Wie wichtig ist die Aerodynamik bei einem modernen Formel 1-Rennwagen?

Graham Miller: Die Entwicklung der Aerodynamik bei Rennwagen ist in der Formel 1 unentbehrlich geworden, seit Lotus Ende der 1960er Jahre damit begann, mit Heckflügeln an Rennwagen zu experimentieren. Ende der 1970er Jahre wurde ein neues aerodynamisches Konzept entwickelt, bei dem die gesamte Unterseite des Wagens wie eine umgedrehte Flugzeugtragfläche fungierte und den Wagen buchstäblich an die Fahrbahnoberfläche saugte. Damals horchte die gesamte Formel 1-Welt auf und begann damit, die Aerodynamik sehr ernst zu nehmen. Die Teams erkannten die Bedeutung der Windtunneltechnologie. Heutzutage gibt ein Team normalerweise mindestens 15% seines Entwicklungsbudgets für die Aerodynamik aus, und die Verwendung von Windtunneln ist die einzige Möglichkeit, um vorne mitmischen zu können; die Tunnel gehören zu unseren wichtigsten Werkzeugen.

Wo wird der neue Windtunnel gebaut?

Graham Miller: Hier in Brackley. Wir haben ein vorhandenes Gebäude abgerissen, um Platz für das neue dreistöckige Gebäude zu schaffen, in dem sich der Windtunnel befinden wird.

Wann haben die Arbeiten an dem Projekt begonnen? Liegen Sie noch immer im Zeitplan, und wann wird der Tunnel richtig funktionieren?

Graham Miller: Die Bauarbeiten haben vor genau einem Jahr, im Dezember 2004, begonnen. Zuerst wurde das vorhandene Firmengebäude abgerissen, um Platz für unsere neue Einrichtung zu schaffen. Das Programm verläuft planmäßig, und wir wollen mit den Tests im Juli 2006 beginnen.

Was kostet der Windtunnel, und muss er von einem speziellen Unternehmen gebaut werden?

Graham Miller: Eine so komplexe Einrichtung kostet rund 30 Millionen Pfund. Der Windtunnel ist eine Spezialanfertigung - genau wie das 'Rolling Road'-System, auf dem sich die Testfahrzeuge befinden. Es handelt sich folglich um ein sehr technisches und kompliziertes Bauprojekt, bei dem der Bauunternehmer mit dem Flugzeugbauer und dem Hersteller der ‘Rolling Road´ eng zusammenarbeiten muss. Gutes Teamwork und ausreichende Verständigung sind unabdingbar, um das Projekt innerhalb des knappen Zeitrahmens realisieren zu können.

Wie groß und leistungsstark sind die Ventilatoren?

Graham Miller: Der Hauptventilator hat einen Flügeldurchmesser von über 5 m und wird von einem 3000 PS starken Elektromotor angetrieben, der ein Drehmoment von 32.000 ft-lb bei 500/Min. erzeugt. Insgesamt gibt es 16 sich drehende Flügel und 27 statische Flügel - das sind sich nicht drehende Flügel, die tragende Teile der Ventilatorkonstruktion bilden. Dieser Ventilator bewegt rund 1000 m³ Luft pro Sekunde, und wir werden im Testbereich Windgeschwindigkeiten von 80 Metern pro Sekunde erzielen!

Was wird sich außerdem in diesem Gebäude befinden?

Graham Miller: Der Windtunnel selbst sowie alle erforderlichen Anlagen, einschließlich der Antriebselemente für den Ventilator und die ‚Rolling Road‘, elektrische Transformatoren, Kompressoren und Vakuumpumpen sowie eine vollständig integrierte Fertigungseinrichtung. Außerdem gibt es einen vollständig ausgestatteten Server-Raum, in dem sich die Server für den Windtunnel befinden, sowie eine Notfalleinrichtung, die die gesamte Anlage im Notfall versorgt, falls es Probleme im Hauptserverraum im Hauptquartier gibt. Nebenbei wird es ein Museum und einen Präsentationsraum geben, damit wir unseren Gästen auch eine beeindruckende Umgebung bieten können.

Das Honda Racing F1-Team besitzt bereits einen kleineren Windtunnel in Brackley. Worin liegen die Vorteile des neuen Tunnels?

Graham Miller: Bei sorgfältiger Durchführung der Messungen bietet der neue Tunnel viel genauere Ergebnisse. Es handelt sich um einen so genannten 'Closed Jet'-Tunnel, der im Allgemeinen einen hochwertigeren Luftstrom erzeugt. Im anhaltenden Streben nach einer höheren Genauigkeit von Aerodynamik-Testdaten geht der Trend hin zu größeren Modellen, die eine bessere Reproduktion der Fahrzeugoberflächen und eine höhere Genauigkeit bieten. Dazu sind natürlich große Testbereiche erforderlich, was zu höheren Investitionen und schließlich höheren Betriebskosten führt.

Der vorhandene, kleinere Windtunnel des Honda Racing F1-Teams ist von anderer Bauart: Es handelt sich um eine 'Open Jet'-Konfiguration. Wie der Name schon sagt, besitzen ‚Open Jet‘-Tunnel einen offenen Testbereich, in dem wir die beiden Wände und die Decke entfernen können. Im Prinzip wird bei dieser Bauart um das Modell herum ein Luftstrom erzeugt, der dem ähnelt, der auf der Rennstrecke erzeugt wird. Ein weiterer Vorteil sind die verbesserten Sicht- und Zugangsmöglichkeiten für den Testingenieur. Der Nachteil von ‚Open Jet‘-Tunneln: Kräfte von außen können den Luftstrom auf unvorhersehbare Weise beeinflussen. Die Aerodynamik-Testdaten sind folglich nicht immer so genau wie bei dem neuen geschlossenen Tunnel.

Das letztendliche Ziel besteht darin, im Windtunnel einen Luftstrom zu erzeugen, der dem auf der Rennstrecke weitgehend entspricht. Um dieses Ziel zu erreichen, besitzt unser neuer Windtunnel einen Testbereich mit Wänden, die an die Fahrzeugkonturen und den Gierwinkel angeglichen werden können.

Welche Teile werden in dem Tunnel getestet?

Graham Miller: Wir möchten den Wagen und große Teile in dem neuen Tunnel testen und natürlich auch Tests in unserer vorhandenen Einrichtung durchführen. Wie die meisten anderen Teams werden wir beträchtliche Veränderungen vornehmen, um die Rundenzeiten zu verbessern. Dazu gehören alle Bereiche der Fahrzeugoberfläche, einschließlich Front- und Heckflügel, die Seitenteile und der direkt angrenzende Bereich sowie Motorabdeckung und Boden.

Welche Bedingungen können Sie in einem Windtunnel simulieren?

Graham Miller: Ein guter Windtunnel ist ein unabdingbares Hilfsmittel für ein Formel 1-Team. Hier können Abtrieb und Luftwiderstand gemessen werden - zwei Komponenten, die sich sehr stark auf die Gesamtleistung des Wagens auswirken. Man muss aber fairerweise einräumen, dass noch niemand in der Lage ist, das Fahrverhalten eines Wagens auf der Rennstrecke in einem Labor zu simulieren - und der Windtunnel ist ja nichts anderes als ein Labor. Die wichtigste Testvorrichtung in dem Windtunnel, die speziell für die Arbeit an einem Formel 1-Wagen konzipiert wurde, ist der ‚Rolling Road‘-Bereich, in dem der starke Aerodynamikeffekt simuliert wird, der entsteht, weil sich der Wagenboden so nah an der Straßenoberfläche befindet. Die ‚Rolling Road‘ selbst ist drehbar, so dass wir den Wagen an die Windrichtung anpassen können. Das hat starke Auswirkungen auf den Abtrieb, weil ein Wagen bei Kurvenfahrt in einem anderen Winkel zum Wind steht. Wenn der Wagen plötzlich weniger Abtrieb besitzt, obwohl mehr Abtrieb erforderlich ist, dann hat man ein Problem! Wir müssen die im Windtunnel erzielten Ergebnisse auf die Rennstrecke übertragen – nur darum geht es letzten Endes.

Worin liegen die Vorteile eines Windtunnels gegenüber der Verwendung von Computer-Software (computertechnisch unterstützte Flussdynamik)?

Graham Miller: Die CFD macht die Arbeit im Windtunnel noch effizienter. Die CFD ist im Grunde eine Gleichung, die die Luftströmung reguliert, und auch die Auswirkungen von Turbulenzen können recht genau berechnet werden. Neu entwickelte Teile entstehen nicht mehr zufällig. Sie entstehen am Computer und durchlaufen CFD-Simulationen, um ihre Effektivität vor der Produktion zu testen.

Aerodynamikteile müssen dann noch im Windtunnel geprüft werden, da im Tunnel - im Gegensatz zum Modell - ‚richtige‘ Ergebnisse erzielt werden können. Windtunnel sind ferner produktiver im Hinblick auf die Anzahl der geplanten Teile, die in einem bestimmten Zyklus entwickelt werden.

Aber der Betrieb eines Windtunnels ist sehr teuer, und die CFD ist ein wichtiges Hilfsmittel, das sicherstellt, dass neue Entwicklungen höchstwahrscheinlich gut funktionieren, bevor sie im Windtunnel getestet werden.

Wie häufig wird der Windtunnel nach seiner Fertigstellung verwendet?

Graham Miller: Sehr häufig! Anfangs werden wir 24 Stunden pro Tag im neuen und 18 Stunden pro Tag im alten Tunnel testen, bevor wir auch den bisherigen Tunnel 24 Stunden täglich verwenden werden. Wir erwarten, dass wir beide Einrichtungen rund um die Uhr verwenden werden.

Wird das Team weitere Aerodynamik-Spezialisten einstellen, wenn der Windtunnel in Betrieb genommen wird?

Graham Miller: Durch den zweiten Tunnel stehen uns doppelt so viele Aerodynamik-Testeinrichtungen zur Verfügung. Im Rahmen dieses Programms stellen wir eine Reihe neuer Mitarbeiter ein, einschließlich leitender Aerodynamik-Spezialisten, Windtunnel-Techniker, Modell-Entwickler und Maschinisten. Dazu können wir uns dieser Webseite bedienen.

Ist der neue Windtunnel das fehlende Stück im Puzzle des Honda Racing F1-Teams?

Graham Miller: So ist es. Nach der Fertigstellung des Tunnels im Sommer 2006 haben wir eine vollständig integrierte Einrichtung hier in Brackley sowie alle erforderlichen Mittel, damit wir die Weltmeisterschaft gewinnen können.