Ein Angestellter eines englischen Copyshops soll den Schneeball ins Rollen gebracht haben. Ob das tatsächlich der Fall ist, ob jene mehreren hundert Seiten angeblich geheimer Ferrari-Unterlagen tatsächlich dort kopiert wurden, ist bislang ein Mysterium. Doch eins ist sicher: am heutigen Donnerstag kommt zumindest etwas mehr Licht ins Spionagedunkel. In Paris entscheidet der FIA World Motor Sport Council darüber, ob McLaren Mercedes Urheberrechte anderer verletzt und illegal fremde Materialien für den Bau des MP4-22 verwendet hat. Die möglichen Strafen reichen bei einer Verurteilung von einer Rüge bis hin Disqualifikation, Punktabzug und dem WM-Ausschluss.

Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug sieht sein Team jedoch nicht als Angeklagten in einer Kopieraffäre. "Es herrscht keine Bange, ich wüsste nicht wovor", betont er, der auch in den vergangenen Wochen ruhig schlafen konnte. "Es ist sehr klar nachvollziehbar, dass sich mehrere Leute zusammengetan und irgendetwas geplant haben. Es ist ebenfalls sehr klar nachvollziehbar, dass unser Team nichts damit zu tun hatte. Und es ist auch sehr klar nachvollziehbar, dass diese Thematik außerhalb unseres Firmengeländes stattgefunden hat." Das soll der heutige Tag beweisen. Die notwendigen Unterlagen hat McLaren fristgerecht bei der FIA eingereicht.

McLaren-Boss Ron Dennis fiebert dem heutigen Termin bei der FIA nicht entgegen, aber er ist auch froh, wenn er es endlich hinter sich gebracht hat - und hoffentlich wieder alle über den Sport reden. Denn an eine Bestrafung glaubt bei McLaren niemand. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es auch nur einen halben Punkt Abzug geben wird", sagt Haug. "Es gibt nichts, was wir uns vorzuwerfen hätten." Im Gegenteil: Schon früher habe es andere Spionagefälle gegeben, Zeichnungen wurden im Fahrerlager gezeigt, Material - auch von Ferrari - zu anderen Teams mitgenommen. Strafen gab es keine.

Dennoch soll Mike Coughlan bei seinem Verfahren in London zugegeben haben, dass er die angeblichen Ferrari-Unterlagen mehreren Leuten bei McLaren gezeigt habe, die ihm alle rieten, sie sofort zu vernichten. Viele Beobachter sind sich sicher, dass diese Informationen von Ferrari in der italienischen Presse gestreut wurden. "Man kann durch das Leben gehen und den richtigen Wegen folgen", sagte Dennis am Nürburgring. "Wenn andere Leute einen anderen Weg einschlagen, der zu einem sehr großen Schaden führt, okay, aber das ist nicht mein Stil."

Bei Ferrari wollte sich Jean Todt öffentlich nicht zu der Anhörung äußern. Der Franzose wird logischerweise nicht seine normale Rolle als WMSC-Mitglied einnehmen, aber dennoch vor Ort sein. Ob Ferrari selbst belastende Unterlagen gegen McLaren einreichen wird, ließ Todt offen. "Leider fand zu viel den Weg in die Medien, aber das liegt nicht in unserer Macht", verteidigte er sein Team. "Wir werden uns vielleicht nach dem Meeting dazu äußern." Das Ergebnis der Anhörung wird am Donnerstagabend erwartet.