Ich gestehe, die Vision mancher Schlagzeile ist verlockend: "Teamchef Wurz jubelt - Platz 3 für Ösi-Team beim Debüt" oder "Monaco: Erster March-Sieg nach fast vierzig Jahren!". Nach dem Istanbul-Grand Prix will die FIA die Katze aus dem Sack lassen, wer von den vielen Kandidaten den Zuschlag erhält und 2010 in der Königsklasse mitfahren darf. Wer ein bisschen Einblick hinter die Kulissen der Formel 1 hat, der merkt: es rührt sich einiges. Formel 1 machen ist demnächst wieder erschwinglich. Und die eingesessenen Teams reagieren unterschiedlich erfreut: von spöttisch wie Ferrari ("dann kann man es ja gleich GP3 nennen") bis zu geschäftstüchtig ob des möglicherweise anstehenden Geschäftsmodells als Motorenlieferant.

Unruhe im Piranha-Club

Frankreich GP: Niki Lauda 1972 im March., Foto: Sutton
Frankreich GP: Niki Lauda 1972 im March., Foto: Sutton

Bei den dicken Fischen im Becken des Piranha-Club herrscht reichlich Unruhe. Ist es die Angst, von Grünschnäbeln vorgeführt zu werden? Bei einem einheitlichen Reglement, das die Neuen nicht besonders bevorzugt gibt es für Ferrari & Co eigentlich keinen Grund, den Wettbewerb mit Superfund, Lola, Campos, Litespeed oder sonst wem zu scheuen. Dennoch glaube ich, dass ein paar neue Teams einen derart frischen Wind in die Formel 1 bringen werden, dass wir in den nächsten Jahren eine Menge Freude haben werden.

Die Formel 1 ist über die Jahre aus diversen Gründen zu starr und festgefahren geworden. Beispielsweise als Spielwiese für Ingenieurstalente. Gute Leute aus der zweiten und dritten Reihe kommen nie an den Platzhirschen vorbei, die seit Jahren mit Ellbogen ihre Positionen verteidigen. Und einem Frischling vertraut man selten eine technische Top-Position an. Gerade mal bei BMW-Williams durfte Antonia Terzi vor einigen Jahren einige unkonventionelle Ideen ausprobieren - Stichwort Hammerhai - ehe man wieder zur alten Ordnung zurückkehrte.

Zu viele Dinosaurier

Als die Formel 1 in den frühen Neunzigerjahren vor kleinen Teams nur so überquoll - von March über Simtek, Coloni, Onyx und wie sie alle hießen - da konnte sich die heutige Stardesigner-Generation rund um Newey und Brawn oder Leute wie Gustav Brunner oder Nick Wirth in kleinen, dynamischen Einheiten rasch entwickeln. Leute wie Alesi, Hill, Frentzen oder Barrichello bekamen alle ihre Chance, weil halt einfach ausreichend Cockpits da waren. Der GP2-Champion des Jahres 2008 wusste hingegen bereits im Herbst, dass er nie und nimmer ein Cockpit in der Formel 1 ergattern würde.

20 Autos sind für Bernie und die Teams zwar angenehm, weil für jeden mehr TV- und Sponsor-Geld übrig bleibt. Aber 20 Autos führen zwangsläufig zu einer Dinosaurierisierung. Wer heute nicht in einem Nachwuchsprogramm geparkt ist oder Briatore & Co als Manager hat, für den ist es schwieriger denn je, ein Cockpit zu bekommen. Mir persönlich hat die klassische Anzahl von 26 Autos immer sehr gefallen. Das hat jahrzehntelang gut funktioniert. Und mit 15 Teams war schon der Fight um die letzten Startplätze immer ein Klassiker.

Mehr Lokalmatadore

Gerhard Berger 1984 im ATS., Foto: Sutton
Gerhard Berger 1984 im ATS., Foto: Sutton

Konkurrenz belebt das Geschäft, lautet eine alte Weisheit. Wer meint, dass mehr als 20 Autos die Formel 1 belasten, der soll man zu den Top-Kategorien in Übersee schauen: das Indy 500 wird seit Jahr und Tag mit 33 Wagen gefahren. Und NASCAR bringt 43 Autos auf ein Mini-Oval. Und jeder einzelne ist ein Hero. Denn der Lokalpatriotismus ist im Sport eine Triebfeder mit unglaublicher Kraft. So wie Michael Schumacher und die Fans des 1.FC Köln "ihren" Lukas Podolski jüngst zurück kauften, so haben wir in Österreich 1984 die Karriere eines gewissen Gerhard Berger mit Aufklebern eines Elektrohändlers mitfinanziert. 10 Schilling (ca. 70 Cent) kosteten die Kleber mit dem ATS drauf damals. Ich habe ihn heute noch daheim.

Und Gerhard konnte unter anderem seine ersten 4 Rennen damit sichern. Heute ist die Formel 1 Lichtjahre davon entfernt. Ich sehe eigentlich nur Sieger in einer neuen Formel 1 mit jungen Teams. Stellen wir uns nur vor: ein spanisches Team von Adrian Campos, ein österreichisches mit Alex Wurz, vielleicht findet sich ja doch noch eine französische Equipe? Nicht gegen das schöne Mittelengland. Aber frisches Blut tut gerade jetzt gut. Denn Red Bull hin oder her - mit Ausnahme von Ferrari, Toyota und BMW-Sauber werden 70% aller Formel 1-Autos heute in einem Umkreis von wenigen Kilometern in England hergestellt.

Comeback der Traditionsteams

Wie das Beispiel March zeigt (obwohl ich es für einen gewieften Kartenspielertrick von Max Mosley halte) - die Formel 1 täte gut daran, nicht auf ihre "Marken" zu vergessen. Die Historie, der Glanz und Pathos dieses Sports liegt nicht darin, dass der weltweit größte Hersteller von Pickup-Trucks Kleinlastwägen nun auch Formel 1-Autos baut, sondern dass ölverschmierte Pioniere in der goldenen Ära Autos entwickelt haben, die den Sportwagenbau nachhaltig verändert haben: die Coopers, Lotus, Brabhams und so weiter.

Irgendwo sitzt jemand, der die Namensrechte für diese legendären Rennställe besitzt. Ich fordere Sie hiermit öffentlich auf - treten Sie hervor, verlangen Sie ruhig ein paar Kröten dafür und geben Sie uns unsere Legenden zurück. So ein Superfund-Lotus würde mir schon gut gefallen, er muss ja nicht gleich schwarz-gold sein... Und vergessen wir nicht: Auch Brawn war ja mal Honda, was mal B.A.R. war, was wiederum lange Jahre Tyrrell war.

Frisches Blut an der Spitze

Christian Horner ist der bislang jüngste Teamchef., Foto: Sutton
Christian Horner ist der bislang jüngste Teamchef., Foto: Sutton

Frisches Blut täte der Formel 1 auf allen Linien gut. Die Teamchefs von heute und der große Boss sind im Schnitt 10 bis 15 Jahre älter als der Präsident von Amerika. Mit Ausnahme von Christian Horner hat es noch keiner unter 40 in eine echte Führungsposition geschafft (und selbst da habe ich gelegentlich meine Zweifel, ob da nicht andere gesetztere Herren dem Buben ganz gerne die Richtung vorgeben). Da käme ein Teamchef Wurz oder Adrian Campos genau richtig. Superfund-Boss Christian Baha ist ein kluger Mann, der mit Geld umgehen kann. Er legt sicher nicht gerne eine sechsstellige Kaution bei der FIA hin, um sich dann zum Deppen zu machen.

Sein Interesse an der Formel 1 ist ein Signal an die Anhänger der wirtschaftlichen Vernunft. Und das finde ich gut. Und wenn er am 12. Juni von der FIA einen positiven Bescheid erhalten sollte, werden die Formel 1-Arbeiter der zweiten und dritten Reihe bei ihm Schlange stehen, um die Ross Brawns von morgen zu werden. Ich bin mir auch sicher, dass man dort aus Fehlern der Vergangenheit gelernt hat, denn die lange angekündigte Formel Superfund blieb bis zuletzt ein Phantom. Mit Alex Wurz hat man schon mal einen Top-Mann, der in alle Richtung sehr gut vernetzt ist. Und warum soll man nicht mit 35 einen guten Job als Formel 1-Teamchef machen, wenn man mit 47 der Chef der größten Industrienation der Welt werden kann?