Monsieur Dassas, wie schätzen Sie die sportlichen Leistungen Ihres Teams in der zurückliegenden Saison ein?
Alain Dassas: Das Renault Team kürte sich im zweiten Jahr in Folge zum Doppelweltmeister. Sehr viel mehr kann man in einer Saison kaum erreichen... Ich möchte betonen, dass diese Leistung überhaupt nichts mit Zufall zu tun hat. Vielmehr beruhen die Erfolge auf langfristiger Planung und konsequenter Umsetzung einer Strategie. Wir haben unsere selbst gesteckten Ziele erreicht.

Im Verlauf der Saison gab es für die "Equipe Jaune" Höhen, aber auch Tiefen. Welche Ereignisse sind Ihnen besonders in Erinnerung?
Alain Dassas: Vor allem der unglaubliche Start des Teams in die Saison hat mich beeindruckt. Wir waren offensichtlich besser vorbereitet als unsere Konkurrenten. An diese Phase der Saison habe ich viele gute Erinnerungen. Als Beispiele möchte ich den Sieg in Barcelona oder die unglaubliche Unterstützung der Fans in Magny-Cours anführen. In den Wochen danach setzten uns die Konkurrenten immer stärker unter Druck. Die Situation wurde angespannter. Zu den unangenehmen Erinnerungen zähle ich den Zwischenfall während des Qualifyings zum Grand Prix von Monte Carlo, die Bestrafungen für Fernando Alonso in Budapest und Monza sowie die Affäre um unseren Massedämpfer.

Inwieweit beeinflusste diese Dämpfer-Diskussion das Team?
Alain Dassas: Die Entscheidung der Motorsportbehörde FIA, die wir ohne Einschränkung akzeptierten und befolgten, wirkte sich mehrfach aus. Zum einen resultierte daraus ein deutlicher Performance-Verlust. Zweitens unterbrach sie unser Entwicklungsprogramm. Schließlich kostete uns die Angelegenheit eine stolze Summe Geld, da wir neue Komponenten entwerfen, testen und produzieren mussten, um den Renault R26 gemäß den neuen Voraussetzungen zu optimieren. All dies hätte unsere Motivation beeinträchtigen können. Stattdessen verdient die Reaktion des Teams größten Respekt. In unseren beiden Renault Workshops in Enstone und Viry-Châtillon arbeitete die Belegschaft Tag und Nacht, um Lösungen zu finden. Und wenn ich sage Tag und Nacht, dann ist das viel mehr als nur eine Floskel...

In einem spannenden Zweikampf setzte sich Renault in diesem Jahr gegen Ferrari durch - einen legendären Namen im Motorsport. Bedeutet der Sieg gegen dieses Team mehr als Erfolge gegen andere?
Alain Dassas: Ich glaube, dass dieser Sieg für die Öffentlichkeit eine größere Bedeutung besitzt. Er bleibt hängen, und das zahlt sich für uns aus. Aber wir haben gleichzeitig auch viele andere große Namen geschlagen: Mercedes, BMW, Honda, Toyota. Dahinter steckt eine deutliche Botschaft: Wenn wir auf der Rennstrecke besser sind als sie, dann können wir es auch auf der Straße sein.

Überraschten Sie die Reaktionen der Öffentlichkeit auf den Gewinn der beiden WM-Titel?
Alain Dassas: Ja, denn sie erscheint noch positiver als in 2005 und kommt von einer größeren Gruppe. Die Spannung zum Ende der Saison war derart hoch, dass sich viele neue Beobachter plötzlich für die Formel 1 interessierten. Das Duell zwischen Fernando Alonso und Michael Schumacher, zwischen Renault und Ferrari elektrisierte die Massen. Während der letzten Rennen der Saison lagen die Zuschauerzahlen zum Teil 40 Prozent höher als im Jahr zuvor. Ich glaube zudem, dass sich Renault in den vergangenen Jahren ein hohes sportliches Ansehen erarbeitet hat. Deshalb stieg auch der Anteil gelb-blauer Fanartikel auf den Zuschauertribünen der Rennstrecken weltweit kontinuierlich an. Nach meinen Informationen verkauften die Merchandising-Händler in diesem Jahr erstmals mehr Formel 1-Modelle von Renault als von Ferrari.

Im Gegensatz zu vielen anderen Teams scheint bei Renault eine beinahe familiäre Atmosphäre zu herrschen...
Alain Dassas: Mir fiel auf Anhieb auf, wie familiär und eng die Atmosphäre ist. Zwischen den Teammitgliedern besteht eine tiefe Verbundenheit. Das zeigte sich vor allem während der schwierigen Phasen: Es versuchte niemand, einzelne Personen für Probleme verantwortlich zu machen. Vielmehr ging es allen darum, Lösungen zu finden. Die Fahrer und die Angestellten der beiden Workshops arbeiten als ein Team zusammen. Sie wissen, dass sie voneinander abhängen, wenn sie Erfolg haben wollen.

Stichwort Finanzen: Erforderte die Titelgewinne 2006 nicht ein immenses Budget?
Alain Dassas: Unser Budget für 2006 entsprach exakt dem des Vorjahres. Wir waren damit erneut das Team mit dem fünftniedrigsten Etat im gesamten Feld. Als sich Carlos Ghosn, Vorstandsvorsitzender der Renault Gruppe, für die Fortsetzung des Formel 1-Engagements aussprach, nannte er drei zu erfüllende Kriterien: erstklassige Leistungen, effektive Nutzung des positiven Effekts auf das Markenimage und reduzierte Kosten. Dies wird im kommenden Jahr garantiert sein. Das neue Motorenreglement erlaubt allen Herstellern, Kosten einzusparen. Das bedeutet übrigens auch eine menschliche und soziale Herausforderung. Wir wollen die Konsequenzen dieser Veränderungen vor allem auf unsere Mitarbeiter minimieren.

Zudem wird Renault als Motorenlieferant für Red Bull auftreten.
Alain Dassas: Ja. Dadurch wird unsere Motorenabteilung unverändert hoch ausgelastet sein, wir werden unsere Einnahmen erhöhen und schließlich die Show verbessern, da ein weiteres Team mit konkurrenzfähiger, hochmoderner Motorentechnologie fahren wird.

Wie wird Renault den Gewinn beider WM-Titel kurz- und mittelfristig in puncto Marketing nutzen?
Alain Dassas: Zunächst möchte ich sagen, dass wir uns in diesem Jahr darauf einrichten konnten, während wir 2005 ein wenig Zeit brauchten, die Maßnahmen umzusetzen. Einen Tag nach dem Gewinn beider Titel startete eine weltweite Kommunikations- und Werbekampagne. Unser Botschaft ist simpel: Sie betont die Verbindungen zwischen der Formel 1 und unseren Serienmodellen. Unsere Performance auf der Strecke spiegelt letztendlich nur wider, wozu wir auch in der Serienproduktion fähig sind. In beiden Bereichen zählen die gleichen Werte: Zuverlässigkeit, Qualität und Leistung. Die erfolgreiche Titelverteidigung verbessert das Image von Renault, betont den sportlichen und Technologie-orientierten Charakter des Unternehmens und steigert die weltweite Markenbekanntheit. Schließlich verbindet und motiviert es auch die Mitarbeiter der Renault Gruppe auf der ganzen Welt. Die gesamte Renault Gruppe unterstützt die "Equipe Jaune" und freut sich über die Titel.

Kommen wir zu einem Ausblick auf die kommende Saison, die Sie ohne einen außergewöhnlichen Champion angehen werden.
Alain Dassas: Ja, das stimmt. Mit Fernando Alonso verlässt uns ein Fahrer, der seine beiden bisherigen WM-Titel uneingeschränkt verdient hat. Er war fünf Jahre Teil der Renault Familie. Darauf sind wir sehr stolz. Ich bin davon überzeugt, dass auch in Zukunft enge Verbindungen zwischen ihm und Renault bestehen werden. Aber wir wollen unsere Titel verteidigen. Mit Heikki Kovalainen und Giancarlo Fisichella verfügen wir über eine gelungene Mischung aus Jugend und Erfahrung. 2007 hält nicht nur für Renault, sondern auch für unsere Rivalen Veränderungen bereit. Es liegt an uns, das Maximum aus der neuen Situation zu machen.