Pro: Nur Risiko bringt Vorteile

von Falko Schoklitsch

Wann hat im Motorsport zum letzten Mal jemand gewonnen, der nie etwas riskiert hat? Wahrscheinlich noch nie, außer es gab einmal ein Rennen, bei dem alle ausfielen, bis auf den Einen, der im Schneckentempo einfach nur ins Ziel gefahren ist - wobei man schon ein Risiko eingeht, wenn man im Schneckentempo zusammen mit Vollgas-Rasern unterwegs ist. Gerade in der Formel 1, wo jede gewonnene Hundertstelsekunde teuer erkauft wird, ist ein Zeitgewinn durch eine einfache Setup-Umstellung beinahe Gold wert.

So gesehen musste Red Bull in Spa ja schon beinahe versuchen, mit dem seiner Meinung nach performancetechnisch idealen Radsturz zu fahren. Und es ist nicht so, dass man das auf die leichte Schulter genommen hätte. Gerade ein Adrian Newey, der heute noch am Tod von Ayrton Senna zu knabbern hat, denkt sicher zehn Mal nach, bevor er seine Fahrer zu viel Risiko aussetzt. Ja, er hat zugegeben, sich Sorgen gemacht zu haben, aber wenn er den Start mit dem Qualifying-Setup für zu gefährlich gehalten hätte, dann hätte er ihn auch nicht erlaubt.

Die Reifen am RB7 hielten, Foto: Sutton
Die Reifen am RB7 hielten, Foto: Sutton

So aber fuhr Red Bull zu einem 1-2-Sieg, beide Autos kamen heil ins Ziel und die Leistung war noch dazu deutlich besser als bei der Konkurrenz. Was soll also Red Bull falsch gemacht haben, außer dass es am Sonntagmorgen wieder den üblichen medialen Wirbel gab, weil die Vorderreifen im Qualifying Blasen geworfen hatten? Es war ja nicht so, dass der österreichische Rennstall alleine betroffen war, auch bei Lewis Hamilton und Jaime Alguersuari hatten die Reifen schon im Qualifying gelitten, obwohl man sich dort an die Vorgaben von Pirelli bezüglich des Radsturzes gehalten hatte.

Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände, die überhaupt erst zu dem Dilemma führte. Verregnete Trainings, dadurch vor dem Qualifying kaum Erfahrung mit Trockenreifen und dadurch eine kleine Überraschung. Trotzdem haben alle, nicht nur Red Bull, vor dem Rennstart sichergestellt, dass es kein zu großes Risiko ist. Red Bull war vielleicht etwas extremer unterwegs, aber im Motorsport zählt eben jede Hundertstel. MotoGP-Fahrer Colin Edwards meinte dazu zuletzt so passend: "Es geht kein Wochenende vorbei, an dem ich nicht mehr Risiken nehme als ich will. Aber wenn man diese Risiken nicht mehr nimmt, dann macht es keinen Sinn. Man muss pushen, damit man dranbleibt."

Contra: Mit der Gesundheit der Fahrer gespielt

von Stephan Heublein

Am Ende konnten Sebastian Vettel und Mark Webber lachen – doch es hätte ganz anders ausgehen können. Technikchef Adrian Newey war nach der Zieldurchfahrt anzumerken, welche Last von seinen Schultern genommen wurde. Der Brite macht sich während des Rennens unheimlich Sorgen, ob die Reifen seiner Autos halten und die Piloten sicher ins Ziel bringen würden – immerhin hat der ehemalige Williams-Chefdesigner schlechte Erinnerungen an einen Unfall in einem seiner Autos in Imola 1994...

Adrian Newey war in Spa äußerst nachdenklich..., Foto: Sutton
Adrian Newey war in Spa äußerst nachdenklich..., Foto: Sutton

Die Entscheidung von Red Bull, sich über den vorgeschlagenen Sturzwert von Pirelli hinwegzusetzen, obwohl wegen der verregneten Trainings nicht genügend Informationen unter trockenen Bedingungen gesammelt werden konnten, war mehr als riskant – sie war sogar gefährlich, wie Neweys Reaktion bewies.

Nicht umsonst versuchte das Team vor dem Rennen mit aller Macht den Einsatz neuer Reifen durchzuboxen. Doch die FIA blieb hart, die Alternative wäre ein Setupwechsel und damit verbunden ein Start aus der Boxengasse gewesen – das wollte Red Bull nicht, schließlich sollte der erste Sieg seit Valencia her. Auch die Fahrer selbst bevorzugten das Risiko gegenüber der Vernunft: Sebastian Vettel wollte unbedingt zum ersten Mal in Spa gewinnen und Mark Webber die Chance nutzen, um Punkte in der WM gutzumachen. Dabei scheint die Sicherheit in die zweite Reihe gerückt zu sein.

Red Bull hätte es sich wohl sogar leisten können, aus der Boxengasse zu starten – mit frischen Reifen, einer anderen Strategie und konstanten Rundenzeiten ohne dem Fuß auf der Bremse wäre selbst von dort noch ein Podestplatz im Bereich des Möglichen gewesen. Immerhin fuhr Michael Schumacher mit einem weniger konkurrenzfähigen Silberpfeil von Startplatz 24 auf 5 nach vorne.

Aber wie so oft im Motorsport zählte nicht die Vernunft. Diesmal ist es gut gegangen. 2005 in Indianapolis siegte die Vernunft der Michelin-Teams, nicht am Rennen teilzunehmen. Ein Unfall in Eau Rouge oder Blanchimont hätte aber ähnlich schlimme Folgen haben können wie damals einer im berüchtigten Turn One. Bei Webbers Manöver gegen Fernando Alonso eingangs der Senke hielt die F1-Welt den Atem an – nicht auszudenken, was ein Reifenschaden in diesem Moment bewirkt hätte. Und das völlig unnötig.