Sebastian Vettel beendet seine Formel-1-Karriere zum Saisonende 2022 nach 17 Jahren, um sich laut eigener Aussage verstärkt um die Familie kümmern zu wollen. Nick Heidfeld, einst Vettels Teamkollege und selbst Vater von drei Kindern, kann das sehr gut nachvollziehen. "Für mich ist das absolut der richtige Grund und zu 100 Prozent nachvollziehbar", sagte der 45-Jährige zu Motorsport-Magazin.com.

Wir trafen Heidfeld am vergangenen Wochenende in London bei der Formel E, wo der gebürtige Mönchengladbacher das indische Team Mahindra seit 2019 als Berater unterstützt. Die Causa Vettel war natürlich auch ein großes Thema im Fahrerlager der Elektro-Rennserie. Heidfeld bestätigt: "Das Ausmaß seiner Bekanntheit, Sympathie und Erfolg war, dass auch mich sofort sehr viele Leute darauf angesprochen haben. Das ist schon ein Ereignis in der Formel 1."

Heidfeld: "Bei mir war es nicht meine Entscheidung"

Als Vettel 2007 beim USA Grand Prix als Ersatzmann für den verletzten BMW-Piloten Robert Kubica sein Renndebüt in der Formel 1 feierte und auf Anhieb punktete, war tatsächlich Heidfeld sein Teamkollege. Der gebürtige Mönchengladbacher brachte es auf 183 GP-Starts mit Prost, Sauber (3x), Jordan, Williams-BMW und Renault, für Vettel wird am Saisonende nach 299 F1-Rennen Feierabend sein.

"Es gibt einen großen Unterschied", blickte Heidfeld auf seine langjährige Karriere in der Formel 1 zurück. "Ich habe nicht wirklich selbst entschieden und hätte gerne noch weitergemacht. Nicht bei irgendeinem Hinterbänkler-Team, ehrlich gesagt, dafür war ich zu lange dabei. Bei mir war es nicht meine Entscheidung, während es bei Sebastian seine eigene Wahl war. Das ist schon ein großer Unterschied."

Kennen sich seit BMW-Zeiten: Vettel und Heidfeld, Foto: Sutton
Kennen sich seit BMW-Zeiten: Vettel und Heidfeld, Foto: Sutton

"Für mich nie das Ziel, auf dem Höhepunkt auszusteigen"

Wie Vettels aktuelles Team Aston Martin um den früheren BMW-Motorsportchef Mike Krack bekanntgab, hätte Vettel auch in der kommenden Saison fahren können. Als Ersatz für den vierfachen Weltmeister haben die Briten überraschend Noch-Alpine-Fahrer Fernando Alonso präsentiert und damit den nächsten Weltmeister an Bord geholt.

Heidfeld: "Es gibt Leute, die sagen, Sebastian habe es genau richtig gemacht, weil er auf dem Höhepunkt ausgestiegen ist. Für mich selbst war das nie ein Antrieb. Wie es bei Seb ist, weiß ich nicht, er war ja vor einigen Jahren viel erfolgreicher als zuletzt. Für mich stand immer im Vordergrund, ob ich noch Spaß habe. Solange das der Fall ist und ich mithalten kann, fahre ich gerne noch. Für mich war es nie das Ziel, auf dem Höhepunkt auszusteigen. Ich finde es immer interessant, dass viele Leute das als einen Maßstab sehen, dass man das so machen sollte. Für mich war das nie der Maßstab."

Heidfeld kehrte nach einem Umweg als Mercedes-Testfahrer noch einmal in die Formel 1 zurück und bestritt Rennen für Sauber (2010) und Renault (2011) als Ersatzmann für seinen früheren Teamkollegen Robert Kubica, der sich bei einem Rallye-Unfall vor dem Saisonbeginn schwer verletzt hatte. Sein letztes Rennen im schwarz-goldenen Boliden des französischen Autobauers bestritt er am 31. Juli 2011 in Ungarn, bevor Bruno Senna - sein späterer Formel-E-Teamkollege bei Mahindra - das Steuer übernahm.

Heidfeld: Forme-1-Standard zu finden, ist extrem schwierig

Heidfeld probierte sich im Anschluss an seine lange F1-Karriere in unterschiedlichen Kategorien aus, startete 2012 bei den 24 Stunden von Le Mans, beim 24h-Rennen Nürburgring, in Sebring, bei einem Rennen im Porsche Supercup und sogar in der Australischen V8 Supercars-Serie. Ob Landsmann Vettel nach seiner Formel-1-Zeit noch einmal in das Cockpit eines anderen Rennwagens steigt, wollte Heidfeld nicht kommentieren: "Das wäre Spekulation."

Über seine eigene Zeit nach der Formel 1 sagte er: "Ich bin danach in alle Rennserien und Teams gegangen mit mehr oder weniger keiner Erwartungshaltung. Wenn du auf dem Level der F1 bist und dann noch mit Top-Teams fährst, ist es extrem schwierig, etwas zu finden, wo du sagst: 'Hier ist alle gleich'. Da ist die Formel 1 einfach die Spitze des Motorsports. Diesen Standard zu finden, ist schwierig. Wenn du etwas anderes machst im Motorsport, solltest du also nicht mit dieser Einstellung herangehen."

Was für Vettel nach der Formel 1 kommen könnte, ist aktuell offen. Ein völliges Ende seiner Rennfahrer-Karriere wollte der Heppenheimer im ersten Moment zumindest nicht völlig ausschließen. Sicher ist aber, dass er 2023 nicht in der Startaufstellung stehen wird, wenn die Formel 1 in ihre neue Saison startet.

2011 noch gemeinsam auf dem Podium: Heidfeld, Vettel und Button, Foto: Sutton
2011 noch gemeinsam auf dem Podium: Heidfeld, Vettel und Button, Foto: Sutton

Heidfeld über Renn-Rückkehr: "Juckt mich immer mehr"

Dieses Gefühl, nicht mehr selbst im Cockpit sitzen, beschrieb Heidfeld heute so: "Das war emotional sehr eindrücklich. Ich war bei meinem ersten Formel-E-Rennen für Mahindra in beratender Funktion und ging in die Startaufstellung. Ich wusste, gleich geht die Ampel aus, und meine Emotionen, das Adrenalin und der Puls waren genauso als würde ich im Auto sitzen! Danach war das Gefühl anders, aber in dem Moment habe ich es noch genauso gespürt, als ob ich dabei wäre."

Heidfeld bestritt sein letztes Rennen am 15. Juli 2018 beim Formel-E-Saisonfinale in New York, hat bis heute aber nie das Ende seiner Rennfahrer-Karriere bekanntgegeben. In London ließ er durchblicken: "Aktiv schaue ich nicht. Es juckt mich aber immer mehr und immer mal wieder, Rennen zu fahren. Auf eine Rennserie mit zehn oder mehr Rennen habe ich allerdings keine Lust. Früher hätte ich mir nie vorstellen können, dass ich so etwas mal sagen würde! Aber vielleicht mal wieder hier und da ein Rennen, wenn sich etwas ergibt."

Eine immer wieder spekulierte Rückkehr zu den 24 Stunden von Le Mans wollte Heidfeld nicht grundsätzlich ausschließen und fügte an: "Ich könnte mir vorstellen, mal Rallycross zu probieren. Als Rennfahrer macht es mir Spaß, in verschiedene Dinge reinzuschnuppern. Weil ich Rallye fahren zu gefährlich finde, wäre Rallycross etwas, was dem halbwegs nahekommt. Zweikämpfe und das Gefühl von Rallye - das könnte ich mir vorstellen."