Faktor 1: Budget

Unzählige Kameras im Anschlag, die Objektive zielen geradeaus auf das silberne Auto. Plötzlich zückt Toto Wolff sein Handy und dreht den Spieß um: Ganz im Stil seines Vorgängers Norbert Haug knipst der neue Mercedes-Motorsportverantwortliche gegenüber der Fotografenmeute munter drauf los. "Die Formel 1 ist brutal ehrlich", weiß Wolff. "Was in diesem Sport alleine zählen, sind die Rundenzeiten." Nicht ganz. Klar, die Rundenzeiten sind der ultimative Nachweis für Erfolg oder Misserfolg, aber auf dem Weg dorthin zählt in der Königsklasse zu einem Großteil der nicht unbedeutende Faktor Kleingeld. Ohne Moos nix los. Das weiß der Geschäftsmann Wolff nur allzu gut.

Schließlich war seine Fotoaktion nicht nur fürs private Familienalbum gedacht, sondern hatte sein Team erst wenige Stunden zuvor eine Partnerschaft mit einem weltbekannten Smartphone-Hersteller verkündet. Eine Hand wäscht eben die andere. Unterstützung, die auch ein Traditionsteam wie Mercedes gut gebrauchen kann. "Die Schere zwischen Top-Teams und den kleinen Teams geht immer weiter auseinander", betont Timo Glock. "Die Top-Teams bekommen sehr viel Geld von Bernie Ecclestone und der Formel 1, während die kleinen Teams ein bisschen verhungern."

Glock kostete dieses finanzielle Ungleichgewicht das Cockpit. In der Formel 1 sind die kleinen Teams nahezu gezwungen, auf Paydriver zurückzugreifen. Fehlt das nötige Kleingeld, ist ein Team schnell weg von der Formel-1-Bühne. Wie schnell das gehen kann, sah man im Winter bei HRT. Aber nicht nur Teams wie Marussia, Caterham und Force India schlagen sich mit Geldproblemen herum, selbst einem Top-Team wie McLaren kommt es nicht ungelegen, wenn ein Fahrer mit einem größeren Geldkoffer an die Tür klopft - Motoren, KERS und Coanda-Auspuffentwicklung verschlingen Millionen.

Dabei gilt stets zu beachten: Geld ist unbestritten erfolgsentscheidend, doch nur wenn ein Team aus dem vorhandenen Budget das Optimum herausholen kann. So hat es Sauber geschafft, mit verhältnismäßig geringen Mitteln weitaus größere Erfolge einzufahren, als dies dem Budget-Riesen Toyota in seinen acht Formel-1-Jahren gelungen ist. Würde Geld allein Rennen gewinnen, wäre Toyota nicht sieglos aus der F1-Welt davon geschlichen.

Faktor 2: Genies

Adrian Newey hat ein Auge für die Details, Foto: Sutton
Adrian Newey hat ein Auge für die Details, Foto: Sutton

Langsamen Schrittes und mit Kopfhörern als Schutz von der hektischen Außenwelt bahnt sich Adrian Newey seinen Weg durch die Startaufstellung. Plötzlich bleibt er stehen - der Lotus R30 hat seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Zentimeter für Zentimeter scannt er den schwarz-goldenen Boliden. Für den Bruchteil einer Sekunde scheint er zu befürchten, dass die Konkurrenz eine bessere Idee als er gehabt haben könnte. Doch das ist bei Newey schwer vorstellbar. Wenn in der Formel 1 das Wort Genie fällt, dann zumeist in Verbindung mit seinem Namen. Wo er ist, lassen Erfolge nicht lange auf sich warten.

Auch Red Bull brachte Newey auf Vordermann, er war einer der entscheidenden Faktoren für die bisherigen drei Fahrer- und Konstrukteurstitel, für die Konkurrenz aus dem roten Lager sogar der entscheidende Erfolgsfaktor. "Ich kämpfe nicht gegen Vettel, sondern gegen Newey", betonte Fernando Alonso immer wieder. Der Respekt vor Newey ist groß, ebenso wie die Furcht vor seinen Geistesblitzen. Newey behält nicht nur in der komplexen Aerodynamik-Welt den Durchblick, sondern besitzt wie kein anderer ein Gespür für Lücken und Ungereimtheiten im Reglement. Geht nicht, gibt es nicht. "Ich genieße Regeländerungen, denn sie erlauben dir, dich mit nichts anderem als einem leeren Papier zurückzulehnen und zu versuchen, die beste Lösung für diese Änderungen herauszuarbeiten", sagt der Brite.

Sein Gegenpart hieß in der Vergangenheit oft Ross Brawn - obwohl dieser eher delegiert und nicht selbst am Zeichenbrett Platz nimmt. Der begnadete Stratege stellte in seiner goldenen Zeit mit Ferrari und Brawn GP unter Beweis, dass Design nicht alles ist. Brawn behält auch im größten Chaos den Überblick und führt seinen Piloten auch mal mit einer scheinbar unmöglichen Vier-Stopp-Strategie zum Sieg. Die Gefahr steckt allerdings im Detail, denn mehrere Superhirne bedeuten nicht gleich mehr Erfolg. In diesem Punkt trifft eher das Sprichwort "zu viele Köche verderben den Brei" zu. Genies arbeiten am besten, wenn man sie einfach machen lässt. Mercedes Executive Direktor Toto Wolff trat bei Mercedes 2013 den Gegenbeweis an - er glaubt: "Wenn die Köche gut sind, dann wird auch die Speise gut."

Faktor 3: Strukturen

McLaren baute eine Superfabrik, Foto: West
McLaren baute eine Superfabrik, Foto: West

Mit starrer Miene betritt er das Hotelzimmer. Äußerlich wirkt Ron Dennis ruhig, doch im Inneren des Briten kocht es, schließlich ist sein Lebenswerk bedroht. Nach der teaminternen Eskalation beim Großen Preis von Ungarn ist der McLaren-Teamchef zum Handeln gezwungen. Statt wie üblich den Fahrern an der Strecke die Leviten zu lesen, rief Dennis seine Piloten Fernando Alonso und Lewis Hamilton, samt deren Managern zur großen Krisensitzung in ein Hotel abseits des Istanbul Park Circuit.

Neben dem Zwist raubt Dennis auch die Tatsache Energie, dass Alonso sich mit aller Macht gegen die vorherrschende Teamstruktur wehrt. Alonso missfällt Dennis Prinzip: "Du schneidest dich, du blutest McLaren." Damit war das Scheitern der Verbindung Alonso/McLaren vorbestimmt. "Es macht keinen Unterschied, ob du der schnellste Fahrer bist oder nicht, wenn es mit dem Team nicht passt", weiß Red Bull-Motorsportdirektor Dr. Helmut Marko. Doch der Fahrer ist nur ein Teil eines großen Struktur-Puzzles voller CEOs, Sportdirektoren, Executive Directors und technischer Leiter. Kaum ein Fan weiß tatsächlich, welche Person oder Aufgabe hinter den besagten Titeln steckt.

Doch für Ron Dennis ist diese Matrix-Struktur entscheidend für den Erfolg eines Rennstalls. Statt einer hierarchischen Struktur mit nur einem "Befehlshaber" an der Spitze baut McLaren seit Jahren auf Teamleistung. Mercedes setzt 2013 hingegen auf eine Konzernstruktur, die von einer technischen Kompetenz und einer kommerziellen Seite geleitet wird. In beiden Fällen ist entscheidend, dass die richtigen Leute an den richtigen Stellen sitzen. Ist das nicht der Fall, lässt sich nicht einmal mit einem Geldspeicher á la Dagobert Duck Erfolge in der Formel 1 erzielen.

Diese Lektion musste auch Budget-Riese Toyota lernen. "Die Japaner bringen den Kollegen die japanische Arbeitsweise nahe und die anderen erklären, wie man die Formel 1 am besten angeht", verriet Motorsport-Chef Tadashi Yamashina. Diese verworrenen Arbeitsvorgänge sorgten dafür, dass der Toyota Way, der sich dem Drang nach stetiger Fortentwicklung und Verbesserung verschrieb, in der Formel 1 kläglich scheiterte.

Faktor 4: Windkanal & Simulator

Der Windkanal entscheidet über die Performance, Foto: Sutton
Der Windkanal entscheidet über die Performance, Foto: Sutton

17 Meter hoch, 65 Meter lang, 50 Meter breit. Die elegante Glasfassade lässt nicht erahnen, dass sich in diesem Gebäude eine der Geheimwaffen im Kampf um wertvolle Zehntelsekunden verbirgt. Der Sauber-Windkanal gilt als einer der besten seiner Art und war auch der Geburtstort des überraschend starken C31 des vergangenen Jahres. Trotz Beschränkungen tüfteln die Topteams nahezu rund um die Uhr in ihren Windkanälen.

Wie wichtig die riesigen Gebläse für Erfolg in der modernen Formel 1 sind, zeigt dieses Beispiel: Mercedes rüstete seinen Windkanal während der letzten Saison auf 60-Prozentmodelle um - die Entwicklungszeit, die das Team dabei im Wettrüsten verlor, konnte es 2012 nicht mehr aufholen. Noch schlimmer erwischte es jedoch Ferrari: Die Scuderia wurde im zweiten Jahr in Folge von einer fehlerhaften Korrelation zwischen Windkanal und Rennstrecke eiskalt erwischt.

Das Ergebnis: Der F2012 war bei den ersten Tests mehr rote Gurke denn rote Göttin; die Updates brachten in der zweiten Saisonhälfte nicht die erwünschte Wirkung. "Wir hatten einen Frontflügel, der uns auf dem Prüfstand gute zwei Zehntel Zeitgewinn eingebracht hat", erinnert sich Fernando Alonso. "Wir haben ihn dann weiter getestet, mit an die Rennstrecke gebracht und dort war er auf einmal langsamer als die vorherige Spezifikation." Die Folge: Ferrari mietete sich im Toyota-Windkanal in Köln-Marsdorf ein. Dort wurde bis zur Neukalibrierung des eigenen Windkanals am 2013er Auto gebastelt.

Aber selbst modernstes Equipment ist kein Garant für Erfolge auf der Rennstrecke. Sonst hätte Virgin, heute Marussia, Technikchef Nick Wirth nicht mit virtuellen Peitschen aus der eigenen Fabrik gejagt. Der windkanallose, reine CFD-Ansatz des Briten scheiterte kläglich und bescherte Timo Glock in seinen ersten beiden Jahren mit dem Team etliche graue Haare. Windkanäle sind eben doch nicht nur viel Wind um nichts, Herr Wirth. Gänzlich nutzlos sind die Supercomputer dieser F1-Welt selbstverständlich aber auch nicht. Immerhin sind Albert und seine Nachfolger in Hinwil fast zu kleinen Berühmtheiten geworden und erweitern Teams wie Lotus nicht umsonst ihre Rechenzentren im Jahrestakt. Es kommt eben auf die richtige Mischung aus der virtuellen und der windigen Welt an.

Faktor 5: Mut

Sauber hatte den Mut, Kimi Räikkönen fahren zu lassen, Foto: Sutton
Sauber hatte den Mut, Kimi Räikkönen fahren zu lassen, Foto: Sutton

Unsummen an Geld - Check. Geniale Superhirne - Check. Hochmodernes Spielzeug - Check. Eigentlich kann dem Erfolg nun nichts mehr im Wege stehen, nicht wahr? Falsch gedacht. Nicht nur die Fahrer benötigen die viel zitierten 'dicken Eier', wenn sie neben einem Konkurrenten in Eau Rouge einbiegen, die Augen schließen und auf das Beste hoffen. Auch die Teams müssen hin und wieder ihren Mut unter Beweis stellen - sonst wird es nichts mit Erfolgen in der Königsklasse.

Wo wäre Red Bull heute, wenn Dietrich Mateschitz nicht einem relativ unbekannten Jungspund namens Christian Horner die Zügel seines Multi-Millionen-Dollar-Projekts in die unerfahrenen Hände gedrückt hätte? Wäre Williams 2012 auf die Siegerstraße zurückgekehrt, wenn Frank Williams sich von Mike Coughlans Spygate-Ruf hätte abschrecken lassen? Jede Personalentscheidung birgt Risiken in sich, fragen Sie Peter Sauber, der 2001 einem blutjungen Finnen, der gerade einmal 23 Autorennen in seinem Leben bestritten hatte, das Lenkrad zu einem Formel-1-Auto in die eiskalten Hände drückte. Für Sauber zahlte sich das Wagnis Kimi Räikkönen doppelt aus - in der bis dahin erfolgreichsten Saison der Teamgeschichte und einer astronomischen Ablösesumme von Ron Dennis.

Räikkönens heutiges Lotus Team hat in den vergangenen beiden Jahren auf technischer Seite vorgemacht, wie man Risiken bei der Fahrzeugentwicklung eingeht. 2011 entwarf das Team den nach vorne gerichteten Auspuff und feierte damit zu Saisonbeginn zwei unerwartete Podestplätze, im letzten Jahr entwickelte es ein neuartiges Doppel-DRS. Beide Male holte die Realität Lotus schnell ein: der Auspuff bot im Saisonverlauf nicht genügend Entwicklungspotenzial auf dem entscheidenden Gebiet des angeblasenen Diffusors und das Doppel-DRS kam nie zu einem Renneinsatz.

Dennoch ist es dieser Erfindergeist, der gerade dem Namen Lotus innewohnt - selbst wenn das Team nichts mehr mit Colin Chapmans Mannschaft gemein hat. Wer stets nur auf der sicheren Seite bleibt und sein Fahrzeug vor sich hinevolutioniert mag radikale Fehlgriffe vermeiden, kommt im Tausendstelkampf der Formel 1 aber auch nicht aus dem Mittelmaß heraus. Erfolg ist den Mutigen vorbehalten.

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