Oscar Piastri war das bestimmende Thema in der Silly Season der Formel 1 2022. Am 2. August, also exakt vor einem Jahr, kam der Stein ins Rollen. Nachdem Fernando Alonso überraschend seinen Abgang von Alpine zu Aston Martin bekanntgab, ernannte das Team Piastri als Nachfolger. Doch der wollte davon nichts wissen, denn er hatte inzwischen bereits einen Vertrag bei McLaren unterschrieben.

Was folgte war ein Rechtsstreit zwischen den beiden Teams um die Dienste des Australiers, der mit einer peinlichen Niederlage für Alpine endete und mit der Feststellung: Die Franzosen hatten nie einen gültigen Vertrag mit Piastri für 2023. Ein Jahr später werfen wir einen Blick zurück: Wer waren die Gewinner und Verlierer dieser Affäre?

Alpine:
Beginnen wir mit einem der Hauptakteure der Vertragsaffäre rund um Oscar Piastri: Alpine. Dem französischen Rennstall gingen aufgrund von mangelndem Verhandlungsgeschick und einer desaströsen Vertragssituation vor einem Jahr zuerst mit Fernando Alonso und dann mit Piastri gleich zwei Top-Fahrer durch die Lappen. Mit Pierre Gasly fand man zwar einen kompetenten Ersatz, der aber weder Alonso noch Piastri kompensieren kann. Erfolge waren seitdem rar gesät und die erste Saisonhälfte 2023 verlief äußerst turbulent. Sowohl Alonso als auch Piastri sitzen inzwischen mit Aston Martin beziehungsweise McLaren in einem besseren Auto. Wohlgemerkt: Beide Teams hatte man 2022 noch im Griff. Dass im Sommer 2023 eine Reihe von Führungspersönlichkeiten im F1-Team einem radikalen Wandel zum Opfer fielen, passt irgendwie ins Bild - auch wenn das mit der Piastri-Affäre nur am Rande zu tun hat.
Fazit: Verlierer

Oscar Piastri:
Kurz sah es nicht gut aus. McLaren wechselte im Herbst den Teamchef. Mit Neuling Andrea Stella am Ruder startete die Saison schwach, das Auto fuhr oft im hinteren Mittelfeld herum, die Technik-Abteilung wurde umgebaut. Nach dem zwölften Rennen ist die Sachlage eine andere. Stellas neuer Technik-Stab hat mit umfangreichen Upgrades den MCL60 in einen Podiums-Kandidaten verwandelt. Mit Podien hatte Piastri überhaupt nicht gerechnet, als er den Sprung zu McLaren wagte. Ihm reichte schon, dass McLaren ihn "wollte", wie er es ausdrückt: "Es ist immer ein tolles Gefühl, wenn dich Leute haben wollen." Es läuft viel besser als bei Alpine, deren vermeintliche Fortschritte verblassten und, schlimmer noch, dem Chaos wichen. Auch von Lando Norris lässt sich Piastri nicht aus dem Tritt bringen, wie es etwa Daniel Ricciardo passiert ist. Er hält den Anschluss, beginnt die Lücke zuletzt sogar zu schließen. Viel besser hätte er es nicht treffen können.
Fazit: Gewinner

Otmar Szafnauer
Teamchef Otmar Szafnauer konnte am wenigsten für das ursprüngliche Management von Oscar Piastris Nicht-Vertrag. Dennoch gab er die wohl peinlichste Figur in der gesamten Affäre ab. Szafnauer war es, der deutlich in der Pressekonferenz in Spa betonte, dass man den Vertragsstreit um Piastri gewinnen werde, "denn er hat im November einen Vertrag unterschrieben." Er bezichtigte den Youngster zwischenzeitlich der Lüge und rügte ihn für mangelnden Anstand. Bitter für ihn, dass letztendlich gar kein gültiger Vertrag vorlag. Dass Fernando Alonso seinem ehemaligen Teamboss auch mehr als nur eine Mitschuld an seinen gescheiterten Vertragsgesprächen einräumt, kommt noch dazu. Diese beiden Kapitel seiner kurzen Laufbahn als Alpine-Teamboss werden ihm nur ungern in Erinnerung bleiben.
Fazit: Verlierer

Otmar Szafnauer verlor mehr als nur Oscar Piastri, Foto: Alexander Trienitz
Otmar Szafnauer verlor mehr als nur Oscar Piastri, Foto: Alexander Trienitz

Fernando Alonso:
Wenn Fernando Alonso Aston Martin zur besten Entscheidung seiner Karriere erklärt, dann kommt diese Aussage nicht von irgendwo. Dass Aston Martin die richtige Wahl war, steht außer Frage. Selbst wenn die letzten Rennen nicht die Höhen der Podien von Saisonbeginn erreichten, so waren diese Höhen sowieso mehr als er und das Team je erwartet hatten. Alonso analysierte Lawrence Stroll korrekt - und erkannte zugleich den fehlenden Einsatz von Alpine. Wie Piastri freut er sich, dass ein Team - hier Aston Martin - mit ihm ein Projekt beginnen wollte. Ob er mit Aston Martin wirklich noch einmal um die WM fahren wird, ist ihm letztendlich auch nicht mehr wichtig. Alles, was er wollte, ist ein Team, bei dem es eine klare Marschrichtung gibt, mit ihm, dem Weltmeister, im Mittelpunkt. Das hat er bekommen.
Fazit: Gewinner

Aston Martin:
Weltmeister mit Weltmeister ersetzt. Fernando Alonsos Alter spielt keine Rolle, das muss der mittlerweile 42-Jährige nicht erst die ganze Zeit extra betonen. Nach Sebastian Vettels Rücktritt brauchte das Team von Lawrence Stroll ein neues Zugpferd, und dass Alonso von Alpine weg wollte, ebnete den Weg zu einer Traum-Ehe. Der Spanier ist 2023 bisher in bestechender Form, trotzt dem Alter, und bringt richtigen Schwung in das Team. Seine Persönlichkeit passt gut mit Stroll Senior zusammen. Vollblut-Racer, die um jeden Preis gewinnen wollen.
Fazit: Gewinner

McLaren:
Die Trennung von Daniel Ricciardo war nötig. Sie hatten beide alles versucht, und die Antwort gefunden. Lando Norris hatte im Vorjahr 122 der 159 Punkte geholt. Den Vertrag auszusitzen hätte bedeutet, erneut einen Platz in der Konstrukteurs-WM zu riskieren. Auf Piastri zu setzen war die richtige Entscheidung. Auch wenn der bis jetzt noch hinter Norris zurückliegt, so ist es keine halbe Sekunde, wie es oft bei Ricciardo der Fall war. Die ersten Anzeichen zeigen laut McLaren, dass er mittelfristig auf Norris-Niveau fahren kann. Norris selbst berichtet, dass ihn Piastri inzwischen mehr pusht. Seit Silverstone qualifizierte sich Piastri in jedem Rennen unter den Top-6. In Silverstone war er Norris auch im Rennen fast ebenbürtig und wäre ohne Safety Car auf dem Podium gestanden. In Spa schlug er ihn im Shootout-Qualifying und stand in der ersten Startreihe. Seine Probleme, etwa mit Reifenmanagement, erscheinen alle lösbar. McLaren könnte die perfekte Fahrerpaarung zusammengestellt haben.
Fazit: Gewinner

Teamfeier: Oscar Piastri beim Sprint Race in Spa-Francorchamps
McLaren feiert mit der neuen Fahrerpaarung 2023 Erfolge, Foto: LAT Images

AlphaTauri
AlphaTauri war zwar nicht direkt in den Vertragsstreit involviert, wurde aber trotzdem von ihm getroffen. Die Mannschaft aus Faenza ließ nach dem Alpine-Beben Pierre Gasly ziehen, der sich auf dem Red-Bull-Abstellgleis nicht wohlfühlte. AlphaTauri gelang es nicht, ihn adäquat zu ersetzten. Wunschkandidat Colton Herta scheiterte an der Superlizenz, Notfall-Kandidat Nyck De Vries blieb von Saisonanfang an hinter den Erwartungen zurück. Nach einem halben Jahr zog man bei dem Niederländer den Stecker. Bis dahin kämpfte das Team faktisch nur mit einem Auto um Punkte, was die sportliche Schieflage noch zusätzlich befeuerte.
Fazit: Verlierer

Pierre Gasly:
Ja, das Leben bei Alpine mag gerade nicht besonders rosig sein. Aber es geht auch schlimmer. Zum Beispiel bei AlphaTauri, die gerade auf dem letzten Platz der Konstrukteurs-WM liegen und an mehreren Wochenenden das schlechteste Auto stellten. Auch dass er im Red-Bull-Kader wäre, ist kein großer Trost. Er war dort schon im Hauptteam, wurde degradiert, und man zeigte kein Interesse mehr, es ein zweites Mal zu versuchen. Kurzfristig hat Gasly ein stabiles Mittelfeld-Cockpit, holte in Spa einen guten dritten Platz. Bei AlphaTauri wäre das sowieso schon das Maximum, und in der aktuellen Saison gerade Utopie. Irgendwann musste Gasly den Absprung vom Red-Bull-Zug wagen, und eine bessere Tür als Alpine wird sich so schnell nicht öffnen.
Fazit: Gewinner

Pierre Gasly bekommt eine Chance bei Alpine, Foto: LAT Images
Pierre Gasly bekommt eine Chance bei Alpine, Foto: LAT Images

Williams
Williams hätte eigentlich nach der letzten Saison Oscar Piastri haben können, wenn alles nach Plan gelaufen wäre. Nach Plan heißt in diesem Fall, wenn der Vertrag zwischen Alpine und dem Australier gültig gewesen wäre und wenn Alonso nicht überraschend zu Aston Martin abgewandert wäre. Doch dieser Plan zerschlug sich. Auch Nyck De Vries blieb nicht als Alternative, da er zu AlphaTauri abwanderte. So fiel die Fahrerwahl auf Logan Sargeant. Es ist zwar fraglich, ob der Niederländer so viel besser wäre als der US-amerikanische Rookie, Piastri wäre es auf jeden Fall gewesen. Sargeant hinterlässt bislang in dieser Saison keinen guten Eindruck und sammelte noch keine Punkte.
Fazit: Verlierer

Nyck de Vries
Nyck De Vries war einer der letzten Dominosteine in der Piastri-Affäre und sah zunächst wie ein Gewinner aus, nachdem er als Nachfolger von Pierre Gasly erkoren wurde. Dass seine erste Saison als Formel-1-Stammfahrer nach etwas mehr als vier Monaten schon vorbei sein würde, war damals noch nicht absehbar. Mit dem schwachen AT04, einer durchwachsenen Rückendeckung und einem Daniel Ricciardo auf der Ersatzbank lagen die Karten von Saisonanfang an schlecht. Dazu kamen noch etwas überzogene Erwartungen an den Formel-E-Champion. Andererseits hätte er ohne diese Kettenreaktion von Wechseln, die durch den Abgang des Alpine-Juniors zu McLaren eingeleitet wurde, möglicherweise nie die Chance bekommen sich in der Königsklasse zu versuchen.
Fazit: Sieg nur von kurzer Dauer

Daniel Ricciardo:
Den McLaren-Vertrag erfüllen? Auch von Daniel Ricciardos Seite betrachtet gilt: Sie wollten füreinander das Beste, keine Frage, aber sie verstrickten sich viel zu tief in den Fahrstil-Problemen und sahen am Ende kein Land mehr, weil sie meinten, alles versucht zu haben. Nicht zuletzt berichtete Red Bull nach Ricciardos erstem Simulator-Auftritt von einem gebrochenen, nicht mehr wiederzuerkennenden Fahrer. Für Ricciardo war der Red-Bull-Job die Befreiung. Mit seinen alten Ingenieuren zusammen schaffte er den Reset, und erzeugte so viel Interesse im Management, dass man ihm ein Comeback bei AlphaTauri ermöglichte. Performt er jetzt, hat er eine realistische Chance auf das zweite Red-Bull-Cockpit 2025. Wäre er noch ein mieses Jahr bei McLaren geblieben, wer weiß, ob er dann noch einen F1-Job gefunden hätte.
Fazit: Verlieren eröffnet zweite Chance