7758110 ist ein Leerlaufanschlag. Eines unter 4.000 Teilen eines Formel 1-Motors. Es ist nicht besonders groß und wie alles in der Formel 1 nicht besonders schwer. Mit 74 Gramm ist es quasi ein Fliegengewicht, obwohl der BMW-Motor, aus dem das Bauteil stammt, noch viel leichtere Teile beinhaltet. 7758110 ist eine längliche, dünne Aluminiumplatte mit zwei Löchern, aus der an einem Ende ein Röhrchen mit Feder wächst. Seine Aufgabe ist es, den Motor nicht absterben zu lassen, wenn der Fahrer vom Gas geht. Das Problem mit 7758110 ist - es ist kaputt.
Nach nur 560 Testkilometern in Barcelona war das kurze, aber heftige Leben von Nummer 7758110 vorbei. Ein Mechaniker hat Risse daran festgestellt. Es ist gegen 18:00 Uhr am Dienstagabend. Die Risse werden mit einem Filzstift markiert und abfotografiert, danach knipst ein Elektriker alle Seiten penibel ab, packt 7758110 in einen braunen Karton und adressiert das Paket. Parallel zum Paket wird eine E-Mail mit den Fotos des beschädigten 7758110 versendet. "Bauteil wird mit nächster Motorlieferung nach München verschickt." Etwas mehr als eine Stunde danach beginnt die letzte Reise von 7758110.
Per Lieferwagen, Flugzeug und Taxi geht es in die bayerische Landeshauptstadt, in die Zentrale von BMW-Motorsport. Dort endet die Heimreise von 7758110, aber es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Bis Freitag soll ein verbessertes Nachfolgeteil zu 7758110 wieder in Barcelona sein, um dort den letzten Testtag im Auto zu verbringen. Die ersten Entwürfe der neuen Baupläne werden angefertigt, der Zulieferer in Ingolstadt über eine Blitzaktion informiert. In maximal zwei Stunden sollen die CAD-Modelle und Zeichnungen dort eintreffen.
Hier ein wenig weg, dort etwas mehr, bis die beste Form gefunden ist. Nach drei Stunden Arbeit ist es kurz vor 12:00 Uhr vollbracht: 7758110 hat einen Nachfolger, er heißt 7758173. Das neue Bauteil ist wesentlich robuster und sieht komplizierter aus. Aber es ist auch dicker und schwerer geworden. Sein Gewicht wird bei der Geburt 123 Gramm betragen. Um 12.03 Uhr werden die Zeichnungen und das CAD-Model an den Zulieferer verschickt.
Drei Stunden später beginnt, eine Autostunde entfernt, die Fertigung, die sich bis Donnerstagmorgen um kurz vor 8:00 Uhr hinzieht. Dann erblickt der Erbe von 7758110 das Licht der Welt, und wird sofort für den Transport nach München fertig gemacht. Die ganze Nacht ist 7758173 durch mehrere Maschinen gelaufen. Ein Sensor hat es mit einem Rubinenkopf eine halbe Stunde lang abgetastet und an mehr als 50 Punkten gemessen. Es ist perfekt.
Um 9:02 Uhr kommt das Päckchen mit 7758173 bei seinem Erschaffer BMW-Motorsport an. Noch darf es aber nicht die Reise ins sonnige Barcelona antreten. Erst muss es die interne Qualitätskontrolle durchlaufen. Zunächst wird 7758173 mit bloßem, aber erfahrenem Auge auf grobe Schnitzer untersucht, dann überprüfen diverse Messgeräte, ob das Teil bis ins kleinste Detail mit der Konstruktionszeichnung übereinstimmt.
Gegen 11:00 Uhr baut die Werkstatt 7758173 erstmals in einen F1-Motor ein, um es auf dem Motorenprüfstand zu testen. Aus einem schallisolierten Prüfraum beobachten die Ingenieure den anderthalb Stunden langen und höllisch lauten Vollgas-Versuch. Die erste Ausfahrt von 7758173 findet auf einem virtuellen Hockenheimring statt. Doch die langen Waldgeraden können ihm nicht zusetzen: 7758173 besteht den Test ohne einen einzigen Kratzer.
Jetzt ist Eile angesagt. Am späten Nachmittag treffen vier weitere 7758173 bei BMW Motorsport ein. Sie werden sofort zum Flughafen verfrachtet und entschweben nach Spanien. Dort angekommen werden sie am Flughafen von einem Mechaniker abgeholt und noch in der Nacht in die Motoren eingebaut. Nur 62 Stunden nachdem 7758110 seine letzte Reise antrat, hat der BMW-Motor rechtzeitig einen neuen Leerlaufanschlag - er heißt 7758173.
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