Die Formel-1-Saison 2017 wirft ihre Schatten voraus: Neue Regeln, neue Autos, neue Reifen. Wie wirken sich die Neuerungen auf die Formel 1 aus? Wer geht nach den Testfahrten als Favorit in die neue Saison? Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner analysiert die Lage vor dem Saisonstart in Australien in zwei Teilen im beliebten Format 'Danner spricht Klartext'. Der zweite Teil erscheint am 19.03.2017 auf Motorsport-Magazin.com.

Was ist Ihr erster Eindruck von der neuen Formel 1?
Christian Danner: Der erste Eindruck ist großartig. Die Autos sehen super aggressiv aus und die ganze Grundstimmung ist sehr positiv - und die Grundstimmung ist etwas, das in der Formel 1 in den letzten Jahren schon sehr schwierig war. Ich beziehe mich hier auf Bekannte und Freunde, die die Formel 1 verfolgen und sagen, dass wir jetzt wieder etwas Tolles haben. Natürlich zählen da auch die Protagonisten dazu und alle Fahrer sind ob der neuen Autos voll des Lobes. Das geile Produkt kommt auch wieder geil rüber.

Sie mal gesagt, dass der Zuschauer gar nicht sieht, dass die Autos drei oder vier Sekunden schneller sind - die Fahrer sollen eher mit ihren Geräten zu kämpfe haben. Ist das jetzt so?
Christian Danner: Nein, man sieht in der Tat als Zuschauer keinen Unterschied, ob das Auto vier Sekunden schneller fährt oder nicht - außer man steht direkt an der Strecke. Man sieht aber sehr wohl, dass das Auto ganz anders aussieht. Die optische Aggressivität ist auch dank der breiten Reifen gegeben. Und: Die Fahrer sind aus zwei Gründen viel zufriedener. Erstens: Die Kurvengeschwindigkeit ist für einen Rennfahrer das Beste, das es gibt. Wenn die höher ist, dann ist das gut. Zweitens: Die Reifen sind ganz anders. Bei den Tests sind sie mit den weichen Reifen teilweise 20 Runden gefahren und waren immer noch schnell - und das in Barcelona.

Die stark abbauenden Reifen haben uns viele Boxenstopps beschert, wodurch die Rennen teilweise etwas durcheinandergewürfelt wurden. Geht es jetzt zurück zum puren Racing?
Christian Danner: Ich fand die Thematik mit den vielen Boxenstopps durchaus amüsant und attraktiv. Aber es hat dazu geführt, dass es für den Zuschauer mit zwei, drei oder noch mehr Stopps unübersichtlich wurde. Zusätzlich hat es den Teams strategische Mittel gegeben, Überholmöglichkeiten zu erzeugen, die ich eigentlich lieber auf der Strecke gesehen hätte. Ich habe es lieber, wenn einer lange hinterherfährt und ihn irgendwann doch noch knackt. Das ist, was wir als Racing bezeichnen. Dass nicht die Strategieabteilung entscheidet, wer gewinnt, sondern der Fahrer, der es fertigbringt - sei es auch noch so schwierig. Wenn ich die Wahl habe, ist mir Ausbremsen hundertmal lieber als Undercutten, weil das der Fahrer machen muss und nicht die Strategieabteilung in Brackley.

Sie haben schon angedeutet, dass Überholen schwieriger wird. Denken sie, dass es vielleicht sogar unmöglich ist?
Christian Danner: Es ist schon noch möglich. Fernando Alonso hat kürzlich seine Duelle mit Michael Schumacher sehr schön beschrieben. Er meinte, dass es schon ein echter Akt war, an ihm vorbeizukommen. Ein beinahe heroischer Akt, ein solches Überholmanöver hinzukriegen. Ich bin gespannt, wie die Fahrer das jetzt hinbekommen.

Wie wirkt sich das neue Reglement generell auf die Fahrer aus?
Christian Danner: Das Schöne ist tatsächlich, dass sich die Fahrer auf das sportliche und technische Reglement einstellen müssen. Das leuchtende Beispiel ist Fernando Alonso. Er ist mit 10-Zylinder-Motoren, 2,4 Liter 8-Zylinder-Motoren, Turbomotoren, mit Slicks, mit Rillenreifen, mit Michelin, Bridgestone und Pirelli, mit Tankstopps und ohne gefahren. Dabei hat er sich immer adaptiert und war immer super schnell.

Was er schon alles an verschiedenen technische Gegebenheiten erlebt hat, da ist der ein oder andere Fahrer schon beinahe daran gescheitert. Und das ist jetzt - wie bei jedem Regelwechsel - wieder wichtig. Man muss sich adaptieren. Jetzt müssen die Fahrer lernen, wieder mit härteren Reifen und schnelleren Autos klarzukommen und gleichzeitig wieder mehr Verantwortung zu tragen, weil die Strategieabteilung nicht mehr so viel reparieren kann, wenn es mal schiefgeht.

Wer geht Ihrer Meinung denn als Favorit in die Saison?
Christian Danner: Das Amüsante ist, dass jeder verzweifelt versucht, dem anderen die Favoritenrolle zuzuschieben. Mercedes meint: Ferrari fährt eine halbe Sekunde schneller als wir. Ferrari sagte wiederum: Mercedes ist ja nur mit viel Sprit im Tank gefahren. Das ist höchst amüsant. Die drei Favoriten sind aber natürlich die drei großen Teams: Mercedes, Ferrari und Red Bull. Dass die aktuell pokern und keiner wirklich die Karten auf den Tisch legt, ist auch klar. Ich erwarte ein ähnliches Kräfteverhältnis wie im letzten Jahr, mit einem auf jeden Fall stärkeren Ferrari. Der Red Bull ist natürlich immer noch schwer zu beurteilen, weil zum einen die Zuverlässigkeit noch nicht auf dem Niveau der Hauptkonkurrenten ist und zum anderen das Auto noch nicht mit der aktuellsten Version der Technik unterwegs war.

Mercedes geht auch 2017 als Favorit in die Saison, Foto: Sutton
Mercedes geht auch 2017 als Favorit in die Saison, Foto: Sutton

Dabei würde ich Mercedes einen leichten Vorteil unterstellen, denn sie haben einfach ein sehr gut abgestimmtes Team, das - auch wenn mal etwas schiefgeht - es doch immer wieder hinbekommt. Letztendlich wissen sie immer schnell, warum es schiefgeht. Das war die große Schwäche von Ferrari im letzten Jahr. Sie waren manchmal richtig gut und haben nicht gewusst warum. Manchmal waren sie aber auch richtig schlecht und haben nicht gewusst warum. Das war der große Unterschied zwischen Ferrari und Mercedes. Ob das 2017 wieder so ist, werden wir erst sehen, wenn ein paar Rennen vorbei sind - aber auf diesen Unterschied kommt es an.

Glauben sie, dass Red Bull wirklich noch das große Technik-Feuerwerk für Melbourne bringt?
Christian Danner: Das weiß ich nicht. Das Auto ist schnell, aber nicht so zuverlässig, wie es sein soll. Zudem ist es leistungsmäßig immer noch nicht auf dem Niveau des Ferrari oder des Mercedes. Ob es dann ein aerodynamisches Stakkato gibt und doch überall noch Bargeboards wachsen oder irgendwelche Kanäle die Luft irgendwohin transportieren, kann ich nicht sagen, da ich im Windkanal nicht dabei war.

Mercedes hat 2016 das Auto nicht nur besser verstanden, sondern auch effektivere Updates gebracht als Ferrari. Updates könnten 2017 die entscheidende Rolle spielen. Vorteil Mercedes?
Christian Danner: Es ist ja immer so, dass bei einem neuen Reglements-Zyklus zu Beginn noch eine eklatante Entwicklung stattfindet, weil man bei weitem noch nicht am Limit angelangt ist. Wir müssen uns auf ein unheimliches Wettrüsten einstellen. Aber auch in diesem Bereich denke ich, dass die Top-Drei auf einem Niveau sein werden. Problematisch wird es nur dann, wenn ein Update mal nicht funktioniert und man herausfinden muss, warum. Dann wird es kritisch, da man die Richtung aus den Augen verlieren kann. Mercedes war da aber immer das Team mit dem besten Überblick.