Spitzensport ist Krieg ohne Schießerei, hat George Orwell gesagt. Selten war dieses Zitat treffender als in der MotoGP-Saison 2015. In einem Jahr, das von einem unglaublich spannenden Titelkampf zwischen Valentino Rossi und Jorge Lorenzo geprägt ist, kam es am Donnerstag in Sepang zum vorläufigen Höhepunkt der Auseinandersetzungen. Allerdings nicht zwischen Rossi und Lorenzo, sondern zwischen Rossi und Marquez. Den Repsol-Honda-Piloten bezichtig Rossi nämlich, Lorenzo in der Weltmeisterschaft zu helfen. "Seit Australien ist klar, dass Jorge in Marc einen neuen Unterstützer hat", meinte Rossi in der Pressekonferenz mit schelmischem Grinsen. Zu diesem Zeitpunkt schien die Ansage Rossis nicht besonders ernst gemeint, doch das sollte sich bald ändern.

Im Anschluss setzte Rossi nämlich zu einem verbalen Schlag gegen Marquez an, wie ihn in dieser Heftigkeit nicht einmal Rossis ehemalige Erzfeinde Max Biaggi oder Sete Gibernau hinnehmen mussten: "Marc will, dass Jorge gewinnt, weil er sauer auf mich ist. Das ist eine persönliche Angelegenheit seit Argentinien. Marc hat das nie offen zugegeben, aber er denkt, dass ich ihn mit Absicht zu Sturz gebracht habe. Dann kam auch noch Assen. Seiner Meinung nach wollte ich damals nur verhindern, dass er gewinnt. Seitdem steckt das in seinem Kopf und er denkt wie ein Kind: 'Ich werde zwar nicht Weltmeister, aber du sollst es auch nicht werden.' Jorge ist für ihn also das geringere Übel."

In Argentinien stürzte Marquez nach einer Kollision mit Rossi, Foto: motogp.com
In Argentinien stürzte Marquez nach einer Kollision mit Rossi, Foto: motogp.com

Doch wie kommt Rossi zu diesen Anschuldigungen, hatte Marquez Lorenzo doch in der letzten Runde auf Phillip Island noch den Sieg und somit fünf zusätzliche Punkte vor der Nase weggeschnappt. "Marc war im Renne eine Stufe über allen anderen, aber anstatt sich mit Jorge um den Sieg zu duellieren, hat er gegen mich und Andrea gekämpft. So hat er eine Lücke zu Jorge entstehen lassen. Sein Pech war, dass Jorge dieses Mal nicht so stark war, sonst wäre das Rennen ohnehin schon gelaufen gewesen. Dann hat er einfach darauf geachtet, in Schlagdistanz zu Jorge zu sein, um ihn am Ende noch schlagen zu können. Gleichzeitig hat er versucht, andere Fahrer zwischen Jorge und mich zu bringen. Das ist ihm am Ende ja auch gelungen", unterstellte Rossi Marquez reine Absicht.

Rossi wirft Marquez Unprofessionalität vor

Für diese angebliche Herangehensweise Marquez' zeigte Rossi absolut kein Verständnis: "Er hat nicht mit Jorge und mir gespielt, sondern nur mit mir. Mir ist wichtig, dass ihm klar ist, dass ich das weiß. Was er in Australien gemacht hat war nicht fair, so wie ich das von einem professionellen Piloten in so einer Situation erwarte. Das war sehr enttäuschend für mich. Ich habe schon länger erwartet, dass sich Marc auf Jorges Seite schlägt, aber nicht, dass er etwas so offensichtliches macht." Rossi befürchtet auch, dass Marquez weiter in den Titelkampf eingreifen wird. "Ich mache mir Sorgen, dass er es hier und in Valencia noch einmal machen wird. Das macht für mich alles sehr viel schwieriger, besonders wenn man bedenkt, dass Marc wahrscheinlich auch in den nächsten zwei Rennen sehr konkurrenzfähig sein wird. Wenn ich Jorge schlagen will, muss ich jetzt anscheinend gleichzeitig auch Marc schlagen", grübelte Rossi.

Schon am Abend direkt nach dem Rennen stellte Rossi Marquez aufgrund seines Rennens zu Rede. "Marc, du hast heute Jorge geholfen. Warum willst du, dass er Weltmeister wird?", fragte er seinen um 14 Jahre jüngeren Rivalen. Marquez beteuert, er habe Rossi darauf in Ruhe erklärt, dass er Probleme mit seinem Vorderreifen zu Schwankungen seiner Performance führten und er nicht mit den Gegner spielte. Bei dem Gespräch anwesende Personen berichten von einer sehr angespannten Atmosphäre und einem wütenden Rossi.

Rossi würdigte Marquez am Donnerstag keines Blickes, Foto: Milagro
Rossi würdigte Marquez am Donnerstag keines Blickes, Foto: Milagro

Die Beziehung der Beiden, die sich von einer Idol-Bewunderer-Konstellation zu einem freundschaftlichen Verhältnis gewandelt hatte, scheint nun in Abneigung umgeschlagen zu sein. Rossi stellt nun aber sogar die von Marquez immer wieder gelieferte Aussage, Rossi sei sein Idol gewesen, in Frage: "Achtung, hier müssen wir etwas klarstellen. Stimmt es, dass ich sein Idol bin? Stimmt es, dass er mein Poster in seinem Zimmer hängen hatte? Ich weiß es nicht, aber ich würde gerne eine Zeitreise machen und mir das ansehen."

Hat Marquez Angst, an Rossi zu zerbrechen?

Rossi glaubt, Marquez würde befürchten, die Rekord des Doktors nicht mehr brechen zu können, wenn dieser weiterhin erfolgreich unterwegs ist. "Marc wird ständig mit mir verglichen. Er will mich natürlich schlagen, was die Anzahl an Siegen oder Weltmeistertiteln angeht. Wenn ich jetzt wieder einen Titel hole, wird der Abstand zwischen uns noch einmal größer. Wenn Jorge gewinnt ist es nicht so schlimm, ihn wird er wohl früher oder später ohnehin einholen", überlegt Rossi.

Den absoluten verbalen Tiefschlag landete Rossi aber mit einem Vergleich zwischen Marquez und Max Biaggi. Rossi und Biaggi waren in den frühen 2000er-Jahren erbitterte Rivalen, es kam sogar zu einer Schlägerei zwischen den Beiden. Der Hass wurde offen zur Schau gestellt. Doch sogar Biaggi stehe menschlich noch eine Stufe über Marquez, ätzt Rossi: "Ich bevorzuge Max' Verhalten. Wir konnten uns nicht leiden, aber das war zumindest klar und ehrlich."