Tag 1 nach der Strafe. Die Urteilsbegründung der FIA ließ lange auf sich warten, das Fahrerlager brodelt voller Spekulationen und Diskussionen. Hat Ron Dennis die FIA selbst auf die neuen Beweise aufmerksam gemacht? Gibt es überhaupt neue Beweise? Fragen über Fragen, die momentan nur die FIA beantworten kann. Der erste Satz, der beim Überfliegen der 15-seitigen Begründung heraussticht: Man müsse nicht beweisen, dass die Ferrari-Informationen von McLaren benutzt wurden, der Besitz alleine reiche schon aus.

Trotzdem sind sich die Experten in einem Punkt einig: "Es ist beispiellos, eine Strafe über 100 Millionen Dollar auszusprechen. Für mich ist das Urteil ziemlich hart", sagt Marc Surer. Gleichzeitig sieht er darin einen Kompromiss. "Die FIA musste eine Strafe aussprechen, weil sie sich selbst in eine Zwangssituation gebracht hat. Man muss aber auch positiv sehen, dass die Weltmeisterschaft nicht kaputt gemacht wurde."

Christian Danner sieht das etwas anders. "Wenn man Ferrari kennt, muss man mit allem rechnen. Aber ich war geschockt und entsetzt, dass so ein Urteil passieren kann", sagte er im Gespräch mit motorsport-magazin.com. "Bis jetzt gibt es noch keine Urteilsbegründung [diese wurde erst danach freigegeben], darauf bin ich gespannt, denn man muss ja begründen, was jetzt anders war als bei der ersten Verhandlung." Bei dieser wurde McLaren nicht bestraft, da man dem Team kein Verschulden nachweisen konnte.

"Ich finde es etwas eigenartig, dass man Konstrukteurs- und Fahrerwertung trennen kann", sagte Ex-Weltmeister Keke Rosberg. "Natürlich tut die Geldstrafe weh. 100 Millionen Dollar reißen schon ein Loch in die Kasse. Der Verlust des Konstrukteurstitels bedeutet weitere finanzielle Einbußen, einen Prestigeverlust und den letzten Garagenplatz in der Boxengasse im nächsten Jahr." Auch aus der Sicht von Hans Joachim Stuck ist die Strafe zu hart. "Der Punkteabzug ist meines Erachtens nach o.k. Das ist eine sehr harte Strafe. Das ist auch der Formel1 gerecht", so der Ex-Pilot. "Aber eine Strafe von 100 Millionen Dollar halte ich für überzogen."

Die McLaren-Garagentore dürfen weiter geöffnet werden., Foto: Sutton
Die McLaren-Garagentore dürfen weiter geöffnet werden., Foto: Sutton

Das sei ein Viertel des Nettobudgets des Teams und ist mehr als das Gesamtbudget von Spyker. "Das ist sicherlich nicht fachgerecht", kritisiert Stuck. Lange wollte die FIA Hersteller dazu bewegen, in die F1 einzusteigen. "Und jetzt die abzustrafen mit 100 Millionen - das macht keinen Sinn. Lieber für ein paar Rennen sperren. Das ist einfach zu viel Geld."

Für Surer steht fest, dass Ferrari beide Weltmeisterschaften am grünen Tisch gewinnen wollte. "Jetzt haben sie nur eine gewonnen. Die ist ihnen geschenkt worden, und sie nehmen es dankend an. Es kann einem nichts bedeuten, am grünen Tisch zu gewinnen." Danner gibt zu Bedenken: "Ganz offensichtlich ist das der falsche Weg, solche Dinge über solche perfiden Kampagnen zu entscheiden." Ferrari habe klar darauf abgezielt, McLaren zu schaden. "Aufgrund der Komplexität der Zusammenhänge, hat man sich bei McLaren zunächst darauf geeinigt, nichts zu sagen. Das hat dazu geführt, dass die einzigen, die Informationen ins System zugeführt haben, die Ferrariboys waren. Entsprechend sah das alles sehr eigenartig aus."

Danner ist gespannt auf die Begründung der FIA, da es bereits einige ähnliche Fälle gegeben hat. Vor einiger Zeit wanderten Ferrari-Techniker zu Toyota ab und sollen dabei Daten sowie Software mitgenommen haben. Zu Saisonbeginn wollte Spyker mit Original-Red-Bull-Zeichnungen beweisen, dass der Toro Rosso eine Kopie des Red Bull ist. "Ich verstehe nicht, was an der McLaren-Problematik so viel schlimmer war, wenn man vergleichbare Fällen viel eleganter und fairer lösen konnte."

Surer glaubt, dass sich die FIA im Toyota-Fall nicht darum gekümmert habe, weil Toyota damals kein direkter Gegner gewesen sei. "Es ist schon ein bisschen fragwürdig, warum immer Ferrari-Mitarbeiter Papiere mitnehmen. Vielleicht müsste man bei Ferrari mal selber im eigenen Haus ein bisschen nachdenken, warum das immer bei ihnen passiert?"