Mercedes-Stallregie: Darum ist Valtteri Bottas (noch) kein neuer Nico Rosberg (03:38 Min.)

Drei Jahre lang war es das große Tabu-Thema bei Mercedes: Teamorder. Lewis Hamilton und Nico Rosberg durften stets frei gegeneinander fahren, das Team erhielt Applaus für die faire Umgangsweise. Und genau hier lag die Crux: Den Silberpfeilen konnte es ziemlich egal sein, wer ein Rennen gewann. Hamilton und Rosberg hatten nie einen ernstzunehmenden Gegner.

2017 sieht die Sache etwas anders aus in der Formel 1. Der große Konkurrent ist nicht mehr der eigene Teamkollege, sondern Sebastian Vettel aus dem Ferrari-Lager. Spätestens nach seinem zweiten Saisonsieg in Bahrain ist klar, dass Mercedes endlich echte Konkurrenz im Kampf um die Weltmeisterschaft hat.

Mercedes muss umdenken

Zeit für Silberpfeile, ihre Strategie des freien Fahrens zu überdenken - vor allem, weil alles auf einen Showdown zwischen Hamilton und Vettel hinausläuft. Neuzugang Valtteri Bottas bekam die neue Spannung am Sonntag zu spüren. In Runde 27 musste er Hamilton vorbeilassen, damit dieser eine Attacke auf den späteren Rennsieger Vettel starten konnte. Bottas, von allerlei Problemen geplagt, konnte selbst nicht mithalten.

Mit jedem Rennen wird der Zweikampf der beiden Weltmeister intensiver. Läuft es weiter wie bisher, verkommen Bottas und Vettels Teamkollege Kimi Räikkönen zu Statisten. Angesichts der Intensivität des Duells ist eine Teamorder bei Mercedes und auch Ferrari nicht mehr auszuschließen. Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff widerstrebte dieser Gedanke zwar. In Bahrain ließ er aber durchblicken, dass dies nicht mehr außerhalb der Möglichkeiten liege.

Valtteri Bottas beugte sich der Teamorder in Bahrain, Foto: Sutton
Valtteri Bottas beugte sich der Teamorder in Bahrain, Foto: Sutton

Wolff: Wir mögen das nicht

"Wir mögen das nicht", sagte Wolff am Sonntagabend im Fahrerlager von Bahrain. "In den letzten Jahren haben wir das nicht gemacht. Aber die Situation ist jetzt anders. Deshalb braucht es eine richtige Analyse, was das bedeutet und wo wir stehen." Dazu braucht es allerdings keine große Bestandsaufnahme. Nach den ersten drei Rennen des Jahres führt Vettel die Gesamtwertung mit sieben Punkten Vorsprung auf Hamilton an.

Wolff versicherte: "Wir möchten beiden Fahrern zu Beginn des Rennens die gleichen Möglichkeiten bieten. Das sind wir ihnen schuldig. Dann hat man gesehen, was wir während des Rennens gemacht haben. Wir haben eine Ansage gemacht, weil wir das Gefühl hatten, dass es die einzige Gelegenheit war, das Rennen zu gewinnen."

Lewis Hamiltons Aufholjagd in Bahrain kam zu spät, Foto: Sutton
Lewis Hamiltons Aufholjagd in Bahrain kam zu spät, Foto: Sutton

Teamorder zu spät?

Letztendlich ging der Plan aber nicht auf, Vettel hatte sich an der Spitze bereits einen ausreichend großen Vorsprung auf die beiden Silberpfeile erarbeitet, um die Ziellinie mit rund sechs Sekunden Vorsprung auf Hamilton zu überqueren. Nicht wenige Experten warfen Mercedes vor, den Platztausch zu spät vorgenommen zu haben. Es war offensichtlich, dass Bottas die Pace des Ferrari überhaupt nicht mitgehen konnte und gleichzeitig Hamilton aufhielt.

Dieser These widersprach allerdings Niki Lauda. "Nein", sagte er zu Motorsport-Magazin.com und holte dann weiter aus: "Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Um es auf den Punkt zu bringen. Ferrari hat alles perfekt gemacht. Der Vettel war sofort am Mercedes hinten dran. Vom Speed her hätte er vom ersten Moment an schneller fahren können. Deshalb haben wir in erster Linie das Rennen verloren."

Sebastian Vettel zwingt Mercedes zum Umdenken, Foto: Sutton
Sebastian Vettel zwingt Mercedes zum Umdenken, Foto: Sutton

Eine neue Situation

Nachdem nun klar ist, dass Vettels Sieg beim Saisonauftakt in Australien kein Zufall war, muss Mercedes umdenken. Einen echten Gegner, das kannte man jahrelang nicht in Brackley und Brixworth. Räumte auch Toto Wolff ein: "Das ist eine neue Situation. In den drei Jahren hatten wir einen internen Kampf. Natürlich stellt man sich vom Kopf her darauf ein. Ich bin sicher, dass das Team jetzt gut damit umgehen wird."

Inwieweit Vettels neuerlicher Sieg Einfluss auf die künftige Herangehensweise hat, da hielt sich Wolff noch bedeckt. "Ich will noch nicht vorwegnehmen, ob daraus eine Konsequenz entsteht und was das für die Meisterschaft bedeuten würde", sagte er und schob den Ball direkt zum Gegner: "Das ist eine Frage, die sich auch Ferrari stellen muss."

Trotz Bottas-Pole: Lewis Hamilton bleibt der Titelfavorit bei Mercedes, Foto: Sutton
Trotz Bottas-Pole: Lewis Hamilton bleibt der Titelfavorit bei Mercedes, Foto: Sutton

Ähnliches Bild bei Ferrari

Bei den Italienern herrscht derzeit ein vergleichbares Bild. Während Vettel von Erfolg zu Erfolg eilt, läuft bei Räikkönen nicht viel zusammen. Noch immer wartet der Finne auf seinen ersten Podestplatz in der laufenden Saison. Der klare Titelaspirant in Maranello heißt Sebastian Vettel. Bottas war bislang zwar erfolgreicher als Landsmann Räikkönen, gilt aber schon jetzt als klare Nummer 2 bei Mercedes.

Die erstmalige Teamorder in Bahrain akzeptierte er ohne Murren, gab aber zu, so etwas nicht gern zu hören. "Ich mache das fürs Team", sagte er. "Auch, wenn es sich für mich persönlich nicht gut anfühlt. Als Fahrer ist das schwierig zu akzeptieren, aber du machst es. Ich habe das voll verstanden. Wir haben darüber gesprochen und das Team hat mir noch einmal alle Gründe dafür erklärt."

Valtteri Bottas kämpfte in Bahrain mit zahlreichen Problemen, Foto: Sutton
Valtteri Bottas kämpfte in Bahrain mit zahlreichen Problemen, Foto: Sutton

Als Hamilton auf Teamorder pfiff

Ob Hamilton auch so reagieren würde? 2014 in Ungarn hatte er sich etwa der Teamansage widersetzt und Rosberg nicht kampflos vorbeigelassen. Allerdings ist Bottas der Neue im Team wird sich zu Beginn kaum mit den Mercedes-Bossen anlegen wollen. "Es hat am Ende keinen Unterschied gemacht, ob Lewis oder ich vorne war mit Blick aufs Team", sagte Bottas. "Aber es hätte eine Möglichkeit sein können. Lewis hatte heute eine bessere Chance auf den Sieg als ich, weil ich Probleme mit der Pace hatte."

Während Bottas die Entscheidung zumindest oberflächlich akzeptierte, haderte Wolff doch sehr damit. Nach nur drei Rennen wolle man solch einen Weg nicht einschlagen. Doch mit jedem Rennen wird der Druck größer, das weiß auch der Österreicher. "Wir hätten wahrscheinlich eine andere Entscheidung getroffen, wenn Valtteri mit seinen Reifenproblemen Erster und Lewis Zweiter gewesen wäre. Aber mit Vettel dazwischen konnten wir nichts machen."

Auch unter der Ära Hamilton/Rosberg war es stets oberste Priorität für Mercedes, das Rennen zu gewinnen. Welcher Fahrer am Ende ganz oben stand, war dabei nicht ausschlaggebend. Da gab es allerdings auch keinen starken Vettel, der Wolffs Kopf nun zum Rauchen bringt... "Irgendwann realisiert man, dass man das Rennen verliert, wenn man nichts ändert", verteidigte er die Stallregie. "Das ist der Moment, in dem du diese unpopuläre Entscheidung treffen musst."