Der Fahrer muss das Auto alleine und ohne fremde Hilfe fahren. Nur kurz ist dieser Satz, zu finden in Artikel 27.1 des Sportlichen Reglements der Formel 1. Lange Zeit waren die Auswirkungen dieser kleinen Vorgabe marginal. Doch zuletzt verschärften die Regelmacher Stück für Stück deren Auslegung, Stichwort Funkverbot.

Auch wenn es so klingt: Gänzlich verboten ist der Boxenfunk in der Formel 1 natürlich nicht. Immerhin hören wir von Rennen zu Rennen noch allerhand Funksprüche, mal lustig, mal informativ. Dennoch müssen sich die Renningenieure in puncto Inhalte einschränken. Längst dürfen sie ihren Fahrern nicht mehr jedes Detail mitteilen. Los ging es damit schon 2015 hinsichtlich des Driver Coachings am Start, zu Saisonbeginn 2016 legten die Regelmacher nochmal nach.

Zunächst so krass, dass es noch vor dem Australien GP nach Protesten wieder eine Rolle rückwärts gab. Aber nur eine kleine. Inzwischen sind noch immer gerade einmal 25 Arten von Funksprüchen gestattet, zum Großteil sicherheitsrelevante Features. Was hingegen gar nicht gern gesehen, im Klartext gesagt verboten ist: Anweisungen und Hilfen für die Fahrer, welche die Piloten durch mehr Eigeninitiative gar nicht brauchen würden. Entsprechend haben die Rennställe die Lenkräder mit neuen Funktionen ausgerüstet.

Weniger Boxenfunk gleich mehr Spannung?

Hintergrund: Die Formel 1 soll zusätzlich an Spannung gewinnen, indem der Fahrer mehr auf sich allein gestellt ist und eigene Entscheidungen treffen soll. "Sie haben es gemacht, um die Rennen weniger vorhersehbar zu machen, spannender", bestätigt Maurizio Arrivabene nach dem Europa GP in Baku.

Der Ferrari-Kommandostand hatte in Baku viel damit zu tun, Kimi Räikkönen zu erklären, warum er gewisse Informationen nicht bekommen darf, Foto: Sutton
Der Ferrari-Kommandostand hatte in Baku viel damit zu tun, Kimi Räikkönen zu erklären, warum er gewisse Informationen nicht bekommen darf, Foto: Sutton

In Aserbaidschan ist das Funkverbot an diesem Rennsonntag das große Thema. Gleich zwei Mal sorgte der Funkverkehr zwischen Kommandostand und Fahrer im Rennen für Aufregung. Zunächst bei Lewis Hamilton, der Mitte des Rennens in einem falschen Motor-Modus unterwegs war. Dann bei Kimi Räikkönen, der wenig später unter einem Problem mit der Elektronik seines Ferraris kämpfte. Beide bettelten am Boxenfunk geradezu um Hilfe - und wurden zur Belustigung mancher Zuschauer durchaus kreativ:

So lief der Funkverkehr zwischen Hamilton und Mercedes

Lewis Hamilton: Überall Aussetzer, das hilft mir nicht. Gibt es keine Lösung?
Peter Bonnington: Wir arbeiten dran!
Lewis Hamilton: Jungs, ihr müsst schneller machen!
Peter Bonnington: Das Problem scheint durch den aktuellen Modus zu kommen, in dem du bist.
Lewis Hamilton: Ich weiß nicht, was du meinst! Ich weiß nicht, was falsch ist.
Lewis Hamilton: Jungs, das ist lächerlich! Ich weiß es nicht. Ich schaue alle fünf Sekunden auf mein verdammtes Display und versuche den Schalter zu finden, der in der falschen Position ist.
Peter Bonnington: Lewis, du machst nichts falsch. Da ist nur ein falsches Setting.
Lewis Hamilton: Vielleicht beende ich das Rennen nicht. Ich versuche jetzt einfach mal alles zu ändern.
Peter Bonnington: Das empfehlen wir dir nicht, Lewis.
Lewis Hamilton: Kann ich Vorschläge machen, und ihr sagt mir, ob das in Ordnung ist?
Peter Bonnington: Nein, das ist nicht erlaubt.
Lewis Hamilton (8 Runden vor Ende): Verdammt, danke! Ich habe meine Power wieder!

So lief der Funkverkehr zwischen Räikkönen und Ferrari

Kimi Räikkönen: Ist alles in Ordnung? Lass es mich so sagen: Ist es dasselbe wie im letzten Rennen?
Dave Greenwood: Ich kann nicht antworten Kimi, sorry.
Kimi Räikkönen: Natürlich kannst du ja oder nein sagen!
Dave Greenwood: Ich kann es nicht, Kimi, ich kann es nicht.

Geholfen hat es nichts: Ihre Renningenieure, weder Peter Bonnington, noch Dave Greenwood, durften ihnen nicht helfen, eine Lösung zu finden. Räikkönen und Hamilton mussten selbst klar kommen. "Wir hatten eine verrückte Situation, weil wir an gewissen Punkten zugehört haben wie der Fahrer gefragt hat, aber nicht antworten konnten", schildert Ferrari-Teamchef Arrivabene.

Während sich Kimi Räikkönen zum Thema erst gar nicht großartig äußert - der Finne hatte in Baku noch ganz andere Dinge zu klären - will sich Arrivabene über die unglückliche Situation nicht beschweren. "Die Beschränkungen sind für alle gleich", sagt der Teamchef. Trotzdem ist sich Arrivabene nicht sicher, ob die Restriktionen zu weit gehen. "Vielleicht, ja. Ich denke, es könnte es aber manchmal interessanter machen, Konversationen zwischen uns und den Fahrern zu hören. Ich habe Freunde, die das gerne hören würden", sagt Arrivabene.

Hamilton voll genervt vom Nicht-Boxenfunk

Weniger diplomatisch, weniger auf den Unterhaltungsfaktor zielt unterdessen Fernando Alonso. Angesprochen auf Hamiltons und Räikkönens Zwischenfälle stellt der Spanier das Regelwerk in Frage. "Diese Regel hat von Anfang an keinen Sinn ergeben. Sie geben uns ein Raumschiff zum Fahren - mit all der Technologie, die wir haben - und jetzt bekommen wir keine Informationen mehr", schildert Alonso. Manchmal sei es einfach zu schwierig zu wissen, was mit dem Auto geschehe und welche Lösung die richtige sei. "Vielleicht sollten wir das in Zukunft angehen", meint der zweifache Weltmeister.

Lewis Hamilton selbst streicht das vielleicht und würde das "in Zukunft" am liebsten in ein "rückwirkend" verwandeln. Der betroffene Weltmeister präsentiert sich in seinen Interviews nach dem Rennen extrem genervt vom Funkverbot. "Ich sehe da keinen Zugewinn. Die FIA hat die Formel 1 so technisch gemacht. Du hast 100 oder 200 unterschiedliche Schalter-Positionen. Ich habe überhaupt nicht die Möglichkeit zu sehen, was das Problem ist", sagt Hamilton.

Nico Rosberg hatte die Probleme im Griff - und siegte, Foto: Sutton
Nico Rosberg hatte die Probleme im Griff - und siegte, Foto: Sutton

Rosberg löst selbes Problem im Nu

Vor allem für die Zuschauer tut es ihm leid. Die Regeln hätten einiges an Rennaction unterbunden. "Es ist schade, dass ich nicht richtig fahren konnte. Wenn ich es hätte lösen können, wäre ich Teil der Show gewesen und hätte die Jungs vor mir einfangen können", sagt Hamilton. Das würde die ursprüngliche Absicht jedoch nur zum Teil ad absurdum führen. Immerhin hat der Wunsch, mehr Unvorhersehbarkeit zu kreieren durchaus funktioniert. Nicht Lewis Hamilton hat sein Rennen gewonnen, sondern Nico Rosberg. Und das, weil er laut Mercedes zwar genau dasselbe Problem gehabt, es aber viel schneller gelöst habe.

Dem WM-Spitzenreiter wurden durch die Restriktionen ohnehin schon vor Saisonbeginn viel größere Chancen zugeschrieben. Immerhin gilt Rosberg als akribischer Arbeiter, als jemand, der jedes Details von seinem Auto verstehen will. Genau das scheint zuzutreffen. Entsprechend kein kritisches Wort von Rosberg-Seite. "Die Ingenieure durften mir nicht sagen, was ich dagegen tun konnte. Also sah ich mir mein Lenkrad an und versuchte, es selbst zu lösen. Das hat gut funktioniert", kommentierte der Deutsche lapidar.

Auch Mercedes-Chefs stellen Regeln in Frage

Seine Bosse sehen das naturgemäß anders. Kein Wunder, liegt es selbstredend im Interesse Mercedes, beide Silberpfeile vorne zu sehen. "Leider darf das Team den Fahrern aufgrund der neuen Funk-Einschränkungen aus diesem Jahr nicht mehr sagen, welchen Modus sie nutzen sollen. Es war in etwa so, als ob wir sie bitten würden, ein Kreuzworträtsel zu lösen, während sie mit 320 km/h ein Rennen fahren. Das ist kein Kinderspiel!", poltert Technik-Guru Paddy Lowe.

Wolff und Lowe am Mercedes-Kommandostand, Foto: Mercedes-Benz
Wolff und Lowe am Mercedes-Kommandostand, Foto: Mercedes-Benz

"Es war ein ungewöhnliches und unverständliches Problem mit einem Motor-Modus. Deshalb konnte Lewis gar nicht wissen, was er tun musste, um es zu beheben", bemängelt Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff das Regelwerk. "Die Autos sind heute sehr kompliziert und in Sachen Technologie sehr fortschrittlich. Wir müssen die Regeln anschauen." Eine Beschwerde wolle er damit aber ausdrücklich nicht formulieren.