Bob, beginnen wir mit einem allgemeinen Fazit der bisherigen Saison. Was waren für Sie die größten Überraschungen?
Bob Bell: Zunächst war ich natürlich gleichermaßen erstaunt und enttäuscht, wie schlecht wir in die Saison gestartet sind. Derzeit können wir beobachten, dass Ferrari etwas von seiner Leistungsfähigkeit einbüßt. Das kommt allerdings nicht ganz überraschend. Ich hatte nicht erwartet, dass McLaren derart dominant auftreten würde. Die machen bisher einen wirklich beeindruckenden Job. Ich bin sehr überrascht, dass Honda soweit hinten fährt und dass Toyota im Vergleich zum Vorjahr kein Schritt nach vorne gelungen ist. Und wenn man bedenkt, über welche Ressourcen sie verfügen, beeindruckt mich die Pace von Super Aguri.

Sie sagten zu Saisonbeginn, dass der Renault R27 eine logische Weiterentwicklung seines weltmeisterlichen Vorgängers darstellt - allerdings lag die Performance bei weitem nicht auf vergleichbarem Niveau. Haben Sie einer falschen Strategie vertraut?
Bob Bell: Ich muss an dieser Stelle eins klarstellen: Relativ gesehen unterschied sich die Leistungsfähigkeit der beiden Wagen vielleicht, absolut war der Renault R27 nicht schlechter als sein Vorgänger. Wir haben uns zu keinem Zeitpunkt den Renault R26 zurückgewünscht. Wir mussten in den ersten Saisonläufen aber feststellen, dass uns über den Winter kein ausreichender Entwicklungssprung gelungen war. Hinzu kamen einige aerodynamische Probleme, an deren Lösung wir rigoros arbeiteten. Wir brachen nichts übers Knie, sondern vergewisserten uns zunächst, dass wir die Ursachen ganz genau verstanden haben, bevor wir sie behoben. Wir arbeiten unser Defizit gegenüber den Führenden konsequent ab. Ich bin mir sicher, dass wir schon bald wieder auf ihrem Niveau fahren.

Ebenso wie Renault musste auch McLaren von Michelin zum neuen Reifenpartner Bridgestone wechseln. Sie scheinen damit besser zurechtgekommen zu sein. Warum?
Bob Bell: Die einfache Antwort lautet, dass sie in punkto Performance-Entwicklung einen besseren Job machten als wir. Sie verfügten von Beginn an über einen Vorsprung, den sie während des ersten Teils der Saison behaupten konnten. Auch beim Wechsel zu Bridgestone genossen sie einen gewissen Vorteil. Es ist kein Geheimnis, dass den Reifen aus Japan ein Rennwagen mit einer vorwärts gerichteten Gewichtsverteilung und entsprechender aerodynamischen Balance entgegenkommt. Aus verschiedenen Gründen hatte McLaren bereits im Vorjahr, als sie noch mit Michelin unterwegs waren, in diese Richtung entwickelt.

BMW Sauber ist das Ziel, Foto: Sutton
BMW Sauber ist das Ziel, Foto: Sutton

Wie gut ist Renault der Wechsel zu den Bridgestone-Reifen gelungen?
Bob Bell: Ich denke, dass das immer weniger ein Thema ist. Wir fahren jetzt bereits seit einiger Zeit mit den Pneus und wissen, was wir im Bezug auf Setup und grundlegender Entwicklung machen müssen, um das Maximum aus ihnen herauszuholen. Die Herausforderung für uns besteht nun darin, die Weiterentwicklung schneller voranzutreiben als unsere Konkurrenten, unsere Performance zu steigern - und sie auf der Strecke zu schlagen.

In dieser Woche ordnete das Team die Struktur der Aerodynamikabteilung neu. Was hat sich verändert?
Bob Bell: Vereinfacht gesagt, haben wir die Leitung der Aerodynamikabteilung aufgeteilt, weil der Arbeitsaufwand für einen allein zu viel wurde. Dino Toso, der bisherige Leiter der Aerodynamik, stieg auf in die neu geschaffene Position des Direktor Aerodynamik-Technologie. Er kann sich nun stärker auf die zukünftige Entwicklung der Fahrzeug-Aerodynamik und andere interessante Projekte konzentrieren. Für die Umsetzung dieser Entwicklung wie die tägliche Arbeit im Windkanal zeichnet weiterhin der Leiter der Aerodynamikabteilung verantwortlich. Diese Rolle nimmt derzeit auf Interims-Basis der stellvertretende Technische Direktor James Allison ein.

Warum wurde diese Veränderung zu diesem Zeitpunkt der Saison vorgenommen?
Bob Bell: Wir haben immer gesagt, dass wir die Lösung unserer Probleme logisch angehen würden. Das haben wir getan. Die Phase der Problembehebung ist nun beendet. Für den Rest der Saison lautet unsere Aufgabe, die Entwicklung schneller voranzutreiben als unsere Rivalen. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass unser Rennwagen für die Saison 2008 wieder in der Lage sein wird, um die Weltmeisterschaft zu fahren. Ein Vorteil der neuen Position von Dino Toso ist die verbesserte Kommunikation mit unserem Chefdesigner Tim Densham. Wir glauben, dass dies der richtige Zeitpunkt ist, diese Veränderung zu vollziehen, damit die Arbeit für die Saison 2008 Fahrt aufnimmt, während das Windkanal-Team gleichzeitig die Weiterentwicklung für die aktuelle Saison mit Hochdruck vorantreibt.

Während schwieriger Zeiten sprechen Teams viel über "Charakter" und "Entschlossenheit". Wie hat das Team Ihrer Meinung nach auf die Probleme reagiert?
Bob Bell: Ich bin sehr stolz darauf und ermutigt davon, mit welchem Einsatz das gesamte Team daran gearbeitet hat, die Situation zum Guten zu wenden. Ohne viel Aufhebens haben wir ruhig und professionell Problemlösungen erarbeitet. Auf die dabei gezeigte Entschlossenheit dürfen wir zu Recht stolz sein - ähnlich wie beim Gewinn der Weltmeisterschaft. Während der Testfahrten in Silverstone in der vergangenen Woche gelang uns ein weiterer Schritt nach vorne. Und in puncto technischer Entwicklung haben wir noch einiges in petto. In der Konstrukteurs-WM ist BMW unser direkter Konkurrent. Wir geben alles, um sie zu schlagen.