so viel zu machen wie jene Truppe, die bei Standort und Personal teils noch immer aus der Jordan-Vergangenheit zehrte und jetzt vom erfahrenen Motorsportmanager Otmar Szafnauer angeführt wurde. Lange war das Team regulärer Punktekandidat und fand 2014 mit dem Mexikaner Sergio Perez einen fahrerischen Traumpartner. Die Ehe Perez und Force India brachte fünf gemeinsame Podien ein, und bis 2018 hatte sich das Team an der Spitze des Mittelfeldes etabliert.

Nur ein Problem blieb, nämlich der Eigentümer. Bei Vijay Mallya ging es wirtschaftlich rapide bergab. Der für seinen extravaganten Stil bekannte Inder geriet in seiner Heimat ab 2012 ins Fadenkreuz der Finanzermittler. Mallya ging nach Großbritannien, die indischen Behörden strengten eine Auslieferung an. Inmitten dieses rechtlichen Chaos blieb wenig überraschend nicht viel Zeit und Geld für ein Formel-1-Team. Force India kam immer mehr unter Druck, und 2018 war nichts mehr übrig.

Im Sommer ging es in die Insolvenz, mit angestrengt damals sogar von Perez - mit dem Ziel, den Erhalt des Teams zu sichern und einen Übernahmeprozess anzustoßen. Der zog schnell Interessenten an: Lawrence Stroll, kanadischer Milliardär, trat mit Geschäftspartnern auf den Plan. Leider mündete der Übernahmeprozess aufgrund von rechtlichen Problemen in der Sommerpause in einer Neugründung, um sicherzustellen, dass das Team kein Rennen verpasste. Als Übergangslösung hieß es für die zweite Saisonhälfte "Racing Point Force India", und fuhr mit einer neuen Startlizenz. Die alte Jordan-Lizenz war Geschichte.

Aber "Team Silverstone" bestand weiter. 2019 wurde es offiziell zu Racing Point, behielt Sergio Perez und holte wenig überraschend Lance Stroll, den Sohn des neuen Eigners, an Bord. Stroll Senior hatte außerdem große Pläne - das Ende der Mittelfeld-Ära begann sich abzuzeichnen. Der in anderen Geschäftszweigen vom Erfolg verfolgte Stroll machte nie einen Hehl daraus, dass er hier war, um zu gewinnen, und er und das Team machten sich an die Arbeit, um den Forderungen nach Aufschwung gerecht zu werden.

2020 stand Racing Point plötzlich mit einem Auto am Start, welches genauso aussah wie der Weltmeister-Mercedes des Vorjahres. Die Reaktionen rangierten von Spott bis zu Protesten. WM-Platz vier wurde trotzdem zurückerobert. Einschließlich des ersten Siegs von "Team Silverstone" seit 2003. Durch Sergio Perez natürlich, im siebten gemeinsamen Jahr. Ein Durchbruch, der zugleich das Ende markierte. Perez war im Sommer das erste Opfer des neuen Managements geworden. Stroll hatte nämlich auch den Autohersteller Aston Martin erworben und plante nun "Team Silverstone" als Werksauftritt zu präsentieren. Dafür passend wurde der vierfache Weltmeister Sebastian Vettel als Fahrer verpflichtet. Lance Strolls Cockpit schien nie in Frage, also musste Perez seinen Platz räumen.

Mit Fernando Alonso will Aston Martin Weltmeisterschaften gewinnen, dafür braucht es viel harte Arbeit, Foto: LAT Images
Mit Fernando Alonso will Aston Martin Weltmeisterschaften gewinnen, dafür braucht es viel harte Arbeit, Foto: LAT Images

Vom Fortschritt ist bei Aston Martin F1 heute jedoch noch nichts zu spüren. Während sich das Team aus den alten Jordan-Gefilden in Silverstone verabschiedet und dort eine State-of-the-Art-Fabrik baut, wandert das Personal. Massen werden neu angeheuert. Der langjährige Teamchef Otmar Szafnauer war in der neuen Umgebung nicht mehr glücklich, er ging zur Konkurrenz von Alpine und wurde durch Mike Krack ersetzt. Im Wandel der Zeiten sucht "Team Silverstone" sich nun selbst - als Nachfolger von Teams, deren ganze Historie darauf abzielte, der Underdog zu sein. Genau das will Aston Martin F1 nicht mehr sein, jedoch sind die Leistungen die schlechtesten seit Jahren. 2021 holte das Team nur ein Podium, und 2022 fiel es zum zweiten Mal in drei Jahren mit der Kopie eines Siegerautos auf. Diesmal wurde ein dem in der WM führenden Red Bull RB18 verdächtig ähnlich sehendes Upgrade präsentiert, von dem das Team schwört, es schon seit Monaten im Windkanal gehabt zu haben.

Die Zukunft hängt heute in der Schwebe. Gelingt die Transformation vom kleinen Privatteam zur großen F1-Macht? Wenn die Fabrik fertig, die Fahrersituation klar, das neue Management eingearbeitet ist - dann, vielleicht. Heißt also dann, wenn die letzten Spuren von Jordan ausgemerzt sind, und nur noch der Standort Silverstone an den Ursprung erinnert. Dieser Ursprung hat aber den Charakter und die Erfolge für sich allein. Der Weg an die Spitze mag schwierig sein, der Weg zum Legendenstatus der Vorgänger noch schwieriger.

Die Entwicklung von Aston Martin stagnierte in den letzten Jahren. Auch 2022 brachte da wenig Änderung. Rekordweltmeister Sebastian Vettel beendete seine Formel-1-Karriere und verließ das Team. Wir hatten die Gelegenheit mit Mike Krack, Aston Martin Teamchef zu sprechen. In unserer neuesten Print-Ausgabe steht er uns Rede und Antwort bezüglich der Entwicklung des Teams, als auch dem Vettel-Abschied.