Herr Theissen, ist BMW Sauber gut vorbereitet?
Mario Theissen: Ja. Der Eindruck nach den Tests ist gut. Sowohl die Fahrer als auch die Ingenieure haben positive Rückmeldungen gegeben. Die Richtung, die wir mit dem BMW Sauber F1.09 eingeschlagen haben, stimmt.

Was waren die größten technischen Herausforderungen?
Mario Theissen: Die Ingenieure mussten sich in vier Bereichen auf grundlegende Neuerungen einstellen. Denn neben den Themen Aerodynamik, Reifen und KERS zähle ich auch die verdoppelte Laufleistung der Motoren dazu. Nie zuvor in der Formel 1 mussten die Motoren so viele Kilometer halten. Die Änderungen bei der Aerodynamik waren so fundamental, dass die Ingenieure sprichwörtlich mit einem weißen Blatt Papier beginnen mussten. Auch die Einführung des Bremsenergie-Rückgewinnungssystems KERS in der Formel 1 stellte für die Techniker Neuland dar. Eine riesige Herausforderung, die wir mit sehr großer Motivation angenommen haben. Wenn ich heute schaue, welche Fortschritte wir in dieser kurzen Zeit gemacht haben, dann ist das schon sehr beeindruckend. Hier hat die Formel 1 die Rolle eines Technologiebeschleunigers für künftige Serienfahrzeuge übernommen.

Wird das Kinetic Energy Recovery System (KERS) in Melbourne zum Einsatz kommen?
Mario Theissen: Wir haben das KERS zur Rennreife entwickelt. Einem Einsatz steht also diesbezüglich nichts mehr im Wege. Nun gilt es abzuwägen: Auf der Positivseite ist die zusätzliche Leistung von 82 PS, die der Pilot während 6,6 Sekunden abrufen kann. Auf der Negativseite stehen das Gewicht des Systems mit seiner Auswirkung auf die Gewichtsverteilung des Autos sowie der Reifenverschleiß. Wir werden von Strecke zu Strecke und von Fahrer zu Fahrer entscheiden.

BMW Sauber hat die Spitze im Visier., Foto: Sutton
BMW Sauber hat die Spitze im Visier., Foto: Sutton

Sind schwerere Fahrer durch das KERS benachteiligt?
Mario Theissen: Das vom Reglement vorgeschriebene Fahrzeug-Mindestgewicht von 605 Kilogramm wird inklusive Fahrer ermittelt. Die Differenz aus dem tatsächlichen und dem Mindestgewicht wird als Ballast optimal im Fahrzeug platziert. Auch bisher hatte daher ein schwerer Fahrer den Nachteil, weniger Ballast zur Ausbalancierung des Fahrzeugs zur Verfügung zu haben. Beim Einsatz des KERS wird die Ballastmasse um das Gewicht des Systems weiter reduziert. Damit die Formel 1 nicht zu einer Jockey-Liga ausartet, plädieren wir für eine Erhöhung des Mindestgewichts in Zukunft.

Wie schätzen Sie die sportpolitische Bedeutung der Teamvereinigung FOTA für die Zukunft der Formel 1 ein?
Mario Theissen: Auf Seiten der Formel-1-Teams hat in der Vergangenheit noch nie eine solche Einigkeit geherrscht wie jetzt. Nicht umsonst hat der Vorsitzende Luca di Montezemolo in Genf Anfang März bei der ersten FOTA-Pressekonferenz von einem historischen Ereignis gesprochen. Mit der FOTA haben sich die Teams zu einem Partner für FIA und FOM auf gleicher Höhe formiert.

Welches sind die wichtigsten Ziele?
Mario Theissen: Uns geht es einvernehmlich darum, die Kosten zu senken, ohne dass die Formel 1 an ihrer Attraktivität und Anziehungskraft einbüßt. So haben wir bereits für 2009 die Testfahrten halbiert und die Nutzung von Windkanal sowie Supercomputer eingeschränkt. Für 2010 wird ein noch viel umfangreicheres Paket folgen. Die Königsklasse ist nach wie vor eine einzigartige Mischung aus Spitzentechnologie, Sport, Wirtschaft und Show. Aber die Zeichen der Zeit haben sich geändert. Und auf diese Änderungen muss sich auch die Formel 1 einstellen. Da sehe ich unseren Sport auf einem guten Weg.

Welche Einsparmaßnahmen hat das Team bereits getroffen?
Mario Theissen: Wir unterstützen schon seit Jahren Maßnahmen zur Kostensenkung und waren immer mit Augenmaß unterwegs. Im BMW Sauber Team wurde von Beginn an auf Effizienz geachtet und der Aufwand Jahr für Jahr reduziert. BMW gibt für die Formel 1 heute 40 Prozent weniger aus als noch 2005. Damals waren wir Motorenlieferant, inzwischen sind wir mit einem eigenen Team unterwegs. Signifikante Einsparungen wurden durch die Verlängerung der Motorenlaufzeiten erreicht. Als BMW zum Jahr 2000 in die Formel 1 zurückkehrte, hat man mit einem Motor die freien Trainings bestritten, für das Qualifying einen neuen eingebaut und für das Rennen nochmals einen frischen. Dieser Aufwand wurde sukzessive zurückgeschraubt. Heute müssen acht Motoren pro Fahrer für die ganze Saison reichen. Eine weitere erhebliche Budgeteinsparung stellen die stark reduzierten Testfahrten dar. 2009 sind Testfahrten auf Rennstrecken außerhalb der GP-Wochenenden bis zum 31. Dezember gestrichen. Die einzige Ausnahme bilden Tests für Nachwuchsfahrer ohne GP-Erfahrung nach Abschluss der Saison. Wir haben ein ganzes Maßnahmenpaket zur Kostenreduzierung geschnürt.

BMW Sauber wähnt sich bereit. Die Saison kann beginnen., Foto: Sutton
BMW Sauber wähnt sich bereit. Die Saison kann beginnen., Foto: Sutton

Wie sehen Sie die Zukunft der Formel 1?
Mario Theissen: Wir haben die Gelegenheit, die Zukunft der Formel 1 in der gegenwärtig kritischen Phase positiv zu beeinflussen. Und ich bin überzeugt davon, dass die Formel 1 gestärkt aus dieser Situation hervorgehen wird. Wenn die Maßnahmen zur Kostenreduzierung erst einmal vollumfänglich gegriffen haben, gehe ich davon aus, dass weitere unabhängige Teams in die Formel 1 einsteigen und dabei finanziell auf einer gesunden Basis stehen können. Darüber hinaus zielt das technische Reglement nun in eine Richtung, die für die Entwicklung von Serienautos eine wichtige Rolle spielt. Dadurch kann die Formel 1 in Bezug auf Zukunftstechnologien eine Pionierrolle übernehmen.

Ist die Investition in das Formel-1-Projekt in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage für BMW zu verantworten?
Mario Theissen: Eindeutig ja. Parallel zu den Einsparungen, denen noch weitere folgen werden, haben wir den sportlichen Erfolg hochgefahren, so dass nicht nur unsere Marketing-Experten sagen: Die Formel 1 ist für BMW wertvoll. Sie bleibt der Kern unseres Motorsport-Programms. Es gibt kein anderes Engagement, das weltweit so große Strahlkraft in so hoher Frequenz hat und gleichzeitig noch technisch so herausfordernd ist, dass davon auch die Forschung eines ganzen Unternehmens profitieren kann. Die Kosten-Nutzen-Rechnung fällt für uns positiv aus.

Wie lautet Ihr Ziel für die Saison?
Mario Theissen: Wir haben einen langfristigen Fahrplan: Im ersten Jahr wollten wir regelmäßig in die Punkteränge fahren, im zweiten Jahr Podestplätze erreichen und im dritten Jahr den ersten Sieg einfahren. Diese ambitionierten Ziele haben wir alle erreicht. Für 2009 ist nun der nächste und schwerste Schritt geplant: Wir wollen um den WM-Titel mitkämpfen. Wir sind mit dem F1.09 gut gerüstet. Alles Weitere werden die 17 Saisonrennen zeigen. Dabei wissen wir: Leistungsfähigkeit kann man planen, Resultate nicht.