Ferrari bestach in Australien nicht nur mit dem schnellsten Auto, sondern auch mit der besten Strategie. Beobachter der letzten Jahre rieben sich schon verwundert die Augen, zeichnete sich die Strategie-Abteilung der Scuderia vor allem 2016 hauptsächlich mit Fehlern aus. Doch wie sah es in China aus? Hätte Sebastian Vettel in Shanghai siegen können, wenn Ferrari auf eine andere Strategie gesetzt hätte oder war Platz zwei hinter Lewis Hamilton das Maximum? Die Motorsport-Magazin.com Renn-Analyse liefert Antworten.

Wie schon in Melbourne startete Vettel auch in Shanghai direkt hinter Lewis Hamilton von Platz zwei. Trotz eines schwächeren Starts konnte der Deutsche den zweiten Platz halten. Weil außer Carlos Sainz alle Piloten auf abtrocknender Strecke mit Intermediates starteten, stellte sich die Frage, wann der Crossover-Punkt erreicht sein würde. Also genau der Zeitpunkt, an dem Trockenreifen schneller sind als Intermediates.

Renault holte Jolyon Palmer schon nach der Einführungsrunde zum Reifenwechsel, Nico Hülkenberg dann in der ersten Rennrunde. Die Spitzenleute lauerten auf die Gelegenheit, warteten aber noch. Nachdem Lance Stroll im Kiesbett stecken geblieben war, rief die Rennleitung eine VSC-Phase aus. Unter dem Virtuellen Safety-Car wird das Rennen neutralisiert, die Piloten cruisen quasi gleich langsam um die Strecke, die Abstände werden eingefroren.

Da der Wechsel auf Slicks ohnehin unmittelbar bevorstand, entschied sich Vettel am Ende von Runde zwei zu stoppen. Weil die Konkurrenz unter VSC nur verhältnismäßig langsam auf Start und Ziel fahren darf, während Vettel sich an das Speedlimit in der Boxengasse halten muss, kostet der Reifenwechsel unter diesen Bedingungen weniger Zeit - eine gute Entscheidung also.

Ferrari-Junior kostet Ferrari den Sieg

Pech nur, dass unmittelbar nach Ende der VSC-Phase ausgerechnet Ferrari-Junior Antonio Giovinazzi im Sauber abflog und eine richtige Safety-Car-Phase verursachte. Eine Safety-Car-Phase muss Boxenstopps nicht immer begünstigen: Wenn der Führende zum Beispiel schon auf das Safety-Car aufgelaufen ist, kostet ein Boxenstopp in Folge zwar weniger Zeit, aber deutlich mehr Positionen. Boxenstopps während einer Safety-Car-Phase brauchen gutes Timing.

Wie schon am Samstag: Giovinazzi flog zweimal an der gleichen Stelle ab, Foto: Sutton
Wie schon am Samstag: Giovinazzi flog zweimal an der gleichen Stelle ab, Foto: Sutton

In diesem Falle kam es doppelt bitter: Weil Giovinazzi auf der Start- und Zielgeraden abflog und die Strecke von Trümmerteilen übersät war, ordnete die Rennleitung an, dass das gesamte Feld ersatzweise durch die Boxengasse fahren muss, bis die Strecke wieder sauber ist. Das ist das normale Prozedere in solchen Fällen. Die Marshalls können ohne Behinderung aufräumen, die Fahrer laufen nicht Gefahr, sich die Reifen durch Karbonsplitter zu beschädigen.

Dadurch allerdings bekamen alle Piloten, die bislang noch nicht zum Reifenwechsel an der Box waren, ihren Wechsel auf Slicks fast geschenkt. Lediglich die Standzeit beim Reifenwechsel kostet ein wenig.

Bitter: Ferrari machte mit dem Wechsel unter VSC eigentlich alles richtig, der Zeitpunkt des Wechsels war gut und zusätzlich sparte man sich beim Stopp eigentlich Zeit. Dass es eine Runde später Stopps zum Nulltarif geben würde, konnte niemand ahnen. Vettel ärgert sich entsprechend: "Es war mutig, früher als die anderen an die Box zukommen. Sicherlich verliert man ein bisschen in der Boxeneinfahrt, weil es noch etwas feucht ist, aber es hat trotzdem funktioniert. Als ich die Reifen auf Temperatur hatte und Gas geben wollte, kam das Safety-Car. Dann war die Luft etwas raus, weil der Sieg damit weg war."

Auch von P6 noch Siegchancen

Doch war der Sieg damit wirklich weg? Vettel fiel durch das Strategie-Pech von Platz zwei auf Platz sechs zurück. Ausgerechnet beide Mercedes, beide Red Bull und Teamkollege Kimi Räikkönen waren vor ihm - kein Fischfutter also. Aber durch das Safety-Car blieb das Sextett zumindest zusammen - noch war also nichts verloren.

Den Sieg verlor Vettel erst in den nächsten Runden. Während Hamilton und Max Verstappen an der Spitze ihr eigenes Tempo gingen, musste Daniel Ricciardo etwas abreißen lassen. Und mit Ricciardo auch Räikkönen und Vettel.

Obwohl Räikkönen zeitweise über mangelnde Leistung beim Beschleunigen auf die lange Gerade klagte, war er sichtlich schneller als Ricciardo - kam aber nicht vorbei. Dahinter war Vettel sichtlich schneller als Räikkönen, hielt sich aber mit einem Angriff zurück: "Ich konnte nicht wirklich etwas probieren, weil vor Kimi noch ein Auto war. Wenn man sich da auf der Bremse vertut, landet man sofort im Auto davor, deswegen konnte ich nichts riskieren und musste warten, bis sich das ein bisschen auseinandergezogen hatte."

Räikkönen kostet Vettel letzte Chance

Doch es waren die entscheidenden Runden des Rennens: Während sich Hamilton vorne absetzte, verlor Vettel im Ricciardo-Zug Runde für Runde Zeit. Als der Deutsche in Runde 19 endlich an Räikkönen vorbeikam, hatte er schon zehn Sekunden Rückstand auf den führenden Hamilton. Kaum vorbei an Räikkönen, fackelte er nicht lange und überholte bei der ersten Gelegenheit auch Ricciardo mit einem sehenswerten Manöver.

Die Frage lautet: Hätte Ferrari Vettel an Räikkönen vorbeiwinken müssen? Vettel stellt sich hinter sein Team: "Nein, sie haben mich gefragt, ob ich schneller kann. Ich hab 'klar' gesagt, weil ich festhänge. Aber ich habe auch gesagt, dass Kimi ebenso schneller könnte. Wenn Daniel (Ricciardo) weg ist, können wir beide schneller. Ich erwarte nicht vom Team, dass sie nach 10 oder 15 Runden im Rennen einen Call machen."

Doch Vettel hatte offenbar deutlich mehr Pace als Räikkönen, konnte auch Ricciardo schneller hinter sich lassen und holte in Folge in Riesenschritten auf Verstappen auf, den er dank eines Fehlers ohne Gegenwehr passieren konnte. Doch als Vettel freie Bahn hatte, betrug sein Rückstand auf die Spitze schon zehn Sekunden.

Von Runde 22 bis 34 verlor Vettel nur zwei weitere Sekunden auf Hamilton. Dabei hatten seine Reifen im Verkehr deutlich mehr gelitten als die seines Konkurrenten, der an der Spitze die Pace managen konnte. Mit einem klugen Undercut verkleinerte Ferrari den Rückstand nach dem zweiten und letzten Boxenstopp von zwölf auf neun Sekunden.

Vettel holt im Fernduell drei Sekunden auf

Die letzten 21 Rennrunden fuhren Hamilton und Vettel im kleinen Fernduell gegeneinander. Bei Zieldurchfahrt waren von den neun Sekunden nur noch sechs übrig. Vettel knabberte langsam aber stetig am Vorsprung von Hamilton.

Hat Hamilton nur die Führung verwaltet oder war es ein richtiges Fernduell? "In den letzten 20 Runden fuhren Seb und ich so schnell wir konnten", sagt Hamilton selbst. "Wir wechselten uns bei den schnellsten Rundenzeiten ab - genau darum geht es im Rennsport." Keine Spur also von Tempo rausnehmen.

Das Tempo bestätigt den Rennspeed aus Melbourne: In Runde 26 lag Hamilton da sechs Sekunden hinter Vettel und blies zur Aufholjagd. Bei Zieldurchfahrt hatte der Ferrari-Pilot den Vorsprung sogar auf zehn Sekunden vergrößert. Der Ferrari scheint im Renntrimm in zwei Rennen zweimal das schnellste Auto gewesen zu sein.

Ferrari: Warum keine Stallregie?

Ferrari muss sich nur fragen lassen, warum man die teaminterne Reihenfolge nicht früh im Rennen umdrehte, als klar war, dass Vettel schneller ist als Räikkönen. Ob Vettel dann Ricciardo und Verstappen genauso schnell überholt hätte ist freilich mindestens so ungewiss wie die Frage, ob Vettel dann Hamilton ein- und überholen hätte können. Aber Vettel hätte zumindest die Möglichkeit gehabt.

Andere Teams lösen eine solche Situation meist recht elegant: Wenn es klar scheint, dass der eine Pilot deutlich schneller als der andere ist und durch einen Positionswechsel Chancen auf ein besseres Ergebnis hat, wird die Position getauscht. Kommt der Fahrer dann nicht weiter voran, wird der Tausch wieder rückgängig gemacht.

Ein solches Szenario wäre auch bei Ferrari sinnvoll gewesen. Dass sich der frühe erste Stopp nicht ausgezahlt hat, war Pech. Wäre das Safety-Car nicht gekommen, hätte Vettel wahrscheinlich sogar die Führung übernommen.