Der Artikel wurde in der 81. Ausgabe des Printmagazins von Motorsport-Magazin.com am 28. Oktober 2021 veröffentlicht.

Als Meister der Formel 2 kam Mick Schumacher in die Formel 1 - und kann mit Haas in der Königsklasse nur hinterherfahren. Motorsport-Magazin.com verrät er, warum er trotzdem seinen Traum lebt.

MSM: Als die Vertragsverlängerung zwischen Haas und dir bekanntgegeben wurde, meintest du, du würdest deinen Traum leben. In dieser Saison fährst du aber nur gegen den Teamkollegen um Platz 19. Wieso also lebst du deinen Traum?

MICK SCHUMACHER: Weil ich in der Formel 1 bin! Und weil ich die Chance habe, mich hochzuarbeiten, um dann letztendlich in einer Position zu sein, dass ich hoffentlich im schnellsten Auto sitze und um die Weltmeisterschaft fahre.

Das klingt nach harter Arbeit für eine bessere Zukunft. Was macht den Traum in der Gegenwart aus?

Es war immer ein Traum, in die Formel 1 zu kommen. Dementsprechend ja, ich lebe meinen Traum. Ich habe die Möglichkeit, mich hier zu beweisen, um dann irgendwann mal hoffentlich – vielleicht dann in dem schnellsten Auto - um die Meisterschaft zu kämpfen. Auch wenn es momentan nicht so aussieht, aber es ist immer Teil der Entwicklung. Ein paar Fahrer sind vielleicht gleich in ein Top-Team gekommen und hatten die Möglichkeit, vorne mitzufahren. Lewis [Hamilton] zum Beispiel. Aber in dieser Zeit, in der wir uns befinden, fängt fast niemand in einem Top-Team an.

Unsere Leser wissen, dass der Haas unterlegen ist und du chancenlos bist. Der Name Schumacher zieht aber eine breitere Öffentlichkeit an. Meiner Oma muss ich regelmäßig erklären, warum du nicht weiter vorne bist. Nervt dich so etwas?

Das Wichtigste ist, dass ich es verstehe. Dass ich weiß, warum ich da bin, wo ich gerade bin. Und dass wir es als Team schaffen, in der Zukunft weiter vorne zu sein. Und dann hoffentlich - in nicht allzu ferner Zukunft - auch um Meisterschaften kämpfen können. Inwiefern man in diesem einen Jahr etwas verändern kann, um dann weiter vorne zu sein, das ist immer die Frage. In der Formel 1 ist es immer eine Entwicklung. Wenn man in ein Team reinkommen und das Team vielleicht nicht stark oder gut aussieht, ist es der Traum aller Fahrer, mit der Arbeit, die man als Fahrer reinsteckt, das Team nach oben zu bringen. Wer möchte Teil eines Teams sein, das gut anfängt und schlecht endet? Dann ist man Teil des Problems. Man möchte viel lieber ein Team mit nach oben bringen und besser verlassen, als man es vorgefunden hat. Ich glaube, dass keiner wirklich reinkommt und gleich im ersten Jahr die Meisterschaft gewinnen kann. Das ist ein Prozess: Man muss sich mit den Ingenieuren, mit dem ganzen Team einleben, um dann das Beste aus jeder Person herausholen zu können.

Die erste Saison war für Mick sehr lehrreich, Foto: LAT Images
Die erste Saison war für Mick sehr lehrreich, Foto: LAT Images

Dein Vater ist bekannt dafür, Ferrari zu dem Team geformt zu haben, das schließlich Titel am Fließband gewann. Als er 1996 kam, war das Team eher eine Chaos-Truppe. Ist es heutzutage überhaupt noch möglich, dass ein Fahrer ein Team so aufbaut?

Ich hoffe, dass es in Zukunft wieder einfacher wird. Der Cost Cap wird die Teams hoffentlich näher zusammenbringen. Ich glaube zwar, dass im Endeffekt ein Topteam noch immer die Oberhand haben wird. Inwiefern der Fahrer es dann aber in eine Meisterschaft umsetzen kann, das ist immer die Frage. Es muss alles stimmen und zusammenpassen. Und ja, dann kann man bestimmt auch etwas daraus machen. Was früher passiert ist und was heute passiert, das sind natürlich zwei Paar Schuhe. Das kann man nicht mehr ganz vergleichen. Die Zuverlässigkeit war früher ganz anders. Heutzutage ist das ganze Feld sehr komprimiert. Selbst wir am Ende des Feldes sind nur zwischen zwei und drei Sekunden von einem Top-Auto weg. In der Vergangenheit war das ganz anders. Nur ein Beispiel: 1997 war Jacques Villeneuve in Melbourne im Qualifying mehr als 1,5 Sekunden schneller als sein Teamkollege, der noch immer auf Platz zwei war. Die Unterschiede sind mittlerweile kleiner, alles wurde viel mehr perfektioniert. Da kann dann der Fahrer oder das Team nicht mehr die großen Unterschiede ausmachen.

In den Nachwuchsserien hat es bei dir im zweiten Jahr Klick gemacht. Hilft dir das nun ein wenig, dass du es in gewisser Weise schon gewohnt bist, nicht gleich senkrecht zu starten?

Mein Jahr ist recht positiv. Ich habe bis jetzt noch nicht das Gefühl, dass mir etwas fehlt. Ich fühle mich sehr wohl. Ich denke, dass ich die richtigen Punkte abarbeite, die ich bearbeiten muss, um dann nächstes Jahr stark dabei zu sein. Diese ganze Evolution, die ich gerade mitmache, macht mich hoffentlich zu dem Fahrer, der dann in Zukunft um Meisterschaften fahren kann. Dass ich um Meisterschaften fahren kann, das weiß ich. Das habe ich schon in der Formel 3 und in der Formel 2 unter Beweis gestellt.

In den Nachwuchsserien - die Formel 3 Euroserie etwas ausgenommen - hatten alle mehr oder weniger das gleiche Auto. Du hattest eine klare Referenz, wusstest, wo du stehst. Diese Referenz fehlt jetzt. Weißt du, wie gut du bist?

Es ist natürlich anders. Man muss sich anders vergleichen. Man muss sich andere Punkte und Referenzen raussuchen. Ich glaube, dass im Großen und Ganzen der Fahrer, der den besten Job macht, immerhin teamintern das Battle gewinnen kann.

Das teaminterne Duell zwischen dir und Nikita Mazepin hat in dieser Saison für viele Schlagzeilen gesorgt. Wie würdest du eure Beziehung heute beschreiben?

Wir müssen natürlich zusammenarbeiten, um das Auto nach vorne zu bringen und das Beste rauszuholen aus dem, was wir haben. Das wird im nächsten Jahr noch viel wichtiger sein, wenn wir dann hoffentlich um Punkte kämpfen können. Hoffentlich gibt es dann auch ein paar mehr Leute, mit denen wir kämpfen und uns vergleichen können.

Schumacher zahlte 2021 auch ein bisschen Lehrgeld, Foto: LAT Images
Schumacher zahlte 2021 auch ein bisschen Lehrgeld, Foto: LAT Images

Ist die Beziehung zu Nikita anders als noch zu Beginn der Saison?

Wir sind beide Menschen. Wir entwickeln uns, wir verändern uns. Ich könnte jetzt nicht sagen, dass die Beziehung gleich ist wie zu Beginn des Jahres, nein.

Aber die beiden Garagenseiten arbeiten weiterhin zusammen, die Setup-Sheets sind offen?

Es ist alles offen, es wird auch alles geteilt. ja.

Unterscheiden sich eure Fahrstile stark voneinander?

Die sind schon unterschiedlich. Dementsprechend brauchen wir auch verschiedene Sachen von den Autos. Ich brauche bei unserem diesjährigen Auto eine etwas stärkere Vorderachse als er. Er kommt zum Beispiel mit einem sehr stabilen Auto sehr gut zurecht. Deshalb ja. Es ist natürlich immer ein bisschen anders, aber als Fahrer muss man sich neu anpassen und entwickeln.

Ganz unabhängig von eurer Beziehung: Fehlt dir ein erfahrener Pilot als Maßstab?

Das Team hat diesen Weg mit zwei Rookies eingeschlagen und wusste natürlich, dass es schwierig sein wird. Im Endeffekt: Hätte, hätte, Fahrradkette. Wir wissen es nicht. Ich glaube, dass wir nun auch erfahren genug sind, um uns weiterzuentwickeln und zu wissen, wo wir uns verbessern können und auch verbessern müssen.

Ich weiß, du meidest es, über eigene Stärken und Schwächen zu sprechen, weil du an allem arbeiten willst. Aber gibt es irgendetwas, mit dem du schon zufrieden bist?

Ich glaube das gilt generell: Zufrieden sein kann man nie. Und es ist nie genug. Das ist auch meine Einstellung. Ich kann mich in allem verbessern und selbst wenn ich 300 Grands Prix gefahren bin, wird es noch genauso sein. Wir entwickeln uns alle. Wir haben gute und schlechte Tage. Dementsprechend müssen wir uns immer neu anpassen und neue Wege suchen, wie wir manche Sachen besser machen können.

Die Fans freuen sich über einen weiteren Schumacher in der Formel 1, Foto: LAT Images
Die Fans freuen sich über einen weiteren Schumacher in der Formel 1, Foto: LAT Images

Im Qualifying läuft es auf jeden Fall schon sehr gut. In den Nachwuchsserien warst du nicht unbedingt für diese eine Runde bekannt, auch wenn das Setup teilweise dafür verantwortlich war. Ist das Qualifying trotzdem etwas, das überraschend gut läuft?

Ich weiß nicht, ob ich es so erwartet habe. Es ist immer ein Punkt gewesen, der große Kritik eingebracht hat. Aber es hat mir doch gereicht, um die Meisterschaften zu gewinnen. Deshalb war mir das eigentlich egal. Was für mich wichtig ist: Dass ich weiß, was das Auto kann und ich das Auto dann auch dementsprechend fahre. Am Limit. Ich finde, dass wir das als Team sehr gut gemanagt haben. Es ist aber auch so, dass uns die Qualifying-Performance bei den Statistiken näher an die anderen Teams heranbringt als das Rennen. Im Rennen sind wir alle weiter auseinander. Wenn wir im Qualifying eine oder eineinhalb Sekunden vom Mittelfeld weg sind, dann ist das im Qualifying nicht so schlecht. Dann sind wir ganz gut dabei. Aber im Rennen, nach 50 Runden, baut sich das aus. Da merkt man den Unterschied mehr.

Nimmst du diese Saison etwas gelassener hin, weil es in den Nachwuchsserien auch nicht immer auf Anhieb geklappt hat?

Ich glaube, dass das mit der ersten schlechteren Saison vor allem so ein Trend in den Medien war. Ich sehe natürlich, dass es so wirkt, wenn man nur auf die Ergebnisse achtet, aber ich denke zum Beispiel nicht, dass ich mich im ersten Jahr der Formel 2 sehr schlecht geschlagen habe. Wir hatten leider recht viele Probleme mit der Zuverlässigkeit und das Auto ist öfter kaputtgegangen. Wir hatten leider auch einen Unfall mit dem Teamkollegen. All das sagt auf dem Papier, dass wir ein schwieriges Jahr hatten. Aber insgesamt war ich recht happy damit. Dementsprechend bin ich auch mit einer sehr offenen Einstellung in die Formel 1 reingegangen und habe einfach mein Bestes gegeben. Ich wusste, dass das normalerweise ausreicht und so ist es auch dieses Jahr gewesen: Wir sind gut dabei und ich fühle mich im Auto wohl.

Team Schumacher

Kai Schnapka

Der Physiotherapeut arbeitete schon bei Michael Schumachers Formel-1-Comeback mit dem Rekordweltmeister zusammen. Mick Schumacher vertraut ebenfalls auf die Expertise des Leipzigers von der Sportklinik Bad Nauheim. Schnapka betreute Mick Schumacher schon in den Nachwuchsserien und weicht ihm auch an langen Testtagen nicht von der Seite.

Sabine Kehm

Die ehemalige Journalistin kümmerte sich rund zehn Jahre lang um alle medialen Angelegenheiten von Michael Schumacher, ehe sie 2010 auch die Aufgaben von Willi Weber als Managerin übernahm. Sie ist in der Formel-1-Welt bestens vernetzt und kümmert sich allumfänglich um die Karriere von Mick Schumacher.

Gary Gannon

Als Renningenieur ist er die wichtigste Person für Schumacher im Haas-Team. Seit 2011 arbeitet der Maschinenbau-Ingenieur in der Formel 1: Zunächst bei Marussia, seit 2015 bei Haas. Als Renningenieur betreute er zuvor Romain Grosjean und Kevin Magnussen. Gannon ist für seine besonders ruhige Art am Funk bekannt - und harmoniert deshalb perfekt mit Schumacher, der sich im Funk teilweise selbst zensiert.

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