Dreihundertfünfundsechzig Tage hatte das Jahr Zweitausendundsechs. Es beinhaltete 8.760 Stunden, 54 F1-Tage und 18 Renntage. Weil die letzten Tage eines Jahres zwischen Weihnachten und Silvester in der F1-Welt stets eher ruhig verlaufen, wagen wir es auch in diesem Jahr unseren letzten Wochenrückblick in einen Jahresrückblick zu verwandeln. Vorhang auf für unsere Saisonbilanz: "Das Jahr in der F1: Von Zweitausend & Sechs".

Die Titelrivalen duellierten sich auf der Strecke - das gab es schon lange nicht mehr!, Foto: Sutton
Die Titelrivalen duellierten sich auf der Strecke - das gab es schon lange nicht mehr!, Foto: Sutton

Die Rennen Viele regelmäßige Begleiter des F1-Zirkus bezeichneten die Saison 2006 als die "spannendste seit langem". Um dieses Prädikat zu erfüllen, muss allen voran eine Vorgabe erfüllt werden: die Rennen müssen spannend, abwechslungsreich und unterhaltsam sein. Gute Beispiele dafür waren die Grand Prix in Ungarn und China, in denen das Kräfteverhältnis mehrfach wechselte, zahlreiche Überholmanöver stattfanden und jede Menge Action geboten wurde. All das war natürlich auch auf den alljährlichen Spannungsmacher zurückzuführen - den Regen. Aber auch die Rennen auf trockener Fahrbahn waren 2006 spannend. Etwa das Saisonfinale in Brasilien, bei dem Michael Schumacher seine letzte große Show zeigte, der Europa GP auf dem Nürburgring, auf dem sich die beiden Titelrivalen beharkten, und selbst der San Marino GP in Imola, wo im zweiten Jahr in Folge ein heißes Duell zwischen Alonso und Schumacher stattfand - diesmal jedoch unter umgekehrten Vorzeichen. All die guten Rennen können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch 2006 so manche Prozession und so manchen Langweiler gab. Auf den Frankreich GP hätten sicherlich alle bis auf die Schumacher-Fans verzichten können und selbst der Japan GP wäre ohne die 37. Runde wohl kaum jemandem in Erinnerung geblieben. Doch dann kam der Rauch aus dem Ferrari mit der Startnummer 5 und mit ihm begann das Drama in Rot.

Neues Quali, neue Erlebnisse: Stau am Boxenausgang., Foto: Sutton
Neues Quali, neue Erlebnisse: Stau am Boxenausgang., Foto: Sutton

Die Regeln Mittlerweile haben wir uns daran gewähnt, dass es jedes Jahr neue Regeln gibt. In dieser Saison betraf das vor allem drei Bereiche: die Reifen, die Motoren und das Qualifying. Zum ersten Mal seit langer Zeit, gab es in diesem Jahr aber kaum etwas an den Änderungen auszusetzen! Die Rückkehr der Reifenwechsel brachte Ferrari und Bridgestone wieder ins Spiel, nur den Rundengeiz konnte auch sie nicht vertreiben - dieser blieb auch trotz der Abschaffung des 4. Freien Trainings erhalten. Die Angst vor den neuen V8-Motoren war ebenfalls unbegründet. Der Sound war immer noch infernalisch, die Power gut und selbst die Bedenken bezüglich der gedrosselten V10 der Scuderia Toro Rosso blieben ohne Folgen. Am meisten Spannung brachte die dritte große Regeländerung: das neue KO-Qualifying. So spannend wie das erste dreigeteilte Qualifying in Bahrain, war schon lange kein Qualifikationstraining mehr. Und auch im Laufe der Saison entpuppten sich einige Qualis als viel spannender als die darauf folgenden Rennen. Teilweise lieferten sich die Piloten sogar schon während der dritten Qualifying-Session einen heißen Zweikampf; selbst Überholmanöver gab es zu sehen - im Qualifying! Nur der Stau zu Beginn der 3. Session ließ Zweifel am Sinn dieser Aktion aufkommen. Ansonsten gab es nur einen Kritikpunkt am neuen Format: Das Spritverbrennen am Anfang der dritten Session störte und trug nichts zur Spannung bei, allerdings konnte es auch durch eine 5-minütige Verkürzung der Session nicht beseitigt werden.

Robert Kubica ist eine der Entdeckungen des Jahres., Foto: Sutton
Robert Kubica ist eine der Entdeckungen des Jahres., Foto: Sutton

Die Neuen 2006 sah gleich einige Neulinge. Einer davon war auf dem Papier zwar kein echter Rookie, bestritt aber seine erste komplette Saison. Die Rede ist von Tonio Liuzzi, der vorher nur vier Rennen aus seiner Cockpitsharing-Zeit mit Christian Klien auf seinem Konto hatte. Wie sein Teamkollege Scott Speed, der ein echter Rookie war, schlug sich der Italiener wacker, fiel aber ebenso wie Speed einige Male durch wilde Aktionen und Unfälle auf. Ähnliches lässt sich über Yuji Ide sagen, der nur vier Rennen bestreiten durfte, bevor ihm die FIA die Superlizenz entzog und dem Team damit einen Fahrerwechsel nahe legte. Seine Ersatzleute waren Franck Montagny, der ein solides Debüt hinlegte, und Sakon Yamamoto, dem man anmerkte, dass ihm die nötige Erfahrung fehlte. Eine komplette Saison als Freitagstester wäre für ihn vielleicht besser gewesen. Damit bleiben nur noch zwei - die Entdeckungen des Jahres. Zum einen wäre da Nico Rosberg. Der junge Deutsche mit dem weltmeisterlichen Nachnamen fuhr bereits bei seinem GP-Debüt in die Punkte und verzeichnete auf Anhieb die schnellste Rennrunde für sich. Danach fiel er jedoch ab: einerseits wegen einiger Fehler, die jeder Neuling begeht, andererseits aber vor allem wegen der fehlenden Zuverlässigkeit und Performance seines Autos. Ganz anders Robert Kubica. Der Pole zeigte starke Leistungen als Freitagstester und beeindruckte ebenso als Villeneuve-Ersatz im letzten Saisondrittel.

Felipe könnte einer der ganz großen Gewinner werden., Foto: Sutton
Felipe könnte einer der ganz großen Gewinner werden., Foto: Sutton

Die Reifen Auch 2006 spielte das oft zitierte schwarze Gold die entscheidende Rolle im Titelkampf. Schumacher und Alonso, Ferrari und Renault waren gegen Ende des Jahres gleichauf, dann entschieden die Reifen über Sieg oder Niederlage; über den WM-Titel entschied letztlich aber doch nicht das schwarze Gold, sondern die Zuverlässigkeit. Nachdem sich Bridgestone in der ersten Saisonhälfte zurück gemeldet hatte, lieferten sie vor allem zur Saisonmitte und im Schlussdrittel teilweise überlegene Vorstellungen ab. Zwischendrin wechselte das Kräfteverhältnis je nach Streckencharakteristik und vor allem Temperatur. Die größten Leistungsunterschiede gab es bei unterschiedlich nasser Strecke: in Ungarn und China sprang der Vorteil beinahe mit jedem zusätzlichen Wassertropfen von einem Hersteller zum anderen und wieder zurück.

Die Gewinner Jede Saison hat ihre Gewinner, die Überraschungen des Jahres. Zwei gehören auf jeden Fall dazu: Natürlich der alte und neue Weltmeister Fernando Alonso, der jüngste Doppel-Champion der Geschichte, und der geschiedene Rekordweltmeister Michael Schumacher, der in seiner letzten Saison, ja sogar seinem letzten Rennen noch einmal allen bewiesen hat, dass er immer noch der Beste ist. Im Windschatten der beiden Großen gab es 2006 aber noch mehr Gewinner. Etwa Jenson Button, der endlich seinen ersten Grand Prix gewonnen hat. Zwar sehr viel später, als er es erhofft hatte, aber in den Schlussrennen war Jenson mit seinem Team dort, wo er sich von Anfang an gesehen hatte: an der Spitze. Selbiges gilt für Felipe Massa, der zu Saisonbeginn noch einige Fehler beging, danach aber schnell reifte und teilweise sogar schneller als sein Teamkollege war, und das war kein geringerer als Michael Schumacher. Ebenfalls zu den Gewinnern des Jahres zählt eine ganze Fahrergruppe, die stark auf sich aufmerksam machen konnte: die jungen Wilden, die nächste Generation an F1-Stars. Zu ihnen zählen Robert Kubica, Sebastian Vettel und auch Lewis Hamilton, der zwar erst 2007 sein F1-Debüt geben wird, dafür aber in diesem Jahr den Grundstein legte - mit einem überlegenen Titelgewinn in der GP2.

Mit Fernando sollen die Siege zurück kommen., Foto: Sutton
Mit Fernando sollen die Siege zurück kommen., Foto: Sutton

Die Verlierer Wo Gewinner sind, müssen auch Verlierer sein - so ist das im Leben und ganz besonders in der Formel 1. Ganz klar zu den Enttäuschungen der Saison zählt Toyota. Die Japaner waren weit weg von ihrem Ziel der ersten Siege und den Ehren des besten Bridgestone-Teams. Nicht viel besser verlief das Jahr für Rubens Barrichello, der Umstellungsprobleme auf sein neues Arbeitsgerät hatte. Die Bremsen und die Einstellung der Traktionskontrolle lagen dem Brasilianer nicht, der Honda war zu anders im Vergleich zu seinem gewohnten Ferrari. Auch Christian Klien war einer der Verlierer des Jahres. Der Österreicher musste nach einem Streit mit Red Bull sein Cockpit vorzeitig räumen und ist 2007 nur noch als Testfahrer im Fahrerfeld vertreten. Eingeleitet wurde sein Abgang von einer Pechsträhne, die hauptsächlich sein Auto am Streckenland stranden ließ und das auch noch ausgerechnet als er in Monaco jenen Podestplatz hätte holen können, den nach seinem Ausfall sein Teamkollege David Coulthard abstaubte. Trotzdem zählte auch sein Team Red Bull Racing zu den Verlierern des Jahres. Die großen Bullen waren gegen Ende der Saison sogar langsamer als ihr Schwesterteam Toro Rosso und mussten sich gegen Super Aguri und Spyker wehren. Damit bleiben noch zwei Verlierer unter den Fahrern übrig: ein Ex-Weltmeister und ein Ex-GP-Sieger, zwei hoch gepriesene Superstars, die im Sommer ihre Cockpits unfreiwillig räumen mussten - Jacques Villeneuve und Juan Pablo Montoya. Apropos Montoya: Sein McLaren Mercedes-Team rutschte vom schnellsten Auto des Vorjahres und WM-Platz 2 ins Nirgendwo ab, kein einziger Sieg für Ron Dennis & Co spricht eine klare Sprache: McLaren gehört zu den großen Verlierern der Saison 2006.

Tschüß Michael, die F1-Welt wird ihn vermissen., Foto: Sutton
Tschüß Michael, die F1-Welt wird ihn vermissen., Foto: Sutton

Der Wahnsinn In jedem F1-Jahr gibt es wahnsinnige Ereignisse wie die Buttongate-Affären, Indy-Gate und die ständigen Regelstreitereien zwischen der FIA und den Automobilherstellern. Ausgerechnet dieser Dauerbrandherd sollte 2006 zumindest teilweise gelöscht werden. Die FIA und die GPMA kamen endlich zu einem Konsens! Sogar das leidige Thema der Motoreneinfrierung konnte in letzter Sekunde noch für alle - wenigstens einigermaßen - akzeptabel und befriedigend gelöst werden. Trotzdem gab es auch 2006 viel Wahnsinn: Etwa den riesigen Rummel um den Rücktritt von Michael Schumacher, dessen unglaubliche Parkplatzsuche in Monaco, die schon bald als Rascasse-Gate Bekanntheit erlangen sollte, die unverständlichen Strafen für Fernando Alonso in Ungarn und Italien, das Verbot der Masse-Dämpfer durch die FIA und die Kontroversen rund um die Flexi-Wings. Selbst unflexible, aber senkrechte Flügel wie die "Twin Towers" von BMW Sauber wurden vom Weltverband verboten - das fand aus ästhetischer Sicht aber durchaus Unterstützung.

Die Abschiede 2006 war erneut ein Jahr der Abschiede. Schon im Vorjahr verließen etliche Größen das Fahrerlager, darunter Teamnamen wie Sauber, Minardi und Jordan, aber auch alte Haudegen wie Pierre Dupasquier und Paul Stoddart. Nach dem Brasilien GP 2006 folgten ihnen die Tabakfirmen, die bis auf Ferrari-Sponsor Marlboro alle planmäßig die F1 verließen, der Reifenhersteller Michelin, mit dessen Rückzug der Reifenkrieg ein Ende fand, und Motorenoldie Cosworth, deren unfreiwilliger Abgang aus der Königsklasse das Ende der V10-Ära bedeutete.