KTM bestreitet 2023 bereits seine siebte Saison in der Königsklasse des Motorradsports. Eine Zeit, geprägt von ständigen Ups und Downs. Auf die ersten Lehrjahre folgte ein Hoch in der stark verkürzten Corona-Saison 2020 und der ersten Hälfte des Folgejahres. Fortan stagnierte das österreichische MotoGP-Projekt ergebnistechnisch aber wieder. Ein dauerhafter Anschluss an die arrivierten Hersteller wollte einfach nicht gelingen. Das hat sich 2023 geändert. KTM mischt Wochenende für Wochenende an der Spitze mit. Den Kinderschuhen ist das Team entwachsen und im Konzert der ganz Großen angekommen. Das Motorsport-Magazin forscht im orangen Lager nach den Ursachen für den Durchbruch.

Die Struktur

Mit seinen sieben Jahren in der MotoGP liegt der Erfahrungsschatz von KTM weit hinter dem der Konkurrenz zurück. Honda und Yamaha sind seit der Umstellung der Königsklasse auf das Viertaktreglement mit dabei und somit seit 22 Jahren engagiert, Ducati stieß ein Jahr später hinzu und selbst Aprilia kommt bereits auf zwölf Saisons (2000 bis 2004 und 2015 bis heute). Vom Einstieg im Jahr 2017 an kämpfte KTM also ständig darum, den Vorsprung seiner Rivalen zu verkleinern und im Idealfall irgendwann auszulöschen. Eine Mammutaufgabe, für die das Team rund um Motorsportchef Pit Beirer aber nie den Weg des geringsten Widerstands wählte.

Pit Beirer leitet seit dem MotoGP-Einstieg 2017 das KTM-Projekt., Foto: LAT Images
Pit Beirer leitet seit dem MotoGP-Einstieg 2017 das KTM-Projekt., Foto: LAT Images

Man beschritt eine völlig andere Route als die Konkurrenz, setzte auf die zur Firmenidentität gehörenden Stahlrahmen anstatt Aluminium-Chassis' und auf Fahrwerkskomponenten des hauseigenen Subunternehmens WP Suspension anstatt auf die von Branchenprimus Öhlins. KTM musste sich so sämtliche Fortschritte völlig neu erarbeiten und konnte nicht auf Erfahrungswerte anderer Hersteller zurückgreifen. Das machte eine gewaltige Schlagzahl in der Entwicklung neuer Teile nötig und bedeutete ein dementsprechend umfangreiches Testprogramm für die Einsatzfahrer - auch an Rennwochenenden. Diese Entwicklungsarbeit parallel zur Zeitenjagd im Training leisten zu müssen verlangte Piloten und Teams alles ab. Vor allem die Fahrer fühlten sich überfordert.

Zur Saison 2022 entschied man sich deshalb für eine strategische Umstrukturierung. Mike Leitner, der im Aufbau des Projekts und der Führung des Teams seit 2015 ein extremes Arbeitspensum abgespult hatte, nahm seinen Hut. An seine Stelle traten gleich zwei Personen: Francesco Guidotti wurde von Pramac Racing geholt und kümmerte sich fortan ausschließlich um das Team-Management. Fabiano Sterlacchini, der zuvor bei Ducati als rechte Hand von Mastermind Gigi Dall'Igna galt, übernahm als 'Technical Director' den technischen Part. Durch diese Arbeitsteilung sollte bereits eine bessere Vorauswahl getroffen werden, ehe den Einsatzfahrern Entwicklungsaufgaben übergeben wurden.

Nach der Saison 2021 wurde Mike Leitner ersetzt., Foto: KTM
Nach der Saison 2021 wurde Mike Leitner ersetzt., Foto: KTM

"Je näher man der Spitze kommt, desto größer wird auch die Gefahr, dass ein Update nicht funktioniert. Man kann sich leichter verrennen und muss vielleicht zehn Dinge ausprobieren, bis eines davon funktioniert", erklärt Sebastian Risse im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. Der Deutsche trägt als 'Project Manager MotoGP Race Team' die technische Verantwortung für die Aktivitäten des Rennstalls, definiert Entwicklungsziele, überblickt die Datenanalyse an der Rennstrecke, koordiniert das Zusammenspiel aus Motor, Chassis und Elektronik sowie die Zusammenarbeit zwischen dem Team an der Strecke und der Fabrik.

"Wir haben versucht, diese Entwicklungsarbeit etwas aus dem normalen Rennbetrieb herauszunehmen und systematischer, wissenschaftlicher und analytischer zu gestalten. Das hat zu Beginn für Verzögerungen gesorgt, weil die Prozesse einfach länger gedauert haben. Jetzt sind wir aber an einem Punkt angekommen, an dem wir eine ähnliche Schlagzahl wie in der Vergangenheit durch einen neuen Prozess mit einer besseren Erfolgsquote vereinen konnten. Diese Ergebnisse bringen uns aktuell weiter."

Zustimmung gibt es von Motorsportchef Pit Beirer: "So ein MotoGP-Projekt ist brutal komplex, aber wir haben vor etwa einem Jahr ein paar Dinge umgestellt, für die wir jetzt die Früchte ernten, weil wir nun über ganz andere Möglichkeiten und vor allem eine bessere Datenbasis verfügen. Ich glaube, dass wir mit unserem Projekt jetzt in die zweite Phase gehen, wo wir an Details arbeiten können. Früher hat uns dafür einfach die Zeit gefehlt und wir hatten auch nicht die nötigen Leute an Bord. Menschen wie Mike Leitner haben den Grundstein gelegt. Ohne sie wären wir nicht hier. Wir haben uns über die Jahre hinweg aber immer wieder verändert."

Die Technik

Mit den erwähnten strukturellen Anpassungen schaffte es KTM, erstmals seit 2020 wieder ein konstant konkurrenzfähiges Motorrad zu bauen. Einzelne starke Rennwochenenden gab es auch in den letzten Jahren, doch zu oft konnte die RC16 bei gewissen Bedingungen oder auf speziellen Streckenlayouts nicht mit den besten Motorrädern mithalten. Das scheint 2023 der Vergangenheit anzugehören. Vom Saisonstart in Portimao über Termas de Rio Hondo, Austin, Jerez und Le Mans zählte die KTM stets zu den stärksten Maschinen im Feld.

Eine Entwicklung, die sich so in den Wintertestfahrten noch nicht abzeichnete. Da waren Brad Binder, Jack Miller und Co. meist weit unten in den Ergebnislisten zu finden. Die klar zu erkennbaren Veränderungen an Rahmen und Motor schienen der orangen Rennfraktion Probleme zu bereiten. Team-Manager Francesco Guidotti gestand nach Abschluss der Testfahrten sogar, dass man möglicherweise zu große Erwartungen in das neue Motorrad gesetzt hatte.

Eine Vermutung, die sich aber nicht bewahrheiten sollte. Als der Rennbetrieb Fahrt aufnahm, war KTM zur Stelle. "Wir hatten bei den Wintertests wirklich Probleme, weil wir mit Jack Miller, Pol Espargaro und Augusto Fernandez drei neue Fahrer in unser Projekt integrieren mussten", sagt Guidotti rückblickend. "Hinzu kamen neues Personal und eine geänderte Arbeitsweise. Es war nicht einfach, das alles an nur wenigen Testtagen (gerade einmal sechs Tage in Valencia, Sepang und Portimao hatten die MotoGP-Teams im Winter 2022/2023 zur Verfügung, d. Red.) unter einen Hut zu bekommen. Es scheint aber, als wäre uns das gut gelungen."

"Von den Ergebnissen bei den Testfahrten auf den Verlauf der Saison zu schließen, ist immer sehr schwierig", gibt Projektmanager Risse zu bedenken. "Ich glaube, dass wir ein Team sind, welches einfach Zeit braucht, um zu verstehen, welches Bike wir haben und wie wir es effektiv nutzen können. Deshalb bin ich mehr und mehr der Überzeugung, dass wir uns bei den Wintertests auf die einzelnen Schritte konzentrieren und sichergehen müssen, dass wir mit jedem Bauteil eine gewisse Verbesserung erzielen.

Es hängt auch viel von den Fahrern ab: Manche brauchen es, sich weit oben in der Zeitenliste wiederzufinden, andere überhaupt nicht. Brad Binder kennen wir schon gut genug, also haben wir ihn viel Entwicklungsarbeit leisten lassen und er konnte sich dementsprechend nicht so sehr auf Rundenzeiten konzentrieren. Jack Miller mussten wir diesbezüglich erst wieder richtig einschätzen. Er ist aber offensichtlich jemand, der diese Resultate in den Testfahrten überhaupt nicht braucht. Jack war schon bei den Wintertests sehr optimistisch und überzeugt davon, dass er mit diesem Motorrad gute Rennergebnisse erzielen kann. Das hat er jetzt bereits eindrucksvoll bewiesen."

Tatsächlich können sich die Resultate der KTM-Fahrer und ihrer GasGas-Kollegen im Kundenteam absolut sehen lassen. Brad Binder gewann im ersten Saisonviertel zwei Sprints. Er und Stallgefährte Miller schafften es auch bereits in Sonntagsrennen auf das Podium. In Le Mans sorgte Rookie Augusto Fernandez mit Platz vier im Grand Prix für ein erstes Ausrufezeichen. Lediglich Pol Espargaro, der sich am ersten Trainingstag in Portimao mehrere Frakturen zuzog und anschließend verletzungsbedingt ausfiel, blieb in diesem Zeitraum logischerweise ohne Erfolgserlebnisse.

In Argentinien raste Brad Binder zum Sprintsieg., Foto: MotoGP
In Argentinien raste Brad Binder zum Sprintsieg., Foto: MotoGP

Dass die KTM- und GasGas-Fahrer mit ihrer RC16 2023 regelmäßig Grund zum Jubeln haben, ist nicht bloß auf den reinen Speed des Motorrads zurückzuführen. "Ihr Motorrad erlaubt ihnen, im Rennen äußerst aggressiv zu fahren. Sie haben das Konzept des Reifens und wie du im Jahr 2023 Rennen fahren musst, besser verstanden. Gratulation an KTM, sie haben fantastische Arbeit geleistet", lobt etwa Aprilia-Pilot Aleix Espargaro. Und Yamaha-Mann Fabio Quartararo gerät beim Blick auf die RC16 regelrecht ins Schwärmen: "Es ist beeindruckend, wie dieses Motorrad gefahren werden kann. Das habe ich noch nie gesehen. Ich träume davon, ein solches Bike zu haben, mit dem ich mich hinter einem anderen Fahrer so bewegen kann und dabei nicht stürzte."

Die von Aleix Espargaro und Quartararo angesprochene Stärke der KTM im Rennbetrieb ist offensichtlich. In einer Ära der MotoGP, in der dichtes Verfolgen der Vordermänner und in weiterer Folge Überholen extrem schwierig geworden ist, scheint es der Motorsportabteilung in Munderfing gelungen zu sein, ein Motorrad für exakt diese Anforderungen zu bauen. "Wir versuchen natürlich, den Fahrern an jedem Grand-Prix-Wochenende ein Motorrad zu bieten, das ihnen in ihrer Rennsituation hilft. Das hat bislang sehr gut funktioniert", bestätigt Projektmanager Risse. "Was das Verhalten unseres Motorrads in einem Windschatten angeht, haben wir im Vergleich zum Vorjahr einen großen Schritt gemacht. Es fühlt sich nun im Slipstream eher besser als schlechter an, wodurch es für die Fahrer natürlich im Zweikampf wesentlich einfacher wird."

Ein großer Schritt, der wohl nicht zufällig zur Saison 2023 gelang. Denn im Bereich der Aerodynamik erhielt KTM in den letzten Monaten tatkräftige Unterstützung aus der Formel 1. Die Königsklasse auf vier Rädern führte 2021 eine Budgetobergrenze von 145 Millionen US-Dollar pro Team ein. In der Saison 2022 sollte dieser Betrag weiter auf 140 Millionen sinken, 2023 sollten sogar nur noch 135 Millionen erlaubt sein [die Inflation und diverse Ausnahmeregelungen sorgten jedoch dafür, dass die Budgetgrenze in der F1-Saison 2023 sogar deutlich anstieg]. Eine Beschränkung, die Rennställe zu Entlassungen und Umschichtungen des Personals zwingt, um Geld einzusparen.

Jack Miller vor Marco Bezzecch und Marc Marquez im Indonesien GP der MotoGP
Im Zweikampf können KTM-Piloten oft besser attackieren als die Konkurrenz, Foto: LAT Images

Red Bull Racing transferierte deshalb einige Ingenieure zum Schwesterunternehmen Red Bull Advanced Technologies. Dort wird an Fahrrädern, Segelbooten oder Hypercars gearbeitet - und nun auch an den durch Red Bull gesponserten MotoGP-Bikes von KTM. "Wir sind da wohl zur richtigen Zeit am richtigen Ort", sagt Teammanager Francesco Guidotti. "Wir arbeiten da wirklich mit den Allerbesten zusammen", bestätigt Motorsportchef Beirer. Und das macht sich bezahlt. Die KTM reagiert auf aerodynamische Turbulenzen - egal ob durch Wind oder die Verwirbelungen vorausfahrender Motorräder - deutlich weniger empfindlich als andere Maschinen, wie Neuzugang Miller erklärt: "Unser Bike verhält sich in diesen Situationen wirklich sehr gut. Als ich bei Ducati war, habe ich mir schon in der Box in die Hosen geschissen, wenn ich auf dem Monitor gesehen habe, dass starker Wind weht. Es war klar, dass wir da Probleme haben würden. Mit der KTM spürst du das aber viel weniger. Dieses Bike schneidet viel besser durch die Luft."

Die Fahrer sind so in der Lage, Rivalen dicht zu folgen und mit ihren Maschinen in den Bremszonen vergleichsweise einfach zu attackieren. Entscheidend dafür ist auch ein gutes Gefühl für das Vorderrad, welches sich im KTM-Lager immer wieder durch spektakuläre Slides am Kurveneingang zeigt. "Sliden an sich ist ja nicht schwer", schmunzelt Risse. "Das kann in der MotoGP jeder. Sliden und dann auch noch die Kurve zu kriegen ist schon wieder ganz etwas Anderes. Für solche Manöver brauchst du viel Vertrauen ins Vorderrad und ein Motorrad beziehungsweise eine Abstimmung, die es dir erlaubt, die Linie zu halten, wenn der Hinterreifen wieder Grip aufbaut. Das funktioniert aktuell sehr gut."

Binder und Miller zeigen oft spektakuläre Slides, Foto: LAT Images
Binder und Miller zeigen oft spektakuläre Slides, Foto: LAT Images

Einen großen Anteil daran hat definitiv das Fahrwerk der RC16, welches dem Fahrer schließlich die Einflüsse auf das Vorderrad bestmöglich vermitteln soll. Wie eingangs erwähnt setzt KTM hier auf Komponenten des hauseigenen Unternehmens WP Suspension, das direkt gegenüber des Rennsportzentrums im oberösterreichischen Munderfing beheimatet ist. Jack Miller, der zuvor bei Honda und Ducati sieben Jahre lang von Öhlins ausgestattet wurde, zeigt sich begeistert: "Die Arbeit mit WP war von Anfang an genial. Ich war gespannt, wie der Umstieg für mich sein würde, aber ich habe mich sofort pudelwohl gefühlt. WP verfügt über großartige Technik in ihren Fahrwerken. Sie befinden sich hier definitiv in einer Vorreiterrolle und die Tatsache, dass niemand außer uns ihre Teile verwendet, macht es natürlich umso besser."

Ausgestattet mit einer beeindruckenden Zweikampfstärke ist für KTM auch das für andere Hersteller so entscheidende Qualifying nicht derart prekär. "Wenn wir es ins Q2 schaffen, sind wir schon in einem Bereich, in dem wir zuschlagen können", analysiert Risse. Eine Startposition zwischen 1 und 12 ist also ausreichend. Grund dafür sind die hervorragenden Starts der RC16. Das Zusammenspiel aus Launch-Control und Holeshot-Device funktioniert hier 2023 besser als an jedem anderen Motorrad der Königsklasse und ermöglicht den Fahrern so regelmäßig beträchtliche Positionsgewinne auf den ersten Metern. "Das ist ein Gesamtpaket aus Setup und verschiedenen Komponenten des Motorrads wie Motor, Kupplung und Elektronik", gibt Sebastian Risse einen Einblick in die Blitzstarts der KTM-Maschinen. "Wir hatten schon immer gute Starts, aber dieses Jahr konnten wir noch einmal draufgelegen. Und das kommt eben nicht aus einem Bereich, sondern aus dem Zusammenspiel."

Insgesamt ergibt sich so ein äußerst schlagkräftiges Paket für die Fahrer: Gute Starts, Zweikampfstärke und ordentlicher Grundspeed. Brad Binder sieht aktuell die beste RC16 der Geschichte: "Ich sitze seit 2020 auf diesem Bike und es wird von Jahr zu Jahr besser. Dieses Jahr ist uns aber ohne Zweifel der größte Schritt in Richtung Spitze gelungen. Es ist ein fantastisches Motorrad, das dir als Fahrer jede Menge Vertrauen gibt." Und auch Miller bereut seinen Wechsel von Ducati zu KTM nicht: "Ich liebe dieses Motorrad und verstehe es immer besser. KTM zeigt extremen Einsatz und unterstützt uns Fahrer großartig. Der Wechsel war ein Risiko, aber es hat sich bezahlt gemacht. Im Vorjahr haben sich viele Piloten über dieses Motorrad beschwert, aber für mich fühlt es sich im Moment verdammt gut an."

Die Fahrer

Bei der Auswahl seiner MotoGP-Piloten machte KTM nicht immer die beste Figur. Zunächst setzte man zwei Jahre lang auf ein solides Duo mit Pol Espargaro und Bradley Smith. Für 2019 musste Smith seinen Platz aber räumen. KTM hatte sich Johann Zarco geangelt, der zuvor bei Tech3-Yamaha für Furore gesorgt hatte. Doch der Umstieg von der M1 auf die RC16 wurde für den Franzosen zum Albtraum. Er fand sich auf dem für ihn neuen Motorrad nie zurecht und verärgerte mit Schimpftiraden in Richtung der Maschine, welche in der TV-Übertragung zu hören waren, die KTM-Bosse.

Die hatten nach 13 von 19 Rennwochenenden genug gesehen. Zarco wurde vorzeitig entlassen. Auch die Fahrer im Tech3-Kundenteam haben oft nur eine geringe Haltbarkeitsdauer: Hafizh Syahrin musste ebenso nach einem KTM-Jahr in der MotoGP gehen wie Danilo Petrucci, Remy Gardner und Raul Fernandez. Iker Lecuona bekam zumindest zwei Jahre, war bei seinem Abgang in die Superbike-WM aber auch gerade erst 21 Jahre alt.

Tech3-Teamboss Herve Poncharal musste seine MotoGP-Plätze häufig umbesetzen., Foto: KTM
Tech3-Teamboss Herve Poncharal musste seine MotoGP-Plätze häufig umbesetzen., Foto: KTM

Nach all diesen Turbulenzen scheint KTM nun aber ein ideales Fahrerquartett gefunden zu haben. Brad Binder ist seit 2020 die Konstante im Werksteam und liefert seit jeher beeindruckende Leistungen ab. Mit Pol Espargaro durfte man 2023 eine der frühen Schlüsselfiguren des Projekts nach einem gescheiterten Honda-Gastspiel zurückbegrüßen. Teamkollege Augusto Fernandez macht sich als Rookie mit einer hervorragenden Mischung aus Gelassenheit und Eifer beliebt. Und mit Jack Miller hat man nicht nur einen etablierten MotoGP-Sieger an Bord geholt, sondern auch einen Mann, der fünf Jahre Erfahrung beim erfolgreichsten Hersteller der jüngsten Vergangenheit mitbringt.

Im Vorjahr bestand der gesamte KTM-Fahrerkader aus Piloten, die in der MotoGP nie ein anderes Motorrad als die RC16 bewegt hatten. Neue Ideen der Aktiven waren deshalb Mangelware. Miller liefert nun aber Insider-Wissen aus dem Ducati-Lager. "Wir haben es nicht nur geschafft, das Motorrad für ihn sehr gut herzurichten. Sein Fahrstil hilft uns auch extrem dabei, die anderen Fahrer zu unterstützen", bestätigt Sebastian Risse. "Jack ist ein Fahrer, der das Motorrad gerne selbst in der Hand hat, also weniger auf Elektronik setzt. Sein Input hat es uns ermöglicht, auch die anderen Fahrer in diese Richtung zu führen und ihnen zu zeigen, dass es Möglichkeiten gibt, das Motorrad auf eine andere Art zu kontrollieren. Er hatte in diesem Bereich bessere Werkzeuge zur Verfügung und ich glaube, dass wir es geschafft haben, diese Werkzeuge nun auch den anderen Fahrern näherzubringen."

Das Personal

Was Jack Miller für KTM auf Fahrerebene schafft, gelingt zahlreichen Personen auch im Ingenieursbereich: Wissen aus dem zuletzt so erfolgreichen Ducati-Lager zu KTM zu transferieren. Neben dem bereits erwähnten Technischen Direktor Fabiano Sterlacchini und Team-Manager Francesco Guidotti wurden zuletzt weitere wichtige Männer aus Borgo Panigale nach Munderfing gelotst. Alberto Giribuola arbeitete von 2016 bis 2021 als Crewchief von Andrea Dovizioso im Ducati-Werksteam und kümmerte sich im Vorjahr bei Gresini Racing um Enea Bastianini. Er ist nun als 'Performance Engineer' bei KTM tätig. Und Miller selbst nahm seinen Crewchief Cristhian Pupulin, der zuvor fast zwei Jahrzehnte für Ducati in der MotoGP tätig war, mit zum neuen Arbeitgeber.

Christian Pupulin arbeitete bereits mit Loris Capirossi im Jahr 2007., Foto: Ducati
Christian Pupulin arbeitete bereits mit Loris Capirossi im Jahr 2007., Foto: Ducati

Wissens-Erwerb mittels Personaltransfer ist im Motorsport ein probates Mittel, um das eigene Projekt voranzutreiben. Um diesen Schritt zu machen ist es aber nötig, falschen Stolz über Bord zu werfen. Das schafften vor allem die aktuell japanischen Hersteller Honda und Yamaha lange gar nicht und tun sich damit noch heute schwer. In Form ihrer derzeitigen MotoGP-Krisen bekommen die einstigen Dominatoren aus Fernost nun die Rechnung dafür präsentiert. Ein Fehler, den KTM nicht begeht. Der Weg des jüngsten Herstellers in der Königsklasse war stets von eigenen Ideen geprägt, wenn nötig holt man sich aber auch gerne Expertise von der Konkurrenz an Bord. Dieses Zusammenspiel aus Neuzugängen und der seit Jahren eingespielten Führungsebene rund um Motorsportchef Pit Beirer, Rundstreckenchef Jens Hainbach oder Projektleiter Sebastian Risse funktioniert aktuell ideal.

"Um in der MotoGP konkurrenzfähig zu sein, brauchst du extrem gute Leute und ich glaube, dass wir diesbezüglich eine echt einzigartige Qualität in unseren Teams haben", lobt Beirer seine Mannschaft. "Die Stimmung im Projekt ist besser als jemals zuvor und auf so einer positiven Stimmung kannst du dann Erfolge aufbauen. Unser Erfolg hat also sicher nicht nur technische Gründe. Da spielen auch menschliche Werte eine sehr große Rolle.

Valencia 2018 - Das erste KTM-MotoGP-Podium, Foto: LAT Images
Valencia 2018 - Das erste KTM-MotoGP-Podium, Foto: LAT Images

Das Testteam

Beeindruckende personelle Qualität kann KTM nicht nur im Technik- und Managementbereich vorweisen. Auch im Bereich des Testteams spielt man in einer eigenen Liga. Seit 2019 ist Dani Pedrosa der entscheidende Mann in der Weiterentwicklung der RC16. Einen Fahrer seines Kalibers kann kein anderer Hersteller in der MotoGP vorweisen.

Pedrosa gewann in der Königsklasse 31 Rennen, holte ebenso viele Pole Positions und stand 112-mal auf dem Podium. Seine Kollegen Michele Pirro (Ducati), Cal Crutchlow (Yamaha), Stefan Bradl (Honda) und Lorenzo Savadori (Aprilia) kommen zusammen gerade einmal auf drei Rennsiege, fünf Pole Positions und 20 Podiumsplatzierungen. Trotz dieser eklatanten statistischen Überlegenheit erntete KTM für die Verpflichtung Pedrosas als Testfahrer eine Menge Kritik. Seine selbst für MotoGP-Fahrer ungewöhnliche Statur mit nur 1,58 Metern Körpergröße und rund 50 Kilogramm Gewicht mache Pedrosa zu einem weniger relevanten Testpiloten, unkten manche Experten. Sein Feedback habe demnach für die im Schnitt deutlich größeren und schwereren Einsatzfahrer kaum Relevanz.

Kritik, die Pedrosa schnell wegwischen konnte. Seinen immer noch herausragenden Speed bewies er zuletzt beim Wildcard-Einsatz in Jerez mit Rang sechs im Sprint und Platz sieben im Rennen. Ein Beleg dafür, dass der mittlerweile 37-Jährige das Motorrad in den absoluten Grenzbereich bringen und so eine herausragende Qualität in seiner Testarbeit erzielen kann. "Dani leistet unglaubliche Arbeit", bestätigt Brad Binder. "Man darf nie vergessen, wie viele Rennen dieser Typ gewonnen hat. Er ist ein ganz besonderer Fahrer, von dem wir viel lernen können. Es ist ein großes Glück, ihn an Bord zu haben. Dani ist definitiv der beste Testfahrer, den man sich wünschen kann."

2023 bestritt Pedrosa zwei Wildcard-Einsätze, Foto: Tobias Linke
2023 bestritt Pedrosa zwei Wildcard-Einsätze, Foto: Tobias Linke

Da sich die Karriere von Mika Kallio, der Pedrosa im Testteam unterstützt, mit 40 Jahren langsam dem Ende zuneigt, hat KTM im vergangenen Herbst einen weiteren Coup gelandet. Jonas Folger wurde als Entwicklungsfahrer verpflichtet und kam beim Wintertest in Sepang zum ersten offiziellen Einsatz. Nur zwei Monate später kam er als Ersatz für den verletzten Pol Espargaro sogar schon zum ersten Renneinsatz und ging daraufhin auch in Jerez und Le Mans an den Start. Ein so nicht geplantes, schlussendlich aber für Fahrer und Hersteller positives Blitz-Comeback. "Das hat mich auf jeden Fall zu einem besseren Testfahrer gemacht, auch wenn es sich in der Zeitenliste vielleicht noch nicht so widerspiegelt", sagt Folger. "Ich habe sehr viel gelernt und jedes Wochenende hilft, um besser zu werden."

Dieser Artikel stammt aus unserer Print-Ausgabe Nummer 91. Hier kannst du dir unser neues Heft sichern!