"Let Michael pass for the championship" (Lass' Michael für die WM vorbei) und "Fernando is faster than you. Can you confirm you understood that message?" (Fernando ist schneller als du. Kannst du bestätigen, dass du diese Nachricht verstanden hast?). Zwei der legendärsten Funksprüche der Formel-1-Geschichte. Zwei Aufforderungen, die jeweils zum Skandal führen sollten.

So pfiffen die Fans Ferrari völlig zurecht gewaltig aus, kurz nachdem Rubens Barrichello beim Österreich GP 2002 in Spielberg, dem erst sechsten Saisonlauf, Michael Schumacher nach Funkorder von Teamchef Jean Todt für alle maximal sichtbar kurz vor dem Zielstrich passieren lassen und ihm den Sieg geschenkt hatte. Schlechter, weil offensichtlicher konnte man eine Stallregie nicht darbieten. Um künftig ähnliche Possen zu vermeiden, wurde die Teamorder zur folgenden Saison qua Reglement offiziell verboten.

Felipe Massa wurde 2010 in Hockenheim Opfer einer Ferrari-Stallregie wie sie niemand gerne sieht, Foto: Motorsport-Magazin.com
Felipe Massa wurde 2010 in Hockenheim Opfer einer Ferrari-Stallregie wie sie niemand gerne sieht, Foto: Motorsport-Magazin.com

Stallregie in der Formel 1: Verpönt, verteufelt, verhasst - und verboten?

Was nicht heißt, dass die Teams es nicht weiter versuchten. Nur galt es von nun an, sich dem heiklen Thema mit Samthandschuhen zu nähern. So erklärt sich, warum der zweite oben angeführte Funkspruch - gerichtet von Ferrari Renningenieur Rob Smedley an Felipe Massa beim Deutschland GP 2010, dem elften WM-Lauf - derart verklausuliert ausgefallen ist. Jedoch nicht genug: Nachdem Massa vom Gas gegangen und WM-Anwärter Alonso vorbeigelassen, Smedley ein "Entschuldige" hinterher gefunkt hatte, stufte die FIA den Fall als Stallregie ab, Ferrari kassiert eine saftige Geldbuße.

Doch entbrannte nun eine lebhafte Diskussion über die Beweisbarkeit indirekter Stallorder. Die Folge: Seit 2011 ist das offizielle Verbot wieder passé, die Teams können schalten, walten und funken wie es ihnen recht und billig ist. Tatsächlich Gebrauch macht ein F1-Rennstall von der Stallregie jedoch weiter äußerst ungern. Die Lehre aus Spielberg 2001 ist deutlich angekommen. Derartig krasse Eingriffe in einen sportlichen Wettkampf kommen beim Fan unterirdisch schlecht an.

Mercedes-Stallregie: Darum ist Valtteri Bottas (noch) kein neuer Nico Rosberg: (03:38 Min.)

Kritik an Mercedes & Ferrari: Zögerliche Teamorder kostet Siege

Umso erstaunlicher eine ganze Menge kritischer Reaktionen nach den WM-Läufen zwei und drei der aktuellen Formel-1-Saison 2017. Was vorgefallen war: In China verlor Sebastian Vettel zu Rennbeginn viel Zeit auf den Führenden Lewis Hamilton, weil er hinter seinem Teamkollegen Kimi Räikkönen festhing, der wegen eines Motorenproblems den vor ihm fahrenden Daniel Ricciardo nicht attackieren konnte. In Bahrain dasselbe Bild auf Mercedes-Seite. Hamilton hing Runden lang hinter Valtteri Bottas fest, Vettel fuhr vorne auf und davon.

Die Konstante in beiden Fällen: Mercedes und Ferrari brauchten ewig, um zu bemerken, gerade den Rennsieg zu verlieren wenn sie keinen teaminternen Positionstausch veranlassen und gerieten für genau dieses Zögern in die Kritik der Strategie-Experten. Ferrari zog letztlich nicht einmal diese Karte - Vettel überholte völlig regulär -, Mercedes hingegen machte den ungeliebten Call - entgegen der eigenen Racer-Mentalität. Tatsächlich legen Analysen nahe, dass Vettel in China mit schneller Teamorder hätte gewinnen können, Hamilton in Bahrain neben einiger anderer Baustellen ebenfalls eine weitaus bessere Chance gehabt hätte - nahrhaftes Futter für die Kritiker.

Auf der Zielgeraden ließ Barrichello Schumacher medienwirksam passieren - die Mutter jeder Stallregie, Foto: Sutton
Auf der Zielgeraden ließ Barrichello Schumacher medienwirksam passieren - die Mutter jeder Stallregie, Foto: Sutton

Stallregie ja ... Stallregie nein? Entscheidet Euch mal!

Schon in den vergangenen Jahren hätte das Thema Stallregie aus der Versenkung auftauchen können, gilt bei Mercedes doch stets als oberstes Gebot der Rennsieg. Mangels ernsthafter Konkurrenz durch einen anderen Rennstall jedoch kam es nie zu einer Teamorder, um den Sieg abzusichern. Mit Ferrari gibt es diesen Gegner jetzt aber. Siege sind nicht mehr sicher. Mercedes muss sich anpassen. Toto Wolff jedenfalls schließt die so verpönte Stallorder auch für die Zukunft zumindest nicht aus, Mercedes werde detaillierte Analysen starten.

Doch auch darauf reagierte nun eine ganze Menge unter den F1-Beobachtern allergisch. Stallregie wie damals bei Schumi/Rubens und Massa/Alonso? "Bitte, bitte nicht", heißt es da. Ja was denn nun? Stallorder ja oder nein? "Entscheidet euch mal!", möchte man schreien. Aber langsam. Großartig entscheiden braucht man sich überhaupt nicht. Immerhin gibt es Teamorder und Teamorder. Nicht jeder Stallregie ist per se komplett zu verteufeln.

Im Mittelfeld funktionieren Positionswechsel seit Jahren, Foto: Sutton
Im Mittelfeld funktionieren Positionswechsel seit Jahren, Foto: Sutton

Balance-Akt Stallregie: So kann es funktionieren

Klar, da gibt es die eine, offensichtliche Variante, die keiner sehen will - schon gar nicht im erst sechsten Saisonlauf wie damals in Spielberg: Team tauscht P1 und P2 zugunsten des in der WM-Wertung besser platzierten Piloten - Marke Ferrari 2002 und 2010. Aber dann gibt es eben noch die andere Version, siehe China und Bahrain 2017. Gibt es teamintern einen eklatanten Pace-Unterschied, gerade so groß, dass er den schnelleren Fahrer die Aussicht auf Sieg oder Podium kostet, aber zu klein, als dass er sowieso aus eigener Kraft den Teamkollegen überholen kann - sehr gut vorstellbar etwa in Monaco - so wäre alles andere als eine Teamorder genauso wider den sportlichen Wettkampf wie Variante eins.

Denn ein Ausbleiben verhindert das direkte Duell mit dem sportlichen Rivalen. Wer hätte nicht gerne das direkte Streckenduell zwischen Hamilton und Vettel in Sakhir und Shanghai gesehen? Eine schnelle Teamorder hätte es ermöglicht. Damit nicht genug. Noch dazu gibt es auch noch eine Konstrukteursweltmeisterschaft zu gewinnen, es kommt also auch auf das beste Ergebnis für das Team insgesamt an. Und hier bringt ein kurzer Positionstausch dem schnelleren Auto eben weitaus mehr als er das langsamere an Zeit (und Punkten) kostet.

Scheitert der Teamorder-Profiteur dann allerdings mit seinem eigenen Angriff, so braucht er gegen Rennende die Position nur wieder an seinen Teamkollegen abtreten. Im Mittelfeld ist das bereits seit Jahren gängige Praxis. Gegen einen solchen freiwilligen Zurück-Wechsel dürfte dann auch nur noch der radikalste Purist etwas einzuwenden haben. Fraglich bleibt nur, ob ein solcher Rücktausch im Egoisten-Zirkus Formel 1 dann auch im Bereich des Podiums genauso funktionieren würde wie im Nirvana um P12 und P13.