Die Formel 1 ist eine seltsame Welt: Vor vier Wochen hätte sich Sebastian Vettel noch grenzenlos über Startplatz drei gefreut - selbst Startplatz vier war für den Heppenheimer im ersten Ferrari-Rennen ein Erfolg -, nach dem Qualifying zum Großen Preis von China wusste er nicht so ganz, ob er sich nun freuen, oder enttäuscht sein sollte. "Nein, ich habe nicht gedacht, dass es weiter nach vorne geht. Man muss schon realistisch bleiben", schränkt Vettel schnell ein.

Platz drei ist für den viermaligen Weltmeister nicht das Problem. Macht Mercedes keinen Fehler, ist das das Maximum. Allerdings haderte Vettel mit den neun Zehntel, die sein Rückstand auf Pole-Setter Hamilton beträgt. "Ich habe nach dem zweiten Qualifikationsabschnitt gedacht, dass wir ein bisschen näher dran sind. Im zweiten Abschnitt sah es nicht so aus, als wären wir in Schlagdistanz, aber vielleicht nur eine halbe, statt einer Sekunde entfernt", erklärt Vettel.

In der Tat war der Rückstand am gesamten Wochenende nie so groß, wie letztendlich im entscheidenden Qualifying-Abschnitt. Im Training fehlten Ferrari zwischen vier und sieben Zehntelsekunden. "Entweder haben die beiden im dritten Qualifying noch ordentlich einen rausgehauen, oder alle anderen haben geschlafen", versucht Vettel den großen Rückstand zunächst etwas humorvoller zu erklären.

Nicht nur Mercedes-Mercedes Qualifying-Ass

"Es scheint so, als könnte Mercedes im Qualifying noch ein bisschen an Schrauben drehen und noch ein bisschen mehr rausquetschen", meint Vettel und fügt erklärend an: "Nicht nur Mercedes-Mercedes, sondern alle Fahrzeuge mit Mercedes-Motor."

Schon 2014 an der Tagesordnung: Zwei Mercedes in Startreihe eins, Foto: Sutton
Schon 2014 an der Tagesordnung: Zwei Mercedes in Startreihe eins, Foto: Sutton

Schon im letzten Jahr fiel auf, dass Mercedes im Qualifying-Trimm überproportional zulegen konnte. Die Reserven in der Power-Unit aus Brixworth scheinen größer zu sein, als bei allen anderen Herstellern. "Deswegen war es heute einerseits für uns wichtig, nah dran [an Mercedes] zu sein und andererseits vor den anderen zu bleiben." An eine schnelle Aufholjagd glaubt der WM-Zweite allerdings nicht: "Die graue Macht da vorne die wird noch ein bisschen stehen. Aber wir versuchen natürlich daran zu wackeln."

Ob sich das Wackeln wie in Malaysia auch in China zum Sieg aufschaukeln kann, ist fraglich. Mercedes fürchtet jedenfalls nach der Niederlage in Sepang erneut die Rennpace der Ferraris. "Wir wissen, dass Ferrari auf den Longruns sehr gut ist, das Rennen ist noch nicht vorbei", fürchtet Pole-Sitter Lewis Hamilton. "Wenn er das schon befürchtet, hoffe ich, dass da etwas dran ist ", schmunzelt Vettel. "Lewis weiß wahrscheinlich mehr als wir, was seine Pace im Rennen angeht."

Von der Hand zu weisen, sind diese Vermutungen aber nicht. Das weiß auch Vettel: "Normalerweise ist China ein echter Reifenkiller. Dieses Wochenende scheinen die Reifen gut zu halten, auch wenn die Temperaturen nicht sehr hoch sind. Trotzdem glaube ich, dass wir im Rennen deshalb näher dran sein können."

Näher ja, vorbei nein

Dass Ferrari im Rennen näher an Mercedes dran ist, zeigen auch die Longruns vom Freitag. "Im Rennen könnte es enger werden, aber es gibt einen Unterschied zwischen näher dran zu sein und sie zu überholen", mahnt Vettel zur Zurückhaltung.

Eine Möglichkeit könnte sich schon am Start ergeben, auch wenn der Weg zur ersten Kurve mit 380 Meter von der Pole Position nicht übermäßig lang ist. "Normalerweise hatte Ferrari immer sehr gute Starts", weiß Vettel. Dass es bei ihm in den ersten beiden Rennen nicht so gut funktioniert hat, führt er auf sich selbst zurück. "Hier sollten wir ein bisschen besser dastehen. Ich glaube, wir kommen ein bisschen besser zu recht, wenn es mehr Grip gibt."

Aus eigener Kraft wird es aber schwierig, Mercedes zu schlagen. Für Vettel gilt es, den Druck auf Hamilton und Rosberg so hoch wie möglich zu halten. "Sie hatten lange, lange keinen Druck, deswegen wird es mal Zeit, dass sie ein bisschen was auf die Ohren kriegen. Letztes Rennen hat es geklappt, aber ich möchte da keine großen Töne spucken."

Vettel: Williams und Red Bull nicht unterschätzen

Wie er den Druck ausüben will, weiß Vettel auch schon. Einen spektakulären Trick hat er sich aber nicht einfallen lassen. "Es gibt eine Millionen Theorien, wie man auf sie Druck ausüben kann. Aber ehrlich gesagt ist die Variante, die ich mag, auf mich selbst zu schauen. Wenn wir sicherstellen, dass wir unser Bestes geben, bedeutet das gleichzeitig, dass wir maximalen Druck auf sie ausüben. Und was dann passiert, passiert. Wir müssen auf uns schauen und der Rest liegt nicht in unseren Händen."

Und ganz will der Deutsche auch die anderen Konkurrenten nicht aus den Augen lassen: "Man darf Williams nie unterschätzen. Und auch Red Bull sieht an diesem Wochenende besser aus." Gut für Vettel: Der Topspeed des Ferrari ist nicht schlecht, verteidigen kann er sich also besser, als in der vergangenen Saison im Red Bull. Weiterer Vorteil: Neben Mercedes ist Ferrari das einzige Team, dass sich einen Satz frischer Soft-Reifen für das Rennen aufgehoben hat.