Verstehst du diese Formel 1 noch?
Marc Surer: Natürlich, es ist immer noch so: wer am schnellsten fährt, steht vorne. Heute gibt es nur mehr Ausreden. Aber da alles so eng ist, machen Kleinigkeiten viel mehr aus. Es wird alles auf die Reifen geschoben, aber die Reifen sind nicht schuld an großen Unterschieden. Wenn das ganze Feld innerhalb von ein paar Zehnteln liegt, verschiebt es sich sofort, wenn etwas nicht hundertprozentig stimmt.

Im einen Moment sieht es bei Vettel gut aus, dann geht plötzlich nichts mehr - umgekehrt verhält es sich bei Lewis Hamilton...
Marc Surer: Wenn man bedenkt, wie die Abstände früher waren, zu Michael Schumachers Ferrari-Zeit: Damals lag er trotzdem vorne, selbst wenn die Reifen nicht richtig funktionierten - so viel Vorsprung hatte Ferrari damals. Heute ist man dann gleich fünf, sechs Plätze weiter hinten. Darin liegt der große Unterschied. Die Reifen waren in der Formel 1 schon immer wichtig, sie mögen jetzt noch kritischer geworden sein, aber in Zeiten des Reifenkriegs war es so, dass man auf manchen Strecken mit dem einen Reifenhersteller gar keine Chance hatte. Demnach sollten wir froh sein, dass jetzt alle die gleichen Reifen und damit die gleichen Voraussetzungen haben. Was er daraus macht, liegt in seiner Hand - wie beim Pokerspiel.

Bist du von der Pole Position durch Lewis Hamilton überrascht?
Marc Surer: Hamilton hatte vorher schon gezeigt, dass er es drauf hat. Ich hatte jedoch gedacht, dass es zwischen Hamilton und Sebastian Vettel gehen würde.

War es die richtige Entscheidung von Vettel, keine Zeit zu setzen, um freie Reifenwahl zu haben?
Marc Surer: Wenn es kalt wird, nicht. Aber angesichts seiner Zeiten in den ersten beiden Sektoren wäre er auch nicht viel weiter nach vorne gekommen. Mehr als Platz sechs wäre also wohl eh nicht drin gewesen für ihn.

Was ist bei kalten Bedingungen im Rennen für Vettel drin?
Marc Surer: Dann hat Vettel schon verloren, denn nur wenn es heiß wird, lohnt es sich, mit den harten Reifen zu fahren und nur am Ende einmal kurz die weichen aufzuziehen. Wenn es kalt ist, muss er mit den weichen starten, da er sonst in den ersten Runden zu viel Zeit verliert.

Bringt das Reifensparen im Qualifying allgemein etwas?
Marc Surer: Die Antwort erhalten wir morgen. Ich würde mich aber wundern, wenn diese Taktik auf dieser Strecke aufgehen würde. Denn das Überholen ist trotz DRS-Zone relativ schwer. Wer hier vorne wegfahren kann, wird das Rennen kontrollieren - das ist eine gute Voraussetzung. Es würde mich wundern, wenn die Fahrer, die von weiter hinten starten, durch die frischen Reifen einen riesigen Vorteil hätten.

Mercedes hat beide Autos in den Top-10, aber weit weg von der Spitze...
Marc Surer: Eigentlich eine gute Vorstellung, allerdings hofft man bei ihnen nach dem Sieg in China immer, dass es wieder gehen würde. Morgen wird es kühler, das könnte ihnen helfen.

Lotus ist auch vorne dabei. Was traust du ihnen zu?
Marc Surer: Alles. Sie sind hier stark und waren bei den Volltanktests am Freitag extrem schnell unterwegs - sie können an der Spitze mitmischen.

Wer ist dein Tipp fürs Rennen?
Marc Surer: Geheimtipp ist Lotus, aber normalerweise sollte Lewis nach drei Pole Positions endlich einmal gewinnen. Allerdings ist es in dieser Saison gefährlich, an einen Sieger zu glauben.

Ist Williams auch für dich die große Überraschung?
Marc Surer: Williams hat schon ein paar mal Highlights gesetzt. Es war schon bei einigen Gelegenheiten zu erkennen, dass der Williams einen guten Grundspeed besitzt. Im ersten Rennen hat er mit Ferrari gekämpft, ist nur dummerweise abgeflogen, auch Bruno Senna hat in Malaysia und China gute Rennen gezeigt. Das Auto hat Potenzial, aber sie konnten es nicht immer abrufen. Jetzt scheinen sie es auch im Qualifying auf die Reihe zu bekommen. Vielleicht liegt es daran, dass sie hier im Winter getestet haben. Aber sie scheinen das Auto jetzt besser zu verstehen.