Die Kollision zwischen den beiden Ducati-Starpiloten Marc Marquez und Francesco Bagnaia in der drittletzten Runde des Portugal Grand Prix bleibt im MotoGP-Paddock das Gesprächsthema Nummer eins. Während der Gresini-Neuzugang die Schuld am Sonntag seinem Kontrahenten in die Schuhe schob, wähnte sich Bagnaia auf einer Wellenlänge mit den MotoGP-Stewards, die nach hinlänglicher Untersuchung auf einen 'Racing Incident' entschieden hatten. Doch nicht nur die beiden Weltmeister waren am Sonntag unterschiedlicher Meinung, auch zahlreiche aktuelle und ehemalige MotoGP-Rennfahrer kommen nicht auf einen grünen Zweig. Wer war wirklich schuld an der Kollision? Oder war es doch einfach nur ein Rennunfall?

Eine der ersten Analysen des Zwischenfalls lieferte am Sonntag Ex-500ccm-Rennsieger und MotoGP-Experte Simon Crafar bei 'After The Flag' auf 'MotoGP.com'. Der Neuseeländer beschrieb dort: "Ich wäre sehr überrascht, wenn etwas dabei herauskommen würde [Untersuchung der Stewards, Anm.]. Beide Fahrer probieren es einfach. Marc hat eine andere Linie gewählt, um vorbeizukommen und im Kurvenausgang dann erneut, dadurch hat er Peccos Linie zweimal gekreuzt und es kam zum Kontakt. Wenn Marc etwas mehr Raum gelassen hatte, wären beide durchgekommen, aber ich bezweifele, dass das genug für einen Schlag auf den Kopf ist. Das ist einfach einer dieser Vorfälle."

Marc Marquez überzeugt: Bagnaia schuld an Portimao-Crash (06:16 Min.)

Pol Espargaro verteidigt Marquez: Bagnaia muss mehr Raum lassen

Hätten die MotoGP-Stewards also eine Strafe ausgesprochen, hätte diese Crafars Meinung nach sogar auf das Konto von Marquez gehen sollen, da sich dieser auf der Außenbahn befand und hätte ahnen müssen, dass Bagnaia innen durchstechen würde und folglich mehr Platz für den Ducati-Werkspiloten lassen müssen. Eine Aussage, mit der Crafar aber ziemlich alleine darsteht. Rennsieger Jorge Martin ließ ebenfalls bei 'After The Flag' durchklingen, dass er die Schuld eher bei WM-Rivale Bagnaia sieht: "Das ist eine ziemlich schwierige Kurve und wenn man dort kontern will, wird es immer sehr eng. So kam es dann auch."

Noch deutlicher wurde Ex-GasGas-Pilot Pol Espargaro, der seit dieser Saison neben seiner Testfahrerrolle bei KTM auch als Experte beim spanischen MotoGP-Broadcaster 'DAZN' im Einsatz ist. Dort analysierte er: "Ich denke, dass Marc überholt hatte und in Front lag. Daher ist Pecco Bagnaia derjenige, der zurückschlagen will und erkennen hätte müssen, wo der andere Fahrer ist. Marc konnte nicht sehen, was Pecco macht. Marc hängt neben dem Motorrad, Pecco kommt von hinten. Natürlich kann auch Pecco Marc nicht sehen, aber er muss antizipieren, dass Marc so fahren wird und muss ihm daher mehr Raum lassen."

Espargaro weiter: "Das Problem ist, dass diese Kurve ein spezielles Banking hat, was es ihm nicht wirklich erlaubt, Platz für Marc zu lassen und das führt letztlich zum Kontakt. Trotzdem finde ich ehrlicherweise, dass Marc dort wenig tun konnte. Es stimmt, dass Marc etwas weitging, aber er hat die Position recht gut gehalten. Pecco war derjenige, der sich die Position innen zurückholen wollte. Das hat zum Kontakt und zum Sturz geführt. Daher ist Pecco der einzige, diesen Vorfall verhindern hätte können."

Marc Marquez und Francesco Bagnaia landeten durch die Kollision beide im Kiesbett, Foto: LAT Images
Marc Marquez und Francesco Bagnaia landeten durch die Kollision beide im Kiesbett, Foto: LAT Images

Jorge Lorenzo kritisiert Bagnaia: Hätte Position aufgeben sollen

Zustimmung erhielt Espargaro von Jorge Lorenzo, der ebenfalls für 'DAZN' als Experte tätig ist. Der dreimalige MotoGP-Weltmeister argumentierte: "Ich denke, dass beide das gleiche wollten: Vor dem anderen aus der Kurve herauszukommen. Marc ging etwas weit und wollte zurückkommen. Pecco war daher der Einzige, der die perfekte Sicht hatte. Er nutzte die Lücke, die Marc beim Bremsen hinterlassen hat, um schnell innen durchzustechen und das Gas zu öffnen. Ich glaube daher, dass Pecco die Position an Marc hätte aufgeben können."

Letztere Aussage erklärt Lorenzo wie folgt: "In einem solchen Fall wäre es sinnvoll, Einblick in die Daten zu erhalten, um zu sehen, was Pecco genau getan hat. Wenn seine Intention nämlich war, in diesem Moment zu beschleunigen und Marc zu überholen, wäre das meiner Meinung nach unangemessen von Pecco und die Schuld wäre seine. Es sollte keine Strafe geben, weil kein Fahrer einen eindeutigen Fehler gemacht hat. Aber Marc verdient ganz sicher keine Strafe, weil er nur getan hat, was er tun musste. Und das war zurückzukommen, wieder auf seine Linie zu kommen."

Marc Marquez nach seiner Kollision mit Francesco Bagnaia in Portimao
Marc Marquez nahm das Rennen nochmal auf, wurde aber nur 16., Foto: Gresini

Alex Hofmann deutlich: Sinnbild für Rennunfall

An dieser Stelle muss natürlich auch erwähnt werden, dass sowohl Espargaro als auch Lorenzo ehemalige Honda-Teamkollegen von Marquez sind und ebenfalls aus Spanien stammen. Daher ist vielleicht nicht vollständige Objektivität gegeben. Ganz anders sieht das bei ServusTV-Experte Alex Hofmann aus. Der Deutsche vertrat am Sonntag eine klare Meinung: "Das war kein glorreiches Manöver von Marc Marquez, aber auch keine glorreiche Reaktion von Bagnaia. Zwei harte Manöver, aber nicht unfair oder über dem Limit. Dadurch kommt es dann halt zum Kontakt. Wenn es ein Sinnbild für einen Rennunfall gibt, dann das. Das passiert eben, wenn zwei Dickköpfe aneinander reiben."

Hofmann stimmt also mit der Entscheidung der Stewards überein und hat folglich wenig Verständnis für Marquez' Schuldgesuche bei Bagnaia. Gleiches gilt auch für Ex-MotoGP-Pilot Loriz Baz, der 2021 im Rahmen der Superbike-Weltmeisterschaft in einen ähnlichen Vorfall verwickelt war. Bei der Plattform 'X' antwortete er auf einen Post von MotoGP-Journalist Simon Patterson: "Ich stimme dir zu 100% zu. 2021 ist mir dort in Race 2 das Gleiche passiert. Bautista hat mich überholt, ist weitgegangen und dann kam es zum Kontakt, weil niemand den anderen sehen konnte! Trotzdem ist er danach zur FIM gegangen und hat gewonnen. Es war aber zu 100% ein Rennunfall."

Was denkt ihr: War es ein Rennunfall? Gebt ihr Marc Marquez recht? Oder liegt die Schuld sogar beim Gresini-Piloten selbst? Lasst es uns in den Kommentaren wissen!