Pro: Hamilton mit Ausrufezeichen im WM-Kampf

Die Diskussion darüber, ob Lewis Hamilton nun richtig gehandelt hat, oder nicht, ist komplett überflüssig. Natürlich stehen auf der einen Seite die Interessen des Teams und Mercedes hätte mit einem 'Freifahrtschein' für Nico Rosberg möglicherweise große Chancen auf den nächsten Sieg gehabt. Jedoch gibt es im Rennsport für nichts eine Garantie. Nicht weniger als vier Dinge sprechen dafür, dass der Brite absolut richtig handelte:

Lewis Hamilton war der heimliche Gewinner, Foto: Sutton

Lewis Hamilton war der heimliche Gewinner, Foto: Sutton

1. Rosberg war nie nahe genug dran, um tatsächlich zu überholen. De facto lag er mit seinem Mindestabstand von 1,2 Sekunden ja nicht einmal im DRS-Fenster. Auch dieses ist in Ungarn zudem ja nicht einmal annähernd eine Überhol-Garantie. Hamilton hätte also sein Tempo enorm verringern und somit seine eigene Chance im Kampf gegen Fernando Alonso und Daniel Ricciardo deutlich verschlechtern müssen.

2. Hamilton und Rosberg stecken in einem WM-Kampf auf Spitz und Knopf! Jede Chance, dem Rivalen psychologisch eins auszuwischen, ist mehr als nur legitim. Aus der Boxengasse zu starten, sich direkt in Runde eins mit kalten Bremsen zu drehen und dann ohne Probleme vor dem auf Pole gestarteten Teamkollege auf viel besseren Reifen seine Kreise zu ziehen, muss für Hamilton ein himmlisches Gefühl gewesen sein!

3. Hamilton wusste: Je länger ich Rosberg hinter mir halte, desto eher lande ich im Ziel vor ihm. Wie die letzten Runden zeigten, wäre Rosberg wohl noch an Hamilton vorbeigekommen, hätte dieser ihn zuvor nicht so lange wie möglich blockiert. Warum sollte Hamilton seinen größten WM-Rivalen passieren lassen, damit dieser am Ende vor ihm landet und den Abstand vergrößert?

4. Egal was passiert, oder auch nicht passiert: Mercedes wird die Konstrukteurs-WM so oder so gewinnen! Das wissen neben Hamilton und Rosberg auch sämtliche Mitarbeiter der Sternenflotte. Nicht umsonst stellte sich Niki Lauda nach dem Rennen auf Hamiltons Seite.

Contra: Das Team steht über allem

Am Ende fahren die Piloten für das gesamte Team, nicht für sich, Foto: Sutton
Am Ende fahren die Piloten für das gesamte Team, nicht für sich, Foto: Sutton

Teamorder ist immer eine schwierige Angelegenheit. Oftmals lässt sich sportlich darüber diskutieren, ob eine Teamorder fair ist oder nicht, schließlich wird ein Pilot bevorzug, der andere benachteiligt. Bei Hamilton und Rosberg in Ungarn war die Situation eine andere. Beide waren auf unterschiedlichen Strategien unterwegs, das war der springende Punkt. Es war kein Duell, das in diesem Moment auf der Strecke ausgetragen wurde.

Deshalb ist der Begriff Stallorder nicht ganz richtig. Solche Situationen gibt es in vielen Rennen, bei einigen Teams. Meist läuft das unbemerkt ab. Bei Hamilton und Rosberg ist das in der derzeitigen Situation nicht möglich. Die Bedeutung des Zweikampfs der beiden Mercedes-Piloten ist enorm, schließlich machen sie potentiell den WM-Titel in jedem Zweikampf unter sich aus. So kann man Hamilton auch in Schutz nehmen und nachvollziehen, wieso er Rosberg nicht vorbeilassen wollte. Schließlich hätte das auch für später, als Rosberg auf den weichen Reifen heraneilte, einen Nachteil im WM-Kampf bedeutet.

Hat Lewis Hamilton wieder seine unprofessionelle Seite gezeigt?, Foto: Mercedes-Benz
Hat Lewis Hamilton wieder seine unprofessionelle Seite gezeigt?, Foto: Mercedes-Benz

Doch die andere Seite darf nicht unter den Tisch gekehrt werden - und überwiegt letztendlich. Beide Fahrer sind Angestellte des Teams. Ihre Aufgabe ist es, für das Team das bestmögliche Resultat einzufahren. Und dafür wäre es hilfreich gewesen, hätte Rosberg keine Zeit hinter Hamilton verloren. Dass Rosberg in dieser Situation nicht aggressiv beim Teamkollegen anklopft, ist klar. Zumal er davon ausging, dass Hamilton ihn vorbei lässt. Die Zeit, die Rosberg hinter Hamilton verloren hat, potenziert sich, da er somit nach seinem Boxenstopp hinter Räikkönen und Massa auf die Strecke kam. Sie zu überholen, kostete Rosberg vier Runden - vier kostbare Runden auf frischen, weichen Reifen.

Am Ende hätte Rosberg nicht nur vor Hamilton, sondern auch vor Alonso landen können, mit etwas Glück auch vor Ricciardo - er hätte das Rennen also auch noch gewinnen können. Gut, es sind viele Unbekannte in der Gleichung, aber letztendlich steht das Team über allem. Nach dieser Prämisse hat Hamilton nicht gehandelt.

Und dann gibt es noch einen letzten Punkt: Hamilton riskiert mit seiner Ignoranz den Teamfrieden. Der sonst so besonnene Nico Rosberg ließ durchblicken, dass er die Reaktion seines Teamkollegen nicht ganz so toll fand. Das Explosionspotential steigt - was verhindert hätte werden können.