Zum Jahreswechsel waren Sie die Gejagten - Lotus und Virgin bliesen zum Angriff auf Toro Rosso. Daraus ist nichts geworden...
Franz Tost: Wir sind mit unserem Team plangemäß unterwegs. Sicherlich müssen wir auf Seiten der Infrastruktur noch einiges aufholen, das dauert bestimmt noch drei bis vier Jahre, aber unsere Fortschritte in den letzten beiden Saisons sind zufriedenstellend. Vor allem natürlich, weil sich mittlerweile auch halbwegs akzeptable sportliche Erfolge einstellen.

Wie kam es zur Leistungssteigerung im Vergleich zum Vorjahr?
Franz Tost: In der letzten Saison mussten wir zum ersten Mal mit unserem eigenen Auto antreten. Das war nach dieser recht abrupten Regeländerung ein schwieriges Unterfangen. Ursprünglich sah unsere Philosophie ganz anders aus: Als Dietrich Mateschitz bzw. Red Bull das Team kaufte, sollte es das Nachwuchsteam von Red Bull Racing sein, mit vier identischen Fahrzeugen im Einsatz. Beide Teams wurden vom Technologiezentrum in England mit Zeichnungen und Teilen beliefert - das funktionierte 2007, 2008 und 2009 sehr gut.

Danach kam die neue Reglementvorgabe, dass jedes Team sein Auto komplett selbst konstruieren müsse. Leider ist es nicht so einfach, ein Formel-1-Auto zu entwerfen. Das technische Know-how ist in der modernen Formel 1 extrem hoch. Zudem haben die meisten Teams eine sehr gut funktionierende Infrastruktur aufgebaut. Beides fehlte bei Toro Rosso. Wir mussten in Faenza ein Designbüro einrichten und dafür um die 40 Mitarbeiter einstellen. Parallel dazu bauten wir die Aerodynamikabteilung auf - bestehend aus CFD und Windkanal, und die Produktion.

Zu Beginn konzentrierten wir uns auf die Herstellung von Faserverbundteilen. Außerdem vergrößerten wir die Anzahl der Maschinen für den Modellbau. Dieser Aufbau ist ein Prozess, der viel Zeit in Anspruch nimmt. Jedes Glied muss optimal ins andere eingefügt werden. Deswegen hatten wir 2010 noch einige Probleme. Zudem waren auch unsere beiden Fahrer im letzten Jahr noch etwas unerfahren. Bei beiden Punkten sind wir in dieser Saison besser aufgestellt.

Wie sieht der aktuelle Stand in der Fabrik in Faenza aus?
Franz Tost: Wir haben eine vernünftige Basis gefunden. Um aber einen weiteren Schritt nach vorne zu machen, müssen wir noch mehr Mitarbeiter einstellen und Know-how ins Team holen.

Franz Tost steht in ständigem Kontakt mit den Kollegen von Red Bull, Foto: Sutton
Franz Tost steht in ständigem Kontakt mit den Kollegen von Red Bull, Foto: Sutton

Wie schwierig ist es, gutes Personal vom Standort Faenza zu überzeugen?
Franz Tost: Sie haben richtig erkannt, dass der Standort eine ganz entscheidende Rolle spielt. Die meisten erfahrenen Leute sitzen in England, haben dort ihre Familien und Kinder, die dort zur Schule gehen - sie sind natürlich nicht unbedingt daran interessiert, nach Faenza zu ziehen. Somit ist es ein recht schwieriges Unterfangen, die richtigen Leute zu finden und sie davon zu überzeugen, nach Italien zu kommen.

Setzen Sie deshalb - wie bei den Fahrern - auch bei den Ingenieuren auf jungen, frischen Wind?
Franz Tost: Der junge, frische Wind spielt bei uns sowieso eine große Rolle. Bei Toro Rosso sind sehr viele junge Leute angestellt, die sehr gute Arbeit leisten. Aber auch sie sind davon abhängig, was ihnen der Lehrer beibringt - deshalb würde es an der einen oder anderen Stelle sicherlich gut tun, wenn wir uns mit ein paar erfahrenen Leuten verstärken könnten.

Im Gegensatz zu anderen Teams, die wegen der Ressourcenbeschränkung Personal abbauen müssen, stellt Toro Rosso neue Leute ein und wächst. Bringt die Beschränkung für das Team überhaupt einen Vorteil?
Franz Tost: Nein, für Toro Rosso bringt sie keinen Vorteil. Wir haben vorher auf einem niedrigeren Niveau operiert, so dass es für uns teurer wird. Das Abkommen zur Ressourcenbeschränkung wurde ins Leben gerufen, um die Kosten in den Griff zu bekommen. Die Ursache für die hohen Kosten liegt in der Vergangenheit der Formel 1 und dem Engagement der Werke. In den letzten zehn Jahren ist die Mitarbeiterzahl der Teams so enorm angewachsen, dass man jetzt sagen musste: 'Man muss ein Formel-1-Team auch mit weniger als 700-800 Leuten betreiben können.' Das ist auch möglich. In meinen Augen sollte ein Team für das Chassis nicht mehr als 300 Leute und für den Motor nicht mehr als 100-150 Leute haben.

Wie sehr hat die Umstrukturierung in der Fabrik das Team abgelenkt und Prozesse beeinträchtigt, gerade weil die Weiterentwicklung heutzutage ja hauptsächlich in der Fabrik und nicht mehr auf der Teststrecke stattfindet?
Franz Tost: Es hat uns nicht direkt abgelenkt, aber die einzelnen Prozessabläufe waren nicht so optimiert, wie es die Formel 1 fordert, um erfolgreich zu sein. In solchen Phasen kommt es immer wieder mal zu Kommunikationsproblemen, das nimmt Zeit in Anspruch.

Wie stehen Sie generell zum Testverbot in der Formel 1?
Franz Tost: Das Testverbot ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits ist es für uns schlecht, weil wir keinen Simulator haben. Somit können wir viele neue Teile nicht vorher austesten und müssen das an den GP-Freitagen erledigen. Auch für unsere Fahrer würden sich Testfahrten positiv auswirken. Andererseits sind Testfahrten extrem teuer. Deshalb haben wir uns gegen eine Testerweiterung ausgesprochen es sprengt einfach unseren finanziellen Rahmen.

Mit Buemi und Alguersuari holte man 2011 P8 in der Konstrukteurs-WM, Foto: Sutton
Mit Buemi und Alguersuari holte man 2011 P8 in der Konstrukteurs-WM, Foto: Sutton

Die Fahrer werden immer jünger, sind aber trotzdem immer besser vorbereitet. Was muss ein junger Rennfahrer heutzutage für die Formel 1 an Fähigkeiten besitzen?
Franz Tost: Das Wichtigste für einen jungen Fahrer ist Talent. Punkt zwei ist die Leidenschaft. Es darf für einen jungen Piloten nichts anderes geben als die Formel 1. Der dritte Punkt ist Disziplin. Wenn man in der Formel 1 erfolgreich sein will, ist es unheimlich wichtig, dass man sehr diszipliniert lebt und sich sehr diszipliniert im Team verhält. Den letzten wichtigen Aspekt nenne ich Innovation. Jeder Fahrer muss Bereiche entdecken, in denen er sich gegenüber seinen Konkurrenten einen Vorteil erarbeiten kann. Wer diese Punkte richtig lebt, wird in der Formel 1 auch Erfolg haben.

Wie stufen Sie die beiden Toro-Rosso-Piloten diesbezüglich ein?
Franz Tost: Wir sind mit den Fortschritten unserer Fahrer zufrieden, sie leisten beide gute Arbeit. Zudem haben wir im Red-Bull-Fahrerpool auch noch Daniel Ricciardo, der momentan Formel-1-Erfahrung bei HRT sammelt, sowie Jean-Eric Vergne, der in der Renault World Series fährt und ebenfalls sehr talentiert ist. Ich freue mich schon darauf, irgendwann mit beiden zusammen zu arbeiten.

Jaime Alguersuari sagt selbst: er sei noch zu jung und unerfahren bei seinem GP-Debüt gewesen. Gibt es für die gut ausgebildeten Nachwuchsfahrer der heutigen Zeit so etwas wie "zu jung"?
Franz Tost: Die Formel 1 ist für jeden Fahrer eine riesige Herausforderung. Somit ist es für jeden "zu früh". Natürlich wäre es bei dem einen oder anderen Fahrer vielleicht besser gewesen, noch ein Jahr zu warten, aber solche Möglichkeiten bieten sich nicht immer. Bei Jaime Alguersuari war es so, dass wir mit einem der Einsatzfahrer nicht zufrieden waren und Jaime war der nächstbeste Red-Bull-Juniorfahrer, dem man dann diese Chance gegeben hat. Bis dato hat er das gerechtfertigt und eine gute Leistung abgeliefert.

Ähnlich sieht es für Daniel Ricciardo bei HRT aus.
Franz Tost: Genau, er hat in diesem Jahr mit Freitags-Testfahrten bei uns im Team begonnen und erhält jetzt die Gelegenheit, das gesamte Wochenende zu fahren und nicht nur eineinhalb Stunden am Vormittag. Das ist auf alle Fälle eine wesentlich umfangreichere und bessere Vorbereitung für ihn, als bei uns nur am Freitag zu fahren. Somit ist es eine sehr gute Lösung.

Daniel lernt also selbst bei einem kleinen Team wie HRT am Ende des Feldes mehr, als wenn er nur im Simulator testen, am Freitag fahren und in den Briefings zuhören würde?
Franz Tost: Natürlich, die Rennerfahrung ist das absolut Wichtigste. Je mehr Rennen er fahren kann, desto größer wird sein Erfahrungsschatz für die Zukunft. In den ersten drei, vier Rennen musste er sich eingewöhnen, aber danach erwarte ich schon, dass er zu seinem Teamkollegen Tonio Liuzzi aufschließt und er ihn spätestens am Ende der Saison im Griff hat.

Sternstunde: Vettels Monza-Sieg 2008 ist nicht vergessen - doch Tost will mit Toro Rosso nach vorne blicken, Foto: Sutton
Sternstunde: Vettels Monza-Sieg 2008 ist nicht vergessen - doch Tost will mit Toro Rosso nach vorne blicken, Foto: Sutton

Sie haben als Ziel für Toro Rosso festgelegt, eines Tages Erfolg haben zu wollen. Was ist in Ihren Augen ein Erfolg für dieses Team?
Franz Tost: Für dieses Jahr ist das klar definiert: der achte Platz in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft. Wie Sie am Anfang erwähnt haben, wollten uns vor Saisonbeginn alle schlagen - momentan sind sie aber hinter uns und ich hoffe, dass das so bleibt. Nächstes Jahr werden wir uns ein neues Ziel setzen. Um das festzulegen, müssen wir abwarten, wo wir stehen und wer für uns fährt. Im Normalfall sollte man sich nach vorne orientieren, das bedeutet, wenn wir in diesem Jahr Achter werden, sollte es in der nächsten Saison ein siebter oder sechster Platz werden. Wir müssen uns Jahr für Jahr weiter verbessern und das Team in allen Bereichen stabilisieren, bis wir zu den besten vier oder fünf Teams gehören.

Der Blick ist in der Formel 1 immer nach vorne gerichtet, aber schleichen sich manchmal doch noch Gedanken an Monza 2008 ein?
Franz Tost: Die Gedanken an Monza schleichen sich immer ein, allerdings nur auf das nächste Rennen in Monza bezogen. Die Vergangenheit ist vorbei - dafür kann man sich nichts mehr kaufen.

Das Interview mit Franz Tost stammt aus der Printausgabe des Motorsport-Magazins. Mehr Technikhintergründe, Interviews und Reportagen lesen Sie im Motorsport-Magazin - im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder am besten direkt online zum Vorzugspreis bestellen: