LMH, Hypercar, WEC, LMDh, GTP und IMSA: Was ein bisschen klingt wie ein bekannter Rap-Song der Fantastischen Vier Ende der 90er-Jahre, soll nichts weniger bedeuten als die Rückkehr zur Goldenen Ära des Langstrecken-Motorsports. Fans werden sicherlich eine Weile brauchen, um die neue Prototypen-Welt gänzlich zu verstehen, doch berühmte Namen wie Ferrari, BMW, Porsche oder Peugeot dürften dabei helfen.

Mit dem Schulterschluss zwischen WEC/Le-Mans-Veranstalter ACO, der FIA und der US-amerikanischen IMSA-Organisation soll es Autobauern möglich sein, mit Le-Mans-Hypercars (LMH) oder Le-Mans-Daytona-hybrid-Autos (LMDh) bei den wichtigsten Langstreckenrennen der Welt - allen voran den 24 Stunden von Le Mans und den 24h Daytona im Januar 2023 - um Gesamtsiege kämpfen zu können.

Die sogenannten Hypercars als Nachfolger der LMP1-Autos starten bereits seit 2021 in der Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC. Die Top-Kategorie der Prototypen lautet 'Hypercar' und wurde bislang nur von Toyota, Privatier Glickenhaus und einem ausrangierten Alpine-LMP1 vorangetrieben.

In der IMSA-Serie lösen unterdessen die LMDh-Autos ab 2023 die bisherigen DPi-Prototypen von Acura und Cadillac ab. Die Top-Klasse der US-Sportwagenmeisterschaft wird dann als 'GTP' (in Anlehnung an die 'Grand Touring Prototypes' von 1981 bis 1993) bezeichnet.

Beim 24-Stunden-Rennen von Daytona am kommenden Wochenende (28./29. Januar 2023) geben neun LMDh-Boliden von BMW, Porsche, Acura und Cadillac ihr mit großer Spannung erwartetes Renndebüt. Motorsport-Magazin.com liefert die wichtigsten Informationen zu allen Herstellern aus dem Reigen der LMDh- und LMH-Hersteller.

Hypercar vs LMDh-Boliden

Der Clou hinter der 2020 beschlossenen, weltweiten Sportwagen-Konvergenz: Per Balance of Performance sollen Hypercars und LMDh-Autos trotz unterschiedlicher Konzepte in einer gemeinsamen Klasse bei WEC- und/oder IMSA-Rennen gegeneinander antreten können. Bei Hypercars und LMDh-Autos darf deshalb die maximale Systemleistung (Verbrenner + Hybrid) zu keinem Zeitpunkt 500 kW (680 PS) überschreiten.

Herstellern steht es frei, ein Hypercar mit größeren technologischen Freiheiten sowie höheren Entwicklungskosten oder ein LMDh-Auto mit zahlreichen Einheitsbauteilen (Chassis, Hybridantrieb an der Hinterachse, Batterie, Getriebe) zu entwickeln. Hypercars können wahlweise nur über einen reinen Verbrennungsmotor oder mittels Hybridsystem an der Vorderachse (temporärer Allradantrieb ab 120 km/h) angetrieben werden. Die Wahl des Motors und des Hybridantriebes mit maximal 200 kW Output ist ebenso frei wählbar wie das Design des Chassis.

In der LMDh-Kategorie haben die Motoren-Ingenieure unter Berücksichtigung von Performance-Fenstern freie Hand in den Bereichen Hubraum, Bauform und Zylinderzahl. Die Höchstdrehzahl darf maximal 10.000 Umdrehungen pro Minute betragen und das Aggregat muss ein Mindestgewicht von 180 Kilo auf die Waage bringen. Das Mindestgewicht beider Fahrzeug-Klassen liegt bei 1.030 Kilogramm.

BMW - LMDh
24 Jahre nach dem einzigen Le-Mans-Sieg 1999 kehrt der Autobauer aus München mit Chassispartner Dallara in die Topklasse des Langstreckensports zurück - allerdings zunächst nur in der US-amerikanischen Sportwagenmeisterschaft IMSA. Erst 2024 gibt BMW sein Comeback beim 24-Stunden-Klassiker sowie in der WEC, die Einsätze führt dann der prominente Rennstall-Neuzugang WRT durch. Unter der Haube des BMW M Hybrid V8 werkelt tatsächlich ein 'alter' DTM-Saugmotor mit acht Zylindern, der in den Saisons 2017 und 2018 im BMW M4 DTM zum Einsatz gekommen war.

Der BMW M Hybrid V8 ist BMWs Flagschiff, Foto: BMW M Motorsport
Der BMW M Hybrid V8 ist BMWs Flagschiff, Foto: BMW M Motorsport

Aber: Für die Endurance-Einsätze haben die Ingenieure zwei Turbolader addiert und zahlreiche weitere Änderungen vorgenommen. "So ein Motor hat 3.900 Teile, 1.100 davon sind verschieden", rechnet der langjährige BMW-Motorenleiter Ulrich Schulz vor. "Für diesen Motor haben wir 420 neue Zeichnungen angefertigt." Beim IMSA-Debüt gehen für BMW die Werksfahrer Philipp Eng, Augusto Farfus, Nick Yelloly und Connor De Phillippi sowie Daytona-Unterstützung Colton Herta an den Start. Die DTM-Champions Sheldon van der Linde und Marco Wittmann stoßen bei großen US-Langstreckenrennen hinzu.

TeamFahrer
#24 BMW M Team RLLP. Eng / A. Farfus / M. Wittmann / C. Herta
#25 BMW M Team RLL C. De Phillippi / N. Yelloly / S. van der Linde / C. Herta

Porsche - LMDh
Der mit 19 Le-Mans-Siegen erfolgreichste Hersteller kehrt 2023 mit einem LMDh-Auto zurück in die Topkategorie der WEC inklusive des 24-Stunden-Klassikers. Zusammen mit US-Partner Penske engagiert sich Porsche parallel in der IMSA-Serie. Multimatic liefert die Chassis für die vier Werkswagen und weitere Kundenfahrzeuge von Proton oder JOTA. Nach der Projekt-Ankündigung im Dezember 2020 war Porsche der erste Hersteller, der seinen LMDh auf die Strecke brachte und federführend bei der Entwicklung des einheitlichen Hybridantriebes unterstützte.

Der Porsche 963 auf der Rennstrecke, Foto: Porsche AG
Der Porsche 963 auf der Rennstrecke, Foto: Porsche AG

Der Rennwagen hört auf den Namen Porsche 963, angelehnt an die Klassiker 956 und 962 aus den 80er-Jahren. Das Herz des Antriebs bildet ein 4,6 Liter großer V8-Biturbo. Die Grundlagen des Motors stammen aus dem damaligen Hybrid-Sportwagen 918 Spyder. Seine DNA reicht bis zum Rennwagen RS Spyder zurück, mit dem Porsche und das Team Penske von 2005 bis 2008 Erfolge feierten. Die Porsche-Werksfahrer für das ambitionierte WEC/IMSA-Programm 2023: Kevin Estre, Michael Christensen, Andre Lotterer, Laurens Vanthoor, Matt Campbell, Mathieu Jaminet, Dane Cameron, Felipe Nasr, Fred Makowiecki und Rückkehrer Nick Tandy.

TeamFahrer
#7 Porsche PenskeM. Campbell / F. Nasr / M. Christensen
#6 Porsche PenskeM. Jaminet / N. Tandy / D. Cameron

Acura - LMDh
Hondas US-Ableger Acura bleibt 2023 zunächst der IMSA treu und bringt mit dem LMDh-Boliden namens Acura ARX-06 einen Nachfolger für den aktuellen DPi-Prototypen ARX-05. Bei der Motorisierung sorgte Acura für eine faustdicke Überraschung: Beim Verbrennungsmotor haben sich die Ingenieure für einen V6-Twinturbo mit nur 2,4 Litern Hubraum entschieden. Nie zuvor hatte HPD, Honda Performance Development, einen derart niedrigvolumigen Motor für ein Langstreckenauto gebaut.

Der ARX-06 wird der Nachfolger des vorigen ARX-05 DPi, Foto: LAT Images
Der ARX-06 wird der Nachfolger des vorigen ARX-05 DPi, Foto: LAT Images

Im aktuellen DPi-Vorgänger arbeitet ein 3,5-Liter-V6-Twinturbo. Für den LMDh gibt es nun eine komplette Neuentwicklung, die im Chassis des langjährigen Partners Oreca ihren Dienst vollrichtet. Das Wissen aus der IMSA, Hondas Formel-1-Programm und aus der IndyCar-Serie soll laut Acura ins neue Prestige-Projekt eingeflossen sein. Der Hersteller vertraut in der LMDh-Ära weiter auf seine beiden aktuellen IMSA-Partnerteams Meyer Shank Racing und Wayne Taylor Racing.

TeamFahrer
#60 Meyer Shank RacingT. Blomqvist / C. Braun / H. Castroneves / S. Pagenaud
#10 WTR-AndrettiR. Taylor / F. Albuquerque / L. Deletraz / B. Hartley

Cadillac - LMDh
Hubraum-Monster auf Welttournee: Cadillac fährt wie Porsche schon 2023 zweigleisig und setzt seine LMDh-Boliden in der IMSA und WEC ein. Bei den 24h-Klassikern in Daytona und Le Mans könnten sogar jeweils drei der Cadillac V-LMDh an den Start gehen. Typisch amerikanisch setzt der US-Autobauer auf das Prinzip 'Hubraum ist King': Unter der Haube treibt ein komplett neuentwickelter 5,5-Liter-V8-Motor sein Unwesen zusammen mit dem Einheits-Hybridsystem.

Cadillac startet mit drei LMDh-Autos in Daytona, Foto: Cadillac
Cadillac startet mit drei LMDh-Autos in Daytona, Foto: Cadillac

Mit Dallara nutzt Cadillac den selben Chassispartner wie BMW. Beim ersten Le-Mans-Auftritt seit 2002 vertraut der Hersteller aus dem GM-Konzern auf das Chip-Ganassi-Trio Earl Bamber/Alex Lynn/Richard Westbrook. In der heimischen IMSA starten Sebastien Bourdais und Renger van der Zande (Chip Ganassi) sowie Alexander Sims und Pipo Derani (Action Express Racing).

TeamFahrer
#01 Chip Ganassi RacingS. Bourdais / R. van der Zande / S. Dixon
#02 Chip Ganassi RacingE. Bamber / A. Lynn / R. Westbrook
#31 Action Express RacingP. Derani / A. Sims / J. Aitken

Ferrari - LMH
Rund um Ferraris Rückkehr in die Topklasse des Prototypensports nach genau 50 Jahren herrschte höchste Geheimhaltungsstufe. Erst Ende Oktober präsentierten die Italiener ihren 499P, wobei die Zahl Ferrari-typisch auf das Hubvolumen der Einzelzylinder anspielt; multipliziert mit sechs, ergibt das drei Liter Hubraum im V6-Biturbo. Das 'P' steht wenig überraschend für Prototyp und erinnert an die historischen Sportwagen aus Maranello, mit denen Ferrari in den 50er- bis 70er-Jahren neun Le-Mans-Siege und 22 WM-Titel erzielte. Da sich Ferrari für den Bau eines reinrassigen LMH-Hypercars entschied, durften sich die Ingenieure sowohl im Bereich des Motors mit dem eigens entwickelten Hybridsystem samt 900-Volt-Batterie als auch bei der Aerodynamik innerhalb eines festgelegten Performance-Fensters austoben.

Der Ferrari 499P soll den Erfolg in der Langstreckenkategorie zurück nach Maranello bringen, Foto: LAT Images
Der Ferrari 499P soll den Erfolg in der Langstreckenkategorie zurück nach Maranello bringen, Foto: LAT Images

Dabei sind Anleihen aus der Formel-1-Abteilung deutlich sichtbar: Der geschwungene Frontflügel mit Verstellstreben als auch der Heckbereich mit gleich drei Flügelelementen erinnern an F1-Power unter abgespecktem Budget. Die mittige Cockpitkanzel des rot-gelben Boliden mit Farbschemen aus den 70ern ist für einen Prototypen enorm flach gestaltet und mündet in einer mit dem Heckflügel verbundenen Heckfinne samt massiver Airbox. Die schmalen Frontscheinwerfer und die offenen Radhäuser - wobei die Seitenkästen kompakt und geschlossen gestaltet wurden - machen den 499P auch optisch zu einem echten Ferrari. Für das WEC-Debüt im März 2023 auf der US-Buckelpiste Sebring wurde das Erfolgsteam AF Corse mit dem Renneinsatz beauftragt. Von möglichen IMSA-Einsätzen war bislang keine Rede.

Peugeot - LMH
Schon im November 2019 hatte Peugeot seine Rückkehr in die Langstrecken-Weltmeisterschaft bekanntgegeben und im September 2020 den Bau eines Le-Mans-Hypercars - damals noch mit Heckflügel - angekündigt. Dank zahlreicher Regeländerungen und der zwischenzeitlichen Erfindung der LMDh-Formel verschob sich das LMH-Projekt der Franzosen merklich, selbst für die 24 Stunden von Le Mans 2022 wurde es zu knapp. Stattdessen nutzte Peugeot die diesjährigen WEC-Rennen in Monza, Fuji und Bahrain zur Vorbereitung auf die erste volle Saison 2023.

Der bis 2025 homologierte Peugeot 9X8 kommt bekanntermaßen ohne Heckflügel daher und soll nächstes Jahr in der WEC erstmals in einen echten Konkurrenzkampf mit den Hypercars von Toyota, Glickenhaus und Ferrari treten. er von einem 2,6-Liter-Biturbo V6 und eigenem 200-kW-Hybridsystem angetriebene Prototyp soll Peugeot nach 1992, 1993 und 2009 den vierten Gesamtsieg beim Heimspiel in Le Mans bescheren. Mit dem zweifachen DTM-Vizemeister Nico Müller präsentierte der Hersteller einen adäquaten Ersatz für den eigentlich eingeplanten Formel-1-Rückkehrer Kevin Magnussen. Das Fahreraufgebot in den beiden Fahrzeugen komplettieren Paul Di Resta, Loic Duval, Mikkel Jensen, Gustavo Menezes und Jean-Eric Vergne. Peugeot will sich zunächst voll auf die WEC konzentrieren, bevor die Marke ein mögliches Doppelprogramm mit der IMSA evaluiert.

Peugeot bestreitet 2023 seine erste Vollzeit-Saison mit dem 9X8 in der WEC, Foto: LAT Images
Peugeot bestreitet 2023 seine erste Vollzeit-Saison mit dem 9X8 in der WEC, Foto: LAT Images

Lamborghini, Alpine und Co. - Wer noch kommt

Mit Schwergewichten wie BMW, Porsche, Ferrari oder Peugeot sieht die Zukunft der Langstrecke ohnehin rosig aus - und das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht! 2024 steigt mit Lamborghini eine weitere Traditionsmarke ein und startet mit LMDh-Kundenteams wie Iron Lynx parallel in der WEC sowie IMSA. An die Stelle des Lambo-üblichen V10-Saugmotors rückt ein 8-Zylinder-Doppelturbo in Kombination mit dem einheitlichen Hybridantrieb. Neben den bereits bestätigten Entwicklungsfahrern Mirko Bortolotti und Andrea Caldarelli gilt AMG-Ass Raffaele Marciello als heißer Kandidat für Einsätze im LMDh-Lamborghini mit Ligier-Chassis.

Zudem schickt sich mit Alpine ab 2024 echte Formel-1-Prominenz im Reigen der zahlreichen LMDh-Hersteller an. Die Franzosen peilen ebenfalls ein Doppelprogramm in beiden Rennserien an, halten sich in Sachen Motorisierung allerdings noch bedeckt - der Hybrid-Antrieb aus dem aktuellen F1-Projekt soll jedoch keine Rolle spielen.

Formel 1 und LMDh: Alpine plant ein Doppelprogramm, Foto: LAT Images
Formel 1 und LMDh: Alpine plant ein Doppelprogramm, Foto: LAT Images

Auch bei den LMH-Hypercars könnte sich einiges mit Blick auf die Zukunft tun: ByKolles um den früheren DTM- und Formel-1-Teamchef Colin Kolles wollte schon 2022 mit einem selbstentwickelten Prototypen in die WEC zurückkehren, doch das Projekt erhielt keine Startlizenz vom Veranstalter.

Es soll sich angeblich um Unstimmigkeiten in der Dokumentation rund um die Markenrechte von Traditionsunternehmen Vanwall, unter dessen Namen das Team antreten will, gehandelt haben. Für die Saison 2023 bekam ByKolles schließlich grünes Licht und startet mit einem von einem V8-Gibson-Motor befeuertem Boliden in der Langstrecken-WM.

Möglich erscheint zudem das Langstrecken-Debüt von Isotta Fraschini, einem Luxusfahrzeug-Hersteller aus Mailand mit Motorsport-Vergangenheit. Die Italiener haben bei der Präsentation ihres von Sportwagenbauer Michelotto entwickelten LMH-Hypercars angekündigt, kommendes Jahr erste WEC-Rennen inklusive der 24 Stunden von Le Mans bestreiten zu wollen.

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